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Beerdigung in Delmenhorst Tabu Fehlgeburt: Eine Reportage über Abschied und Verlust

Mindestens jede dritte Frau in Deutschland erlebt in ihrem Leben eine Fehlgeburt. In Delmenhorst wird zweimal im Jahr die Beerdigung von Sternenkindern organisiert. Wie Trauer und Liebe unvergessen bleiben.
28.11.2024, 11:56 Uhr
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Tabu Fehlgeburt: Eine Reportage über Abschied und Verlust
Von Sebastian Hanke

Die Stille in der kleinen Kapelle auf dem Friedhof in Bungerhof ist drückend. Nur das leise Schluchzen einer Mutter durchbricht sie. Heute wird Abschied genommen – von Sternenkindern, deren Leben kaum begann und die doch Spuren hinterlassen. Es wird Abschied genommen von all den Hoffnungen und Vorstellungen, die sich entwickelten, als der zweite Strich auf dem Schwangerschaftstest erschien. Und gleichzeitig liegt inmitten der Trauer etwas Heilsames: Die gemeinsame Beerdigung der Sternenkinder, die vom Delme Klinikum Delmenhorst (DKD) zweimal im Jahr organisiert wird, zeigt, dass man mit seinem Schicksal nicht allein ist.

Vorne steht eine winzige, hellgraue Urne. Daneben brennen Kerzen, ihre Flammen flackern, als könnten sie die Fragilität des Moments spüren. Pfarrerin Tabina Bremicker, die gemeinsam mit Pastoralreferentin Silvia Kramer Krankenhausseelsorgerin ist, spricht zwischen den Orgelstücken. Ihre Worte gehen unter die Haut – auch wenn man gar nicht betroffen ist. "Nach den Sternen greifen – sagen wir und meinen damit: etwas Besonderes, etwas Schönes und Bedeutendes, nach dem wir uns ausstrecken. Vielleicht ein Traum, den wir träumen, einen Plan, den wir verwirklichen wollen", sagt sie. Und weiter: "Sterne – so sagt man – geben uns Halt. Sie sind kleine Lichtpunkte, die schon die Seeleute früher zur Navigation auf See nutzten. In einer klaren Nacht siehst Du Tausende von ihnen. Darunter auch die Milchstraße. Ein weißes Band aus Licht, das alle Sterne zusammenzuhalten scheint." Es ist, als ob die Zeit in dieser Kapelle angehalten wurde. Alles steht still, um das zu ehren, was so kurz da war: ein Hauch von Leben, ein Versprechen von Liebe, und ein Schmerz, der für immer bleibt.

Schätzungen: Jede dritte Frau erlebt mindestens eine Fehlgeburt

Unsere Redaktion durfte die Veranstaltung besuchen. Im Vorfeld und Nachgang fanden Gespräche statt. Schon am Telefon sagte Pfarrerin Bremicker: "Eine Fehlgeburt betrifft viele Eltern und Familien." Nach Schätzungen des Berufsverbands der Frauenärzte erlebt etwa jede dritte Frau mindestens eine Fehlgeburt. Die Dunkelziffer dürfte aber deutlich höher sein, denn Fehlgeburten sind in Deutschland erst ab der 24. Schwangerschaftswoche oder einem Gewicht ab 500 Gramm meldepflichtig.

Rund 150 Frauen betreut das DKD im Jahr wegen einer Fehlgeburt. Wenn im Klinikum ein Kind tot auf die Welt kommt, gibt es verschiedene Abläufe. Tote Kinder mit einem Gewicht von unter 500 Gramm befinden sich in einem rechtsfreien Raum, sie dürften sogar mit nach Hause genommen werden, erklärt Dr. Katharina Lüdemann, Chefärztin der Frauenklinik. Üblicherweise werden die Leichname im DKD jedoch gesammelt und anschließend an die Pathologie in Bremen überstellt.

Lüdemann wünscht Enttabuisierung des Themas

Vorher hätten die Eltern genügend Zeit, sich von ihrem Kind zu verabschieden. Wer wünscht, kann dabei auch Fotos machen lassen. Auf Anfrage haben die Seelsorgerinnen ein offenes Ohr. Die Bestattung der Sternenkinder organisiert das DKD seit mehr als 15 Jahren zweimal im Jahr. "Es ist wichtig, das Thema zu enttabuisieren. Es sind so viele Paare betroffen", so Lüdemann.

Oftmals tragen diese Kinder auch einen Namen. Denn seit 2013 dürfen Sternenkinder nach einer Gesetzesänderung unabhängig von ihrem Gewicht beim Standesamt als Mensch erfasst werden und offiziell einen Vornamen tragen. Eltern können eine offizielle Geburtsurkunde ausstellen lassen. "Das hilft bei der Bewältigung der Trauer", meint Bremicker: "Das Kind ist nicht weg, es ist immer da. Die Eltern sind Eltern geworden, auch wenn das Kind nicht lebt." Bei Kindern mit einem Gewicht von über 500 Gramm handelt es sich ganz offiziell um eine "Totgeburt", diese erhalten eine Geburtsurkunde mit Sterbevermerk und werden einzeln bestattet.

Sterne als Kraftgeber

Nach der Zeremonie tritt die Trauergemeinde langsam aus der Kapelle hinaus. Die Luft ist kühl und der Himmel darüber glasklar – wie ein Fenster zu jenen Sternen, von denen gesprochen wurde. Glocken läuten, ihr Klang trägt die Stille. Der Weg führt über den Friedhof zu einem eigenen Gräberfeld für die Sternenkinder. Die Sonne wirft ein sanftes Licht auf die kleinen Gedenksteine. Auf einem Engel, der über die Gräber wacht, stehen die Worte: „Du lebst in unseren Herzen.“ Ein Hauch von Trost liegt in diesen Worten. Sie erinnern daran, dass Liebe nicht an Zeit gebunden ist. Die kleinen Sterne mögen nicht mehr da sein, doch ihr Licht bleibt – tief in den Herzen derer, die sie nie vergessen werden.

Zur Sache

Wie es zur Fehlgeburt kommen kann

Frühe Fehlgeburten, die meist in den ersten zwölf Wochen der Schwangerschaft auftreten, haben unterschiedliche Ursachen. "Es liegt fast nie an einem Fehlverhalten oder Medikamenten", heißt es vom DKD. Die häufigste Ursache ist eine chromosomale Abweichung, die in etwa 50 bis 70 Prozent der Fälle vorkommt. Dabei treten Fehler während der Zellteilung auf, wodurch der Embryo genetisches Material erhält, das nicht lebensfähig ist. Auch hormonelle Probleme können eine Rolle spielen, wie ein Progesteronmangel aufgrund einer Gelbkörperschwäche oder eine Dysbalance der Schilddrüsenhormone.

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