Delmenhorst. Gespielt haben sie fast alle schon mal. Einige mehr, andere weniger. Andreas schmeißt sich ab und an sogar in Schale, um die Spielbank in Bremen zu besuchen. Roulette spielt er gern. Und Sascha, nun, Sascha setzt gern mal Geld ein, wenn er mit Kollegen pokert. Wieder andere füttern Automaten mit Münzen, viele, immer mehr junge Männer, meinen, dass sie so viel Ahnung von Sport haben, dass sie ruhig ein paar Euro verwetten können. Sie fühlen sich siegesgewiss, schließlich kennen sie sich aus. Doch am Ende gewinnt fast nie jemand, am Ende verlieren sie alle. Mal ein paar Euro, mal ein paar mehr. Im schlechtesten Fall im Grunde alles, all ihr Geld, ihren Besitz, ihre Familie, Freunde. Dann, wenn aus dem harmlosen Spiel eine Sucht geworden ist.
Wie schnell aus dem so scheinbar harmlosen Vergnügen eine Sucht wird, wissen viele gar nicht. Deswegen haben Simone Beilken und Tim Berthold von der Drogenberatungsstelle Drob in Delmenhorst die Berufsbildenden Schulen II besucht. Die Schüler dort sind alt genug für das Thema, sie verdienen ihr eigenes Geld, was zum Zocken wichtig ist. „Bei vielen, die später spielsüchtig sind, beoachten wir ein ähnliches Muster: Am Anfang stand oft ein Gewinn. Dann haben sie Geld verloren, waren sich aber sicher, dass sie es wieder zurückgewinnen können“, erklärt Tim Berthold. Das ist natürlich ein Trugschluss. Vor allem bei den Automaten, die auch ohne Gewinn abhängig machen. Nach und nach, es ist ein schleichender Prozess. Das drücken auf die Knöpfe, der Kick, welches Symbol gleich aufblinken wird, dieses Fiebern, wenn schon zwei Kronen zu sehen sind und doch gleich bestimmt die dritte kommt. Dazu der Sound, die Lichteffekte, die trügerische Stop-Taste, die suggeriert, das Spiel kontrollieren zu können. „Beim Glücksspiel sind im Gehirn die gleichen Effekte wie bei Kokain zu beobachten“, sagt Berhold.
Jährlich wachsende Umsätze
„Die Umsätze im Glücksspielmarkt wachsen. Jedes Jahr“, sagt Simone Beilken. Sie liefert natürlich auch ein paar Zahlen, um das zu verdeutlichen: Allein in Niedersachsen wurden im vergangenen Jahr 530,1 Millionen Euro an Geldspielautomaten verzockt, das sind 44,2 Millionen Euro im Monat, 1,5 Millionen Euro jeden Tag. „In Delmenhorst wurden 2017 an Geldspielgeräten 6,5 Millionen Euro verspielt. Das sind 17 887,24 Euro am Tag.“ Das sind nur die offiziellen Zahlen, weil es auch Automaten in Hinterzimmern gibt oder in den Wettcafés, die nicht erfasst werden.
Die Gefahr, die von Spielautomaten ausgeht, ist der Teil der Geschichte, den viele schon kennen. Doch das Spielverhalten verändert sich. Sportwetten sind im Kommen. „Ein Markt, in den der Gesetzgeber unbedingt regulieren muss“, sagt Simone Beilken. „Glücksspiel ist gefährlich.“ Gerade junge Männer verschätzen sich oft. Sie meinen, die Mannschaften gut zu kennen, alle Stärken, alle Schwächen. Sie fachsimpeln mit Kumpeln, checken die Quoten online. Und dann sind sie sich sicher, dass sie gewinnen werden. Wenn es so wäre, dass man mit diesem Wissen Geld verdienen kann, müssten schon viele Menschen damit reich geworden sein. Aber dem ist nicht so. Niemand kann mit absoluter Sicherheit sagen, wie ein Spiel enden wird.
Rund 100 Klienten besuchen Simone Beilken jedes Jahr in der Drogenberatung. Wenn sie kommen, sind sie in der Regel komplett am Ende, haben im wahrsten Sinne des Wortes Haus und Hof verspielt. Ihre Sucht wird oft viel zu spät erkannt. Die meisten Beziehungen zerbrechen an der Sucht. Was bleibt, ist oft ein Schuldengebirge, manchmal so hoch, dass es in einem normalen Menschenleben kaum noch abgetragen werden kann.
Glücksspielsucht ist nach Alkohol-, Nikotin-, Medikamenten- und Drogenabhängigkeit die fünfhäufigste Suchterkrankung in Deutschland. „Wir haben unter den Glücksspielabhängigen die höchste Suizidrate aller Suchterkrankungen“, sagt Simone Beilken. Und der Gesetzgeber schaut zu. Ehemalige Fußballprofis werben für die Anbieter, adeln sie mit ihrem Gesicht. Die Anbieter treten als Werbepartner von Vereinen in Erscheinung. „Wäre der Markt für Cannabis in Deutschland vergleichbar ungeregelt, gäbe es einen Aufschrei.“ Und während die Zahl der jungen Menschen, die rauchen, die zu viel trinken, auch wegen der guten Präventionsarbeit zurückgeht, steigt die Zahl der Spieler. Auch weil viele Glücksspiele so leicht verfügbar sind, im Internet, übers Smartphone.
Wer Hilfe sucht, kann sich an Simone Beilken bei der Anonyme Drogenberatung Delmenhorst wenden, Scheunebergstraße 41, Telefon: 0 42 21 / 1 40 55, E-Mail: info@drob-delmenhorst.de.