Die Zentrale Notaufnahme (ZNA) am Delme Klinikum Delmenhorst (DKD) ist zuständig für alle medizinischen Notfälle, die eine Behandlung im Krankenhaus benötigen. 26.000 Patienten wurden dort in 2023 vorstellig. Hier arbeiten 23 Pflegekräfte, die bei Weitem nicht nur für die Pflege zuständig sind, und auf Zuruf zahlreiche Ärzte aus den jeweiligen Fachbereichen. An einem Dienstag im September bin ich auch mittendrin. Thorsten Westendorf, Stationsleitung der ZNA, hat Frühdienst. Ich begleite ihn auf seiner Schicht.
Thorsten ist seit 44 Jahren im DKD beschäftigt
In aktuell drei Schichten sind die Pfleger rund um die Uhr im Dienst. Thorsten – wir haben uns aufs Du geeinigt, so wie es im Delme Klinikum üblich ist – muss bis 14.12 Uhr ran. Aufgrund der 38,5-Stunden-Woche ist diese krumme Uhrzeit kein Scherz. Anders als in anderen Berufen können die Pfleger ja nicht am Freitag schon zweieinhalb Stunden eher in den Feierabend gehen. Seit 44 Jahren arbeitet er im DKD, er zählt zu den erfahrensten Kräften im Haus und kennt mindestens in der ZNA jeden Winkel.
Zu den wichtigsten Räumen zählt die Überwachungszentrale in der Mitte der ZNA. Dort hängen mehrere große Bildschirme, hier haben die Pfleger die aktuelle Situation über das Tool "Cockpit" komplett im Blick. "Wir vergessen keinen Patienten", sagt Thorsten. Auf einem Bildschirm sind alle Patienten, die sich gerade in der Notaufnahme befinden, inklusive der Symptome und weiterer wichtiger Hinweise dokumentiert. Bei einer Patientin steht "Isolation", sie hat einen Krankenhauskeim und darf deshalb nicht im Wartezimmer Platz nehmen, sondern wird direkt in einem speziellen Isolationszimmer untergebracht. Auf dem Nebenbildschirm schlägt das Herz eines alten Mannes – zumindest werden dort sein Herzrhythmus und Puls dargestellt. Auf wiederum einem anderen Bildschirm ist "IVENA eHealth" geöffnet. Das ist eine Anwendung, die es den Akteuren in der präklinischen und klinischen Patientenversorgung ermöglicht, sich jederzeit in Echtzeit über die aktuellen Behandlungskapazitäten und Versorgungsmöglichkeiten der Krankenhäuser zu informieren.
Rettungswagen aus Bremen fährt Delme Klinikum an
In der ZNA sind aktuell Kapazitäten frei. Deshalb steuert ein Rettungswagen des Rettungsdienstes in Bremen die Klinik in Delmenhorst an. Auf der Trage liegt ein Mann aus Bremen, der zuletzt an Hypertonie (Bluthochdruck) litt. Das berichtet die Rettungssanitäterin bei der Übergabe, bei der ich dabei sein darf. Generell gibt es für mich an diesem Tag keine Grenzen, sofern der Betrieb nicht gestört und die Persönlichkeitsrechte gewahrt werden. Der Bremer ist bei der Arbeit von einem Stuhl aufgestanden und dann bewusstlos geworden. Ihm ist schwindelig, sein Zustand ist aktuell aber stabil. Er scherzt: "Ich bin das erste Mal in Delmenhorst. Ihr müsst einen guten Eindruck auf mich machen."

Thorsten Westendorf, Stationsleiter der Zentralen Notaufnahme, erklärt einem Patienten den Ablauf bei der EKG-Messung.
Pfleger Thorsten triagiert jetzt: Welche Symptome? Vorerkrankungen? Diabetiker? Puls? Blutdruck? Allergien? Das Triage-System nach ESI (Emergency Severity Index) kategorisiert Patienten in der Notaufnahme basierend auf der Schwere ihrer Symptome und dem benötigten Ressourcenaufwand. Es gibt fünf Stufen, von ESI 1 (lebensbedrohliche Zustände, sofortige Behandlung) bis ESI 5 (nicht dringend, keine Ressourcen benötigt). Ziel ist es, Patienten schnell und effizient entsprechend ihrer Dringlichkeit zu versorgen.
Im vergangenen Jahr waren fünf Prozent aller Patienten Bagatellen – beispielsweise Patienten mit einer Erkältung. Sie wurden in die letzte von fünf Triagestufen eingeteilt. "Ganz ehrlich: Die wissen selbst nicht, warum sie hier sind oder was sie hier wollen", ärgert sich Thorsten. Diese Patienten seien jene, die sich über lange Wartezeiten aufregen würden. Was Thorsten mir erzählt, regt zum Kopfschütteln an: Wer keine Lust hat, auf einen Termin beim Facharzt oder Hausarzt zu warten, verhalte sich wirklich kranken Menschen gegenüber einfach unsolidarisch. Er sagt: "Viele dieser Patienten halten sich für sehr krank oder werden von Dr. Google in die Notaufnahme geschickt." Derweil zählten 2023 40 Prozent zur vorletzten Stufe, auch davon gehören zahlreiche Fälle nicht in eine Notaufnahme. Anders sieht es bei den Stufen 1 (Leben in Gefahr) sowie 2 (schwer erkrankt) und 3 (stationäre Einweisung) aus.
Digitale Hilfen nehmen auch in der Notaufnahme zu
Der Mann aus Bremen wird in Stufe 3 eingeteilt. Thorsten macht noch ein EKG, das die Funktion des Herzens überprüft. "Das sieht für mich gut aus", hält er fest. Seit einiger Zeit werden die Werte direkt vom Gerät digital übermittelt, sodass der Arzt alle Informationen hat, wenn er sich den Patienten anguckt. Thorsten freut sich über diese Entwicklung, die die Arbeit erleichtert. Für uns ist die Arbeit an dem Patienten erst mal erledigt. Jetzt schaut sich der Arzt den Patienten an und trägt im System ein, welche Schritte als Nächstes nötig sind.

