Vor der Gefahr "eines Flächenbrandes", der vom Ukraine-Krieg auf ganz Europa überzugehen droht, warnte Galina Ortmann. Die Vorsitzende des Niedersächsischen Integrationsrates eröffnete am Sonnabend die Jahrestagung der landesweit tätigen Institution im Commedia-Veranstaltungszentrum auf der Nordwolle. Wenn jetzt Geflüchtete aus der Ukraine aufzunehmen seien, müsse auch einkalkuliert werden, dass viele dieser Menschen nach dem Verlust ihrer Heimat wohl länger bleiben würden. Sie bräuchten nicht nur eine unkomplizierte Aufnahme, ganz bald sei für ihre dezentrale Unterbringung und für bezahlbaren Wohnraum zu sorgen. Für deren Kinder müsse es Einschulungsangebote geben.
"Corona ist noch nicht vorbei"
Und: "Corona ist noch nicht vorbei", sagte Ortmann. Wer Geflüchtete aufnehme, müsse sich an die entsprechenden Regeln halten. Es sei auch zu beachten, dass viele der Geflüchteten in ihrem Heimatland mit Vakzinen geimpft worden seien, die hierzulande keine Anerkennung finden würden. Ortmann mahnte zugleich, allen Geflüchteten den gleichen Schutzstatus zuzubilligen. Sie schilderte, dass Geflüchtete nicht-ukrainischer Nationalitäten Probleme beim Grenzübertritt bekämen, zeigte Fälle auf, wonach ihnen keine Unterkunft angeboten worden sei. Es soll vorgekommen sein, dass afrikanischen Studenten aus der Ukraine die Mitfahrt in Zügen verwehrt wurde. Das zeige einmal mehr, dass es in dieser Gesellschaft noch immer keinen ausreichenden Schutz vor Rassismus gebe.
Thomas Groß, Professor für Öffentliches Recht an der Universität Osnabrück, war eingeladen, um den Integrationsrat in seiner Forderung nach einem Landespartizipationsgesetz zu unterstützen. Groß erinnerte zunächst daran, dass es seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges sehr wohl schon einmal einen Krieg in Europa gegeben habe. Er sprach von der "Jugoslawien-Tragödie". Er nannte zusätzlich weitere Kriege, zuletzt in Syrien, Jemen und Äthiopien, "aber erst jetzt wird von einer Zeitenwende gesprochen", kritisierte Groß. Solche kriegerischen Auseinandersetzungen würden zusätzlich zur Klimakatastrophe die Fluchtbewegungen weltweit anheizen. Groß erinnerte daran, wie vor einigen Monaten noch feindselig den Geflüchteten begegnet wurde, die aufgrund der Dürre in Syrien über Belarus den Weg nach Europa suchten.
Partizipation per Gesetz regeln
Groß zählte fünf Bundesländer auf, die Niedersachsen schon bei der Beschlussfassung für Landesintegrationsgesetze voraus seien: Berlin, Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg, Bayern und Schleswig-Holstein. Zur Integration von Migranten rechnet er die politische Partizipation sowie eine gesellschaftliche und berufliche Teilhabe. In Niedersachsen habe man im Jahr 2020 eine Quote von 10,7 Prozent ausländischer Staatsangehöriger gezählt. Davon war rund die Hälfte aus Ländern außerhalb der Europäischen Union, also Menschen, die weder auf Bundes-, noch Landes- oder Kommunalebene wahlberechtigt seien. Es gehe beim Thema Partizipation also auch darum, diesen Personenkreis beispielsweise über die Gründung von Ausländerräten Gehör zu verschaffen. Ein solcher Beirat brauche Anhörungsbefugnisse und ein Initiativrecht. Einwohner mit Migrationshintergrund seien insgesamt benachteiligt. Beruflich gelte dieses besonders für den öffentlichen Dienst. Während der Anteil von Menschen mit Migrationshintergrund niedersachsenweit bei 22,1 Prozent liege, mache ihr Anteil bei den öffentlich Bediensteten nur 10,6 Prozent aus. Groß unterstützte die Forderung nach einer Einwanderungsquote. Mit einem Landespartizipationsgesetz seien "nicht alle bestehenden Probleme zu lösen, das Gesetz könne aber Grundlagen für Verbesserungen" schaffen.
Oberbürgermeisterin Petra Gerlach (CDU) hatte in ihrem Grußwort vor dem Integrationsrat die Anstrengungen in Delmenhorst aufgezählt, etwa das städtische Integrationskonzept. Sie bezeichnete Delmenhorst als "eine klassische Einwandererstadt". Es würden dort Menschen aus über 100 Nationen leben, rund 30.000 Bürger besäßen einen Migrationshintergrund. "Delmenhorst kann Integration", so ihr Fazit. Pedro Benjamin Becerra nannte das Jahr 2009, als in Delmenhorst 22 Organisationen zusammenkamen und den städtischen Integrationsbeirat gründeten. 2019 sei Delmenhorst auch dem Niedersächsischen Integrationsrat beigetreten, ergänzte seine Stellvertreterin, Ewa Brüggemann. Das Landesgremium wird aktuell von rund 20 Kommunen getragen.