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Kaum Quereinsteiger Lehrermangel in Delmenhorst: "Es kommen kaum Bewerbungen rein"

Die Lage ist dramatisch – so beschreibt Jürgen Huse, Lehrer und Vorsitzender des GEW-Kreisverbandes, den Lehrermangel an den Schulen in Delmenhorst. Warum es trotzdem kaum Quereinsteiger gibt.
27.03.2023, 18:00 Uhr
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Lehrermangel in Delmenhorst:
Von Kerstin Bendix-Karsten

Lehrer können mindestens zwei Schulfächer unterrichten – das ist bundesweiter Standard. Zumindest bislang. In Bremen hat man sich angesichts des akuten Lehrermangels davon verabschiedet. Der Stadtstaat hat ein neues Quereinstiegsprogramm namens „Back to School“ gestartet und lässt seit März auch Lehrkräfte mit nur einem Unterrichtsfach zu. Berufsbegleitend werden diese sogenannten Ein-Fach-Lehrer weitergebildet. 50 Stellen wurden ausgeschrieben, bis nach den Sommerferien sollen es 70 sein. Probleme, diese zu besetzen, scheint es nicht zu geben. Laut Bremer Bildungsressort sind bisher mehr als 200 Bewerbungen eingegangen. Nur ein paar Kilometer weiter, auf der anderen Seite der Ochtum – in Delmenhorst – kann man von solchen Zahlen nur träumen. "Es kommen kaum Bewerbungen rein. Selbst wenn Stellen ausgeschrieben werden, bleiben viele davon unbesetzt", berichtet Jürgen Huse, Vorsitzender des Delmenhorster Kreisverbands der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) und Lehrer an der Realschule. 

Auch in Niedersachsen dürfen Ein-Fach-Lehrer unterrichten. Seit dem Runderlass des Kultusministeriums vom 23. Juni 2020 können an Grund-, Haupt- und Realschulen sowie an Gymnasien und Gesamtschulen Lehrkräfte mit nur einem anerkannten Unterrichtsfach eingestellt werden, erklärt Bianca Trogisch vom Regionalen Landesamt für Schule und Bildung auf Nachfrage. Wie alle anderen Quereinsteiger auch können sie direkt im Schuldienst eingesetzt werden. "Hier wird nicht zwischen Ein-Fach-Lehrkräften und Zwei-Fach-Lehrkräften unterschieden", so Trogisch. Parallel zum Einsatz in der Schule erfolge die pädagogisch-didaktische Qualifizierung in einem 18-monatigen Studienseminar.

Den Quereinstieg in den Lehrerberuf haben in Niedersachsen bislang aber nur vergleichsweise wenige gewagt, obwohl der Bedarf immens ist. Laut GEW fehlen landesweit mehr als 10.000 Schulbeschäftigte, darunter mindestens 7000 Lehrkräfte. "Das Fehlen von Lehrpersonal konnte von Quereinsteigenden bisher nur sehr begrenzt kompensiert werden, in der jüngsten Einstellungsrunde waren es gerade einmal sieben Prozent der Neueingestellten", berichtet GEW-Sprecher Christian Hoffmann. 

Große Hindernisse

Auch an den allgemeinbildenden Schulen in Delmenhorst sind Quereinsteiger bislang eher die Ausnahme. Laut dem Regionalen Landesamt für Schule und Bildung gibt es derzeit 15 Quereinsteiger. Für Jürgen Huse, Vorsitzender des Delmenhorster GEW-Kreisverbands, kommt dies nicht von ungefähr. Seines Erachtens wird es potenziellen Quereinsteigern nicht leicht gemacht. Er spricht von einem "bürokratischen Gang", der am Ende "teilweise auch abgelehnt" wird. "Quereinsteiger müssen große Hindernisse überwinden", so Huse. Bei ihm an der Realschule an der Holbeinschule gibt es einen Kollegen, der diese überwunden hat und inzwischen auch als Klassenlehrer arbeitet. "Er ist voll integriert", sagt Huse. Das Kollegium sei froh, dass er da ist. 

