Delmenhorst. An seinem ersten Tag als Rentner muss Horst Janocha noch mal zur Arbeit. „Ich muss da ja noch meinen Schlüssel abgeben“, sagt er, wirkt dabei aber ganz entspannt. Insgesamt scheint er bereits in seinem Rentnerleben angekommen zu sein. Seine Kleidung ist leger gehalten, und neben dem Haus steht schon fast mit laufendem Motor das Wohnmobil für den nahen Aufbruch bereit. Da ist eben nur noch der Schlüssel. Aber das macht Janocha nichts aus. Er ist immer gerne zur Arbeit gegangen. Fast 40 Jahre war er im Dienste der Stadt Delmenhorst, 15 davon als Leiter des Fachbereichs für Bürgerangelegenheiten.
Janocha ist im Ordnungsamt groß geworden, wie er sagt. Na ja, nicht ganz. Er ist an der Breslauer Straße groß geworden. Denn der 64-Jährige ist ein Delmenhorster Urgestein. Christophorus-Kindergarten, Overbergschule, Maxe – eigentlich verließ er die Stadt erst 1975 nach dem Abitur für den Wehrdienst. „Erst war ich für die Grundausbildung in Holland, dann kam ich nach Bayern, Jever und dann nach Hambühren bei Celle. Ich bin ausgebildeter Horchfunker“, erzählt er und sieht den amüsierten Blick seines Gegenübers: „Tja, das Fax war ganz neu, das Autotelefon auch. Das war eine heiße Zeit.“
Nebenbei ließ er sich in Hannover über den sogenannten Berufsförderungsdienst zum Bürokaufmann ausbilden. „Damit habe ich mich dann bei der Stadt Delmenhorst für den gehobenen Dienst beworben“, sagt er und holt seine original Bewerbung hervor, die ihm seine Kollegen zum Abschied in die Rente eingerahmt und feierlich überreicht haben. Das Bewerbungsfoto zeigt den jungen Janocha, genauso entspannt wie heute mit Sonnenbrille. Die Drei-Satz-Bewerbung ist sehr kurz und knackig gehalten. Janocha lacht: „Das wäre doch heute undenkbar.“
Alles noch Handarbeit
Damals offensichtlich nicht: Er wurde genommen und durfte drei Jahre lang in Oldenburg Verwaltungsdienst auf Diplom studieren. 1982 bis 1997 arbeitete er dann in der Gewerbeabteilung des Ordnungsamtes. „Als ich dort anfing, gab es noch nicht mal Computer. Wir haben alles per Hand gemacht“, erzählt Janocha, und räumt direkt ein: „Oder mit der Schreibmaschine – mit Kohlepapier für den Durchschlag. Tipp-Ex kam auch erst später, das war aber sowieso verpönt. Wer sich vertippte, fing noch mal von vorne an.“
1997 bekam er die Stelle als Leiter der Verkehrsabteilung. „Das war nicht immer ganz einfach. Es gibt Menschen mit einem unheimlichen Anspruchsdenken“, erinnert er sich, und fügt hinzu: „Generell hat man im Ordnungsamt nicht nur Freunde. Man kann zwar vielen Leuten helfen, aber manchmal muss man auch böse sein.“ Trotzdem wurde er 2004 Leiter des neu gegründeten Fachbereichs für Bürgerangelegenheiten. Ihm unterstanden das Bürgerbüro, die Zulassungsstelle, die Gewerbeabteilung, das Marktwesen, die Ausländerabteilung und das Standesamt – und damit knapp 70 Mitarbeiter. „Und unsere Arbeit war immer öffentlich, wir hatten immer direkt mit den Bürgern zu tun“, sagt Janocha. „Und man kann es nicht allen recht machen“, ergänzt er, „trotzdem hat der Umgang mit den Bürgern am meisten Spaß gemacht. Ich bin ja ein bunter Hund in Delmenhorst. Ich bin hier aufgewachsen, war auch in Sportvereinen und habe auf Schützenfesten und Hochzeiten Tanzmusik gespielt.“
Sein Handy war nie ausgeschaltet. Auch nicht am Wochenende oder im Urlaub. Natürlich musste er auch mal Bußgelder verhängen oder Betriebe schließen – „es gibt immer Unbelehrbare“, erzählt Janocha. Doch mehr freute er sich, wenn er helfen und Strafen abwenden konnte. „In der Verwaltung gibt es Möglichkeiten, eine Sache anders zu benennen, um sie genehmigen zu können. Das hat nichts mit Schummeln zu tun. Es geht eher um die Frage, ob man das ganze Programm des Gesetzes auspacken muss, oder ob man auch mal Maß halten kann“, erklärt Janocha. So konnte er die ein oder andere Firma erhalten, die heute noch existiert.
Er konnte allerdings immer gut unterscheiden, ob er zu Hause oder im Dienst war, wie er betont. Privat könne er gut mal Fünfe gerade sein lassen. Mit Ordnung habe er es nicht so sehr, sagt er, und seine Frau grinst. Dafür aber mit Regeln. Zu Hause hing für die zwei Töchter das Jugendschutzgesetz an der Wand. „Na ja, als die Kinder Jugendliche waren, durften die sich nicht erwischen lassen. Wie hätte das denn ausgesehen, wenn der Vater das Ordnungsamt leitet?“, sagt Janocha und scheint schon beim Gedanken daran peinlich berührt. „Ich bin ja auch immer der Depp, der um 3 Uhr nachts mit dem Fahrrad an der roten Ampel hält“, ergänzt er.
Das wird wohl auch nicht mit der Rente enden – auch, wenn groß gefeiert wurde. „Hach, das war emotional. Wir waren nicht der klassische Fachbereich. Wir waren eher eine große Familie“, sagt Janocha. Eine Familie, die ihn an seinem letzten Arbeitstag mit einer Stretchlimousine zu Hause abholen und durch ein applaudierendes Mitarbeiterspalier entlang der Fußgängerzone fahren ließ.
Doch den Applaus wird sich der Familienmensch Janocha wohl auch zu Hause verdienen. „In Haus und Garten hat man immer viel zu tun. Und ich kriege handwerklich das ein oder andere gut hin“, sagt Janocha. Der Beweis steht im Garten: ein riesiges Holzhaus mit Rutsche, Klettergerüst und Schaukel für seine drei Enkeltöchter, das er zusammen mit einem Kumpel gebaut hat. Allein dafür dürfte er Applaus bekommen haben. Als nächstes möchte er eine neue Gartenlaube bauen. Doch erst einmal steht das Wohnmobil in den Startlöchern. Aber keine Angst: Das Delmenhorster Urgestein kommt wieder.