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Zum Abschied von Werder aus der Bundesliga Im Herzen noch groß

Das Unvorstellbare ist geschehen. Nach 40 wilden Jahren muss Werder Bremen die Bundesliga verlassen. Dank seiner außergewöhnlichen Vergangenheit begleiten den Verein viele Sympathien in eine ungewisse Zukunft.
23.05.2021, 09:00 Uhr
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Im Herzen noch groß
Von Jean-Julien Beer

Als es vorbei war, ging Thomas Schaaf den Rasen des Weserstadions entlang, ganz alleine in Richtung Kabine. Er wirkte verloren in seinen Gedanken. Auf diesem Spielfeld hatte er mit Werder so oft Geschichte geschrieben, Meisterschaften gefeiert und die berühmten Wunder von der Weser vollbracht, Diego Maradona geschlagen und die Bayern vermöbelt. Es waren die schönsten Jahre. Es ist lange her.

Jetzt musste Schaaf seinem Bundesligaverein das letzte Geleit geben. Die Rettungsmission glückte nicht, Werder stürzt hinab in die Zweitklassigkeit. Schaaf ist schon lange im Geschäft, er weiß um die Gefahr, dass er Werders letztes Bundesligaspiel für sehr lange Zeit erlebt haben könnte. Er hadert damit, das merkt man. Der Bremer Traditionsverein steht nun vor einer ungewissen Zukunft. Auch andere sind schon abgestiegen, natürlich, ebenfalls Vereine mit großer Geschichte. Aber längst nicht alle schafften den schweren Weg zurück.

Viele Menschen sind nun enttäuscht, so wie Thomas Schaaf – in Bremen und weit darüber hinaus. Viele von ihnen haben es kommen sehen, aber das macht es ja nicht besser. Zum Beispiel Reinhold Beckmann, der bekannte TV-Journalist und Musiker, aufgewachsen vor den Toren Bremens, ein Fußballexperte mit grün-weißer Seele. Vor einer Woche schon, nach der Niederlage in Augsburg, hatte er kaum noch Hoffnung. Zum ersten Mal in seinem Leben, erzählt Beckmann, musste er nach dem Schlusspfiff einen Schnaps trinken. Die Wucht des Abstiegs haut ihn aus der Balance. „Was soll jetzt nur werden aus Werder Bremen?“, fragt er und spürt, dass hier ein Kapitel traurige Fußballgeschichte geschrieben wird: „Die Bundesliga verliert damit nicht irgendeinen Verein. Sondern den SV Werder Bremen, den Dritten der ewigen Bundesliga-Tabelle. Es ist unvorstellbar.“

Nichts drückt Werders eigentliche Größe besser aus als die Pokale im Wuseum und diese Ewige Tabelle. Nur Bayern München und Borussia Dortmund haben in ihrer Geschichte mehr Punkte geholt als die Bremer, das verlorene Heimspiel an diesem Wochenende war die 1934. und vorerst letzte Partie in der Bundesliga.

Es ist so schön wie bitter, welche Zuneigung den SVW in diesen schweren Tagen begleitet. Egal, wo man hinhört in Fußballdeutschland, kaum einer sagt: Gut, dass die endlich weg sind. Im Gegenteil. Dieser Verein verbucht viel mehr

Sympathien als Punkte. Als der ewige Nordrivale HSV abstieg, war das ganz anders. Hamburg gönnten viele den verdienten Abstieg. Endlich!

Werder hatte unendlich viele tolle Spieler

Diese besondere Liebe für Werder ist eine Liebe zum schönen Fußball. Die Bremer eroberten die Herzen der Menschen mit ihren Europacupschlachten, mit diesem begeisternden Offensivspiel, mit ihren tollen Typen, denen man so gerne zusah. Otten, Votava, Völler, Eilts, Burgsmüller, Rufer, Herzog, Bode, Diego, Micoud, Ailton, Pizarro – man könnte diese Aufzählung vielfach fortführen und käme nie zu einem Ende. Aber es ist eben auch die Liebe zur Vergangenheit. Romantisch, aber lange vorbei. Das Werder von heute ist noch grün-weiß, aber keine feine Adresse mehr im Fußball.

Es war ein schleichender Abstieg. Und man könnte lange diskutieren, wann und warum es anfing, dass Werder seinen Zauberfußball verlor, während immer mehr alimentierte Klubs mit Konzernen im Rücken die Bundesliga im Sturm eroberten. In Leipzig, in Wolfsburg, in Hoffenheim. Oder welchen Anteil diese Pandemie hat, die den wirtschaftlich ohnehin schon taumelnden Bremern den Rest gab. Ehrlicherweise muss man aber auch sagen: Im Verdrängungswettbewerb Bundesliga wurde Werder auch durch eigene Fehler immer kleiner, durch falsche Personalentscheidungen und verpasste Chancen. Denn richtig ist ja auch: Es gibt sie noch, diese eher familiären Vereine in der Bundesliga. Ob Mainz 05, Union Berlin, VfB Stuttgart, Arminia Bielefeld oder der SC Freiburg – sie alle blieben drin, weil sie es besser gemacht haben als die Bremer.

Werder war mal sehr viel größer. Mit Otto Rehhagel und Willi Lemke begann nach dem Abstieg 1980 und dem Wiederaufstieg eine grandiose Zeit, 40 wilde Jahre vergingen bis zum zweiten Abstieg. Werder gewann zwischen 1988 und 2009 neun wichtige Titel, Meisterschaften, DFB-Pokale und den Europacup. Werder war oft der Rivale des FC Bayern. Hier Hoeneß, da Lemke – die Leute liebten diesen Klassenkampf. Künftig spielt Werder eine Klasse tiefer.

Vielleicht kann man die Endphase der Ära Schaaf/Allofs nach 2010 als großen Wendepunkt nehmen - und den Weggang von Max Kruse 2019 als kleinen. Das historische Double 2004, meint Klaus Allofs, „hat Werder noch einmal einen gewaltigen Schub an Popularität gegeben“. Viele Jahre spielte man in der Champions League mit und verdiente dort sehr viel Geld, dank sehr großer Spieler. Als die Königsklasse aber verpasst wurde, fehlte das Geld für die großen Stars. Allofs: „So konnten wir viele Dinge nicht mehr umsetzen wie in den Jahren zuvor. Vorher war es immer so: Wenn ein Micoud aufhörte, kam ein Diego. Als der ging, kam Özil. Das beliebig fortzusetzen, hat nicht funktioniert, weil wir uns nicht mehr auf dem ganz hohen Niveau bewegen konnten.“

2019 hätte die Rückkehr in den Europapokal fast geklappt, unter der Regie von Frank Baumann wollte Werder mehr sein als ein Klub, der nicht absteigt. Im besten Jahr von Trainer Florian Kohfeldt landete man mit starken 53 Punkten auf Platz acht, ein Pünktchen fehlte fürs internationale Geschäft und damit für die größeren Geldtöpfe. In jedem Jahr davor hätten diese 53 Punkte für den Europapokal gereicht. Diesmal nicht. Nach der Saison ließ Werder Kruse gehen, den letzten außergewöhnlichen Spieler, und betrachtete das fatalerweise als Chance, sich breiter aufzustellen. Doch alles, was danach kam, war deutlich schmalbrüstiger, in der Summe aber viel teurer. Damit war die Chance vertan, wieder größer zu werden, so wie