Mittels einer Blutgasanalyse (BGA) lassen sich in wenigen Sekunden Aussagen über die Sauerstoff- und Kohlendioxid-Verteilung im Blut treffen.
Wir gehen zurück in den zentralen Überwachungsraum. Hier steuert Thorsten auf ein Regal zu, in dem eine Blutprobe einer anderen Patientin liegt. Diese haben wir bisher nicht gesehen – das macht aber nichts. Ein Blick auf einen der Bildschirme reicht, um zu wissen, worum es sich handelt. Wir schnappen uns das Blut und gehen in einen Nebenraum. Mittels einer Blutgasanalyse (BGA) lassen sich binnen weniger Sekunden Aussagen über die Sauerstoff- und Kohlendioxid-Verteilung im Blut treffen. "Wir haben hier zwar kein Labor, das wird sich im Klinik-Neubau ändern, aber wir können mit der BGA erste Werte einfach einsehen", erklärt Thorsten. Aufgrund der Zahlen geht er davon aus, dass die Patientin an Anämie (Blutarmut) leidet. Ein späterer Blick auf den Bildschirm im "Cockpit" bestätigt, dass es so ist.
Corona-Fälle nehmen wieder zu
Während das Patientenaufkommen in der ZNA an diesem Dienstagmorgen zunächst verhalten ist, sieht es unterdessen in anderen Stationen des DKD anders aus. "Wir haben ein volles Haus, die Intensivstation hat aktuell keine Kapazitäten", berichtet Oberärztin Kathinka Reller in einer täglich stattfindenden Konferenz in einem Besprechungsraum in der ZNA, den kein Patient zu Gesicht bekommt. Aktuell häufen sich wieder die Corona-Fälle, wird erzählt.

Der Blick vom Rettungswagen auf den Eingang der Notaufnahme in Delmenhorst.
Auch auf den Stationen sieht es gerade nicht besser aus. "Wir haben aktuell kein Bett frei, deshalb muss gewartet werden, bis eins freigegeben wird", erklärt Thorsten. In solchen Fällen kommt die sogenannte Holding ins Spiel. Hier werden ZNA-Patienten sowie Patienten der angrenzenden Endoskopie "geparkt". In Ausnahmefällen, beispielsweise an Pfingsten, wenn zahlreiche Sportturniere stattfinden, liegen Patienten dann auch auf den Fluren, sagt der Stationsleiter.
Das spielt für die nächste Patientin keine Rolle. Sie holen wir im Wartebereich 1, gleich neben dem Empfang, an dem die Patienten beispielsweise ihre Krankenkassenkarte abgeben, ab. Benötigt wird ein Rollstuhl, weil sie Schmerzen hat. Wo genau, wird für mich zunächst nicht ganz klar. Die Frau kann kein Deutsch. Im Behandlungszimmer fragt Thorsten in mehreren Varianten die Standardfragen für die Triage ab, das gelingt mehr oder weniger. Sie hat schon seit einer Woche Schmerzen im Bein, die jetzt nach einer Sporteinheit wesentlich schlimmer geworden sind. Thorsten schildert, dass immer mehr Menschen ohne Deutschkenntnisse kommen würden: "Das macht die Triage schon schwieriger. Man kann die zehn Minuten dann kaum noch einhalten." Grundsätzlich ist vorgesehen, innerhalb von zehn Minuten nach der Ankunft den jeweiligen Patienten begutachtet zu haben. Die Frau wird in der vierten Kategorie eingestuft – und muss gegebenenfalls längere Wartezeiten im Wartezimmer in Kauf nehmen, bis sich ein Arzt um sie kümmern kann.

Am Empfang stellt sich jeder ZNA-Patient vor.
Richtung Ende der für mich kürzeren Schicht kann ich verstehen, wieso man die Arbeit in der Notaufnahme mit Leidenschaft ausübt. Man hilft Menschen in schwierigsten Lagen und rettet im Zweifel ihr Leben. Auch wenn es zwischendurch mal nervig wird, weil manche Patienten ihr Ego heraushängen lassen. Thorsten macht das seit 44 Jahren und ist noch immer nicht satt. "Das Schönste an unserem Beruf ist, dass man die Erfolge sieht, wenn schmerzgeplagten Menschen geholfen werden kann," sagt er, und weiter: "Das Wichtigste aber ist unser Team. Damit steht und fällt alles in einer Notaufnahme. Wir arbeiten Hand in Hand und ich bin stolz auf unsere Mannschaft."