Nach zehn Jahren ist die Durststrecke überwunden. „Wir befinden uns auf der Zielgeraden“, formulierte es ein Teilnehmer der Fachtagung „Zehn Jahre Stedingsehre“ des Arbeitskreises Stedingsehre während des Rundgangs über das Gelände. Die Aussicht auf ein Informations- und Dokumentationszentrum ist zum Greifen nah. Tatsächlich: Das hartnäckige Durchhalten hat sich gelohnt.
Zur ersten großen Jubiläumsfeier des Arbeitskreises Stedingsehre am Sonnabend auf dem Gelände des Berufsförderungswerks gab es zwar auch Kaffee und Kuchen, in erster Linie aber: geballte Informationen. So diskutierten die rund 50 Teilnehmer – Mitglieder des Arbeitskreises, Ratsvertreter, Landtagsabgeordnete und interessierte Bürger – unter anderem die Frage, welche Bedeutung der „Geschichtsort Stedingsehre“ gegenwärtig für das Oldenburger Land hat oder welche Formen der Zusammenarbeit mit anderen NS-Dokumentationsstätten und Erinnerungsorten möglich sind.
Seit klar ist, dass der Arbeitskreis sein lang ersehntes Informations- und Dokumentationszentrum direkt im Dorf um die Freilichtbühne einrichten kann, wird überlegt, welcher Raum sich konkret eignen würde. „Noch ist unklar, welches Gebäude wir nutzen können“, sagte Gästeführerin und Arbeitskreis-Mitglied Ines Meyer während eines Rundgangs am Mittag. „Die Frage ist aber auch, wie das Spieldorf auch für andere interessant gemacht werden kann“, meinte Rolf Schütze, Direktor der regioVHS. Klar ist für ihn: „Da muss Leben rein.“
Nach aktuellem Stand kann der Arbeitskreis im Sommer 2016 endlich damit anfangen, seine in den vergangenen zehn Jahren zusammengesammelten Exponate zur Stedingsehre auszustellen. Vor wenigen Tagen erst wieder hat Ines Meyer einen Reiseführer von 1939 ersteigert, bislang lagern ihre Fundsachen ausschließlich in den privaten Räumen zu Hause. Dabei sind in den vergangenen zehn Jahren erhebliche Mengen an Dokumentationsmaterial zusammengekommen. „Das Ende der nationalsozialistischen Schreckensherrschaft hat uns diesen Ort Stedingsehre hinterlassen und wir müssen lernen, damit angemessen umzugehen“, betonte der langjährige Leiter des Arbeitskreises, Prof. Lutz Walk, in seinem Rückblick. So wie der Bunker Valentin in Bremen-Farge ein unübersehbares Mahnmal für den Größenwahn der Nazis sei, erinnere die „Stedingsehre“ daran, dass die Nazi-Ideologie von einer Mehrheit der Bevölkerung in der Region geteilt worden sei. „An diesem Ort wurden nicht wie in anderen Schreckensorten Menschen umgebracht. Aber hier sorgten die Nazis dafür, dass das an anderen Orten möglich wurde, indem sie sich auf Stedingsehre mit den Mitteln der populären Theater-Kunst die Loyalität der Bevölkerung für ihre Untaten sicherten“, so Walk. Hier sei auch eine „Gau-Schulungsburg“ entstanden, an der die verbrecherische Nazi-Elite geformt wurde. Daran aber wollte die Bevölkerung nach Ende des Dritten Reichs nicht mehr erinnert werden. „Die kollektive Erinnerung an den historischen Kontext von Stedingsehre wurde jahrzehntelang tabuisiert.“
Umso tiefer haben die Mitglieder des Arbeitskreises in den vergangenen zehn Jahren gegraben. Zeitzeugen wurden interviewt, Bilderalben angelegt, Zeitungsartikel herausgesucht, Einrichtungsgegenstände ersteigert. Einmal die Woche wurde sich getroffen, um die Fundstücke zu bewerten und zu sortieren. Auf der Suche nach einem Weg, das Gesammelte angemessen zu präsentieren, wurden Vorträge besucht und Führungen, andere Gedenkstätten aufgesucht und unzählige Gespräche mit Fachleuten geführt. Jetzt soll es offenbar nicht mehr lange dauern, dass die mühsame Arbeit endlich Früchte tragen kann. Zur Freude des 80-jährigen Bernhard-Johann Pape, der die Stedingsehre noch aus Kindertagen kennt: „Die Geschichte von Stedingsehre muss für die Nachkommen nachvollziehbar sein.“
Am Sonnabend, 14. November, wird eine Führung über den „Geschichtsort Freilichtbühne Stedingsehre“ angeboten. Ab 14 Uhr können Bürger mit den Gästeführerinnen Ines Meyer und Lisa Dierks in die Geschichte des Areals eintauchen. Der Rundgang dauert zwei Stunden und kostet drei Euro. Treffpunkt ist am Haupteingang des Berufsförderungswerks.