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Amtsgericht Delmenhorst Schwänzer vor dem Arrest erreichen

Um dem steigenden Schulabsentismus entgegenzuwirken, will das Amtsgericht Delmenhorst künftig den Weg über das Familiengericht gehen. Damit sollen Jugendliche erreicht werden, ehe es in Arrest geht.
20.03.2018, 18:43 Uhr
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Schwänzer vor dem Arrest erreichen
Von Esther Nöggerath

Schulschwänzern nicht nur einfach eine Strafe aufdrücken, sondern die Ursachen für das Wegbleiben ausmachen und nachhaltige Lösungen für ihr Problem finden – das will das Amtsgericht Delmenhorst nun angehen. Denn allein im vergangenen Jahr liefen bei den zuständigen Richtern 432 solcher Schulversäumnisverfahren auf, 2016 waren es noch 383. "Das zeigt ja auch, dass das derzeitige Verfahren gegen Schulschwänzer nicht den gewünschten Effekt hat", sagt Detlev Lauhöfer, seit Herbst vergangenen Jahres der neue Direktor vom Delmenhorster Amtsgericht.

Derzeit werden in der Stadt Delmenhorst sowie in der Gemeinde Ganderkesee, für die das Amtsgericht ebenfalls zuständig ist, Bußgelder gegen Schulverweigerer verhängt. Jeder, der älter als 14 Jahre ist und nicht zur Schule geht, muss mit einem Bußgeld von 200 Euro rechnen. Da viele Jugendliche das Geld aber nicht bezahlen können, wird dann beim Jugendrichter beantragt, die Geldstrafe in gemeinnützige Arbeit umzuwandeln. 25 Stunden müssen die Jugendlichen meistens verrichten, zum Arbeitsantritt erscheinen aber auch nicht alle. Dann droht Arrest. "Das ist ein Verfahren, das uns seit Langem beschäftigt", berichtet Gerichtssprecher Thomas Pünjer, der bemängelt, dass auf diesem Weg der pädagogische Aspekt völlig außer Acht gelassen wird.

Das soll sich jetzt ändern, indem das Amtsgericht künftig einen weiteren Schritt in die Reihenfolge des Verfahrens zwischenschiebt: Bevor es zum tatsächlichen Arrest kommt oder überhaupt zur Anordnung eines solchen, sollen die Schulschwänzer-Fälle ans Familiengericht weitergegeben werden. "Das Ganze läuft dann unter den Sorgerechtsverfahren", erklärt Lauhöfer. Denn dann können die Eltern mit ins Boot geholt und die Ursachen für das Fernbleiben aus den Schulen bei den Jugendlichen ermittelt werden. "Dahinter steht oft die Frage, was in den Familien passiert", erzählt der Direktor. Oft sei Mobbing ein Problem, zunehmend hätten Schüler auch mit Depressionen zu kämpfen. "Da können wir dann als Gericht vielleicht auch einen anderen Zugang zu den Familien bekommen", sagt Lauhöfer. Wenn die Ursache geklärt sei, könne man dann weitere Maßnahmen in die Wege leiten, etwa einen Therapeuten einschalten oder die Eltern und Jugendlichen an andere Beratungsstellen vermitteln.

Im Rahmen einer Pilotstudie hat Lauhöfer dieses Vorgehen auch bereits am Amtsgericht Wildeshausen auf den Weg gebracht. Dort startete man im vergangenen Sommer mit dem Verfahren – mit Erfolg. "Von 18 Verfahren ist letztlich nur eines im Arrest geendet", berichtet Lauhöfer, der das System nun auch auf Delmenhorst übertragen möchte. Noch in diesem Jahr soll das Ganze angegangen werden.

Das Amtsgericht erhofft sich dadurch, die Schüler auch wirklich zu erreichen und dazu zu bewegen, wieder zur Schule zu gehen. Das sei bei dem bloßen Bußgeldverfahren nicht der Fall. "Es gibt auch Fälle, wo das System funktioniert", erklärt Prünjer. Das seien oftmals Schüler, die nur gerade eine Phase durchmachen würden und sich durch das Bußgeld eines Besseren belehren lassen. Aber dann gibt es da eben auch die Fälle, in denen Geldstrafen, Arbeitsdienst oder gar Arrest nicht fruchten. Zumal es in vielen Fällen letztendlich gar nicht zum wirklichen Arrest kommt, auch wenn dieser verordnet wurde. "Wenn die Jugendlichen dann nicht erscheinen, kommt die Polizei zu ihnen nach Hause, um sie abzuholen", erzählt Prünjer. Nicht selten würden dann die Eltern oder auch die Großmutter das Portmonee zücken und eben das Bußgeld doch bezahlen. Da ist der pädagogische Effekt gleich Null. "Die Jugendlichen erreicht man damit gar nicht", bedauert Prünjer.

Das soll der Weg über das Familiengericht ändern. "Es gibt sicherlich auch Jugendliche, die man damit nicht erreichen kann", sagt Lauhöfer, der hofft, durch das Verfahren das Problem zumindest ein bisschen abmildern zu können. Ein Allheilmittel ist der Weg aber nicht. "Eigentlich müsste man eingreifen, bevor es überhaupt zum Bußgeldbescheid kommt", erklärt der Direktor. Das anzugehen, sei aber ein umfangreicher Schritt und langfristig anzugehen, weil viele verschiedene Instanzen wie Schulen, Stadt oder Jugendamt darin verwickelt sind. "Dafür müssen alle mit ins Boot geholt werden."

Einen ersten Schritt in die Richtung hat Delmenhorst bereits getan. Im November gab es eine Fachtagung „Schulabsentismus“, an der sich Vertreter verschiedener Instanzen beteiligten. Daraus resultierend gab es vor zwei Wochen ein Treffen, aus dem heraus nun Arbeitsgruppen gebildet wurden, die sich intensiv mit dem Thema auseinandersetzen wollen. "Es geht darum, Lösungsansätze zu finden, um diesem auch den Zahlen nach deutlich vernehmbarem Problem begegnen zu können", erklärt Siegfried Deckmann, der sich seit Längerem mit dem Thema beschäftigt. Das Modell vom Amtsgericht wertet er als positiv, wenn auch nicht als Allheilmittel: "Alles, was versucht wird, um den Arrest zu vermeiden, ist sinnvoll", sagt er. Denn der sei kein probates Mittel gegen Schulverweigerung.

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