Die Delmenhorster Realschule ist eine von mehreren Lehranstalten an der Delme, bei der die Unterrichtsversorgung unter 100 Prozent liegt. Nach den Osterferien werde sich dies zwar ändern, doch die letzten Monate seien anstrengend gewesen. "Aufgrund von Elternzeit mussten wir kurzfristig einen neuen Stundenplan erstellen, um alles abzudecken – teilweise auch mit Mehrarbeit", berichtet Huse. Ähnlich sieht es an verschiedenen Grundschulen aus. Besonders eklatant ist die Situation an der Grundschule am Grünen Kamp. Wie die aktuellsten Zahlen des Kultusministeriums zeigen, die vom 8. September 2022 stammen, liegt die Unterrichtsversorgung bei 87,6 Prozent. Zur sofortigen Besetzung hat die Grundschule auf der Internetseite des Niedersächsischen Kultusministeriums eine unbefristete Stelle ausgeschrieben. Befristet suchen zudem die Astrid-Lindgren-Grundschule eine und die Förderschule an der Karlstraße zwei Lehrkräfte.

Nicht genug Personal

Auch wenn für Delmenhorst derzeit nur diese vier Stellen auf der Plattform ausgeschrieben sind, heißt dies nicht, dass der Lehrermangel nicht groß ist. Im Gegenteil. "Die Lage ist dramatisch", erklärt Jürgen Huse. Aus der jüngsten Sitzung des Personalrates Mitte März berichtet er, dass "alle geklagt haben, dass sie nicht genug Personal haben". Diese Einschätzung bestätigt auch Birgit Süßmuth, Schulleiterin der Wilhelm-Niermann-Schule und Sprecherin des Grundschulverbunds in Delmenhorst: "Aufgrund von Erkrankungen gibt es Probleme. Es herrscht ein Mangel." Theoretisch ließe sich das Problem über Abordnungen lösen. Doch das sei eben nur Theorie. Gerade an Förderschulen sei die Lage zum Teil noch extremer als an Grundschulen, sodass von dort keine Abordnungen erfolgen können. "Es muss immer wieder mit Vertretungen gearbeitet und Klassen zusammengelegt werden", so Süßmuth. Sie kennt auch Fälle, in denen Rektoren eine Klassenleitung übernommen haben: "Obwohl sie genug Verwaltungssachen auf dem Tisch haben, um die sie sich kümmern müssen."

Offene Stellen zu besetzen, sei schwer. Birgit Süßmuth nennt die Bewerberlage "unglücklich". Gerade in Nebenfächern seien Lehrkräfte Mangelware. "Alle schreiben Mathe und Deutsch aus. Sie hoffen auf reichlich Bewerber und darauf, dass diese dann bereit sind, auch fachfremd zu unterrichten", erklärt Süßmuth. Selbst hat die Schulleiterin bisher noch keine Erfahrung mit Quereinsteigern gemacht. Die Möglichkeit dazu hält sie für gut – mit der Einschränkung: "Man muss sehen, wer sich bewirbt." Denn die Herausforderungen an den Grundschulen seien mannigfaltig. "Selbst studierte Kräfte stellen fest, dass sich die Dinge nicht mal eben so lösen lassen", sagt Süßmuth. Bei Quereinsteigern hänge deshalb viel von der Persönlichkeit ab. "Fachverliebtheit ohne Ende reicht nicht. Man muss bereit sein, sich einzufuchsen und pädagogisch weiterzubilden", sagt Süßmuth.  

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Das sagt die GEW

Anders als in Deutschland ist es in anderen Staaten durchaus üblich, Lehrkräfte in nur einem Fach auszubilden. Ein Beispiel hierfür ist etwa die Türkei. Angesichts dessen hält es auch die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft für richtig, "Menschen mit dieser Lehrbefähigung einzustellen", wie GEW-Sprecher Christian Hoffmann erklärt. Voraussetzung für den Quereinstieg sollte seines Erachtens aber nicht nur ein abgeschlossenes Hochschulstudium sein, "sondern natürlich Freude an intensiver Arbeit mit Kindern und Jugendlichen". Der unbedingte Wille zur Fortbildung in Didaktik und Pädagogik sei ebenfalls wichtig. Wenn all dies gegeben ist, sollte der Quereinsteiger nach Ansicht von Jürgen Huse, Vorsitzender des GEW-Kreisverbandes Delmenhorst, möglichst schnell anfangen: "Doch das passiert in Niedersachsen nicht." Zumindest bisher.

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