Die Fotos kennt jeder. Wenn eine Mannschaft einen großen Sieg gelandet hat, lässt sie sich vor der Anzeigetafel mit dem Endstand ablichten. Das taten auch die American Footballer der Delmenhorst Bulldogs nach ihrem Landesliga-Spiel bei den Aurich Eastfrisian Ducks. Das Ungewöhnliche daran: Sie hatten gerade krachend mit 3:44 (3:13) verloren. Auf Wunsch von Headcoach Tyrus Morgan mussten sich die Spieler nach dieser herben Pleite noch vor die Anzeigetafel stellen. Morgan machte ein Foto, das er dann in die Teamgruppe bei Whatsapp stellte. Ein Griff in die psychologische Trickkiste. Das Foto solle seinen Spielern als bildgewordene Mahnung im Gedächtnis bleiben, betonte der Coach. "Damit sie nicht vergessen, was passiert, wenn man einen Gegner unterschätzt."
In die Partie gegen Aurich waren die Delmenhorster als klarer Favorit gegangen. Hatten sie doch im Vorfeld sechs Spiele gewonnen. Die zuvor einzige Saisonniederlage hatten die Bulldogs am grünen Tisch kassiert: Gegen die Bremen Bulls waren sie aufgrund von einem Dutzend Corona-Fällen nicht angetreten, die Begegnung wurde dann mit 0:20 gegen sie gewertet. Bei den Eastfrisian Ducks hatten die Delmenhorster somit erstmals auch sportlich das Nachsehen. Der Hauptgrund für die herbe Pleite war für Morgan klar: "Man kennt das auch vom Boxen. Wenn du einen Gegner nicht für voll nimmst, passt du einmal nicht auf, und plötzlich haut er dir richtig in die Fresse."
Pendergrass verletzt sich
Quarterback Simon von Kosodowski fehlte weiterhin, weil ihn Probleme mit dem Ischiasnerv plagen. Seine Rolle übernahm erneut Deandre Pendergrass, der jedoch frühzeitig verletzt ausschied. Daraufhin fungierte der unerfahrene Maurice Lübcke als Quarterback. "Er hat einen sehr guten Job gemacht", unterstrich Morgan. "Dass wir verloren haben, lag nicht am Quarterback." Vielmehr leisteten sich die Bulldogs am Anfang zu viele vermeidbare Fehler, die die Gastgeber eiskalt bestraften. Das erste Viertel ging mit 12:0 an Aurich. Den zweiten Abschnitt entschieden die Ostfriesen mit 13:3 für sich. Die drei Punkte machten die Bulldogs durch ein kurioses Field Goal von Deniz Altuntas, bei dem der Ball gegen den einen Pfahl prallte und dann reinsprang.
"In der ersten Halbzeit wäre mehr drin gewesen, in der zweiten Halbzeit war der Gegner dann klar besser", sagte Morgan. Vor allem die O-Line gab den Ausschlag zugunsten der Eastfrisian Ducks. "Da waren sie körperlich umheimlich stark. Wir hatten überhaupt keine Chance. Wenn ihre O-Line immer so gut spielt, verlieren die kein Spiel mehr", schilderte Morgan. 0:6 hieß es aus Sicht der Bulldogs im dritten Viertel sowie 0:13 im letzten Viertel.
"Man muss sich immer auf den Gegner konzentrieren, der vor einem steht, und nicht schon an andere Sachen denken", hielt Morgan fest. Damit spielte der Headcoach darauf an, dass einige seiner Spieler womöglich mit den Gedanken schon beim anstehenden Topspiel gegen den Spitzenreiter Bremen Bulls am kommenden Sonntag (15 Uhr) waren. Durch die Niederlage in Aurich haben die Delmenhorster im Kampf um den ersten Platz an Boden verloren. Die Bremer weisen 14:2 Punkte auf, während die Bulldogs nun 12:4 Zähler auf dem Konto haben. In der Landesliga Nord gibt es drei Staffeln, die Sieger ziehen ebenso wie der beste Zweite in die Playoffs ein. Der Landesliga-Meister schafft am Ende den Aufstieg in die Verbandsliga, die fünfthöchste Spielklasse.
Niederlage verarbeiten
Mit solchen Themen will sich Tyrus Morgan derzeit nicht beschäftigen. "In der Mannschaft reden alle schon von den Playoffs, aber mir ist die Tabelle egal. Ich beschäftige mich nicht mit den Playoffs, wir müssen von Spiel zu Spiel schauen", betonte der Headcoach. Die nächste Partie steht nun also bei den Bremen Bulls an, und bis dahin muss die erste sportliche Saisonniederlage verkraftet werden. "Niederlagen können ein Team zusammenschweißen oder auseinanderbringen", weiß Morgan. Dass die Bulldogs in der vergangenen Spielzeit ausschließlich verloren, könne ihnen nun helfen, glaubt der Headcoach. "Wir hatten lange kein Spiel mehr verloren, aber wir wissen aus der letzten Saison trotzdem noch, wie man mit Niederlagen umgeht."
Das Aurich-Spiel müsse nun schnell abgehakt werden. "Gegen die Bulls müssen wir Vollgas geben, alles andere bringt nichts", blickte Morgan voraus. Deandre Pendergrass kann trotz seiner Verletzung voraussichtlich gegen die Bremer spielen. Auch Quarterback von Kosodowski will unbedingt dabei sein, doch sein Einsatz entscheidet sich kurzfristig. "Vielleicht war die Niederlage gegen Aurich ein Weckruf zur richtigen Zeit", sagte Morgan, der hofft, dass er seine Spieler am kommenden Sonntag wieder mit der Anzeigetafel fotografieren kann – dann aber nicht als Psychotrick, sondern aus purer Freude.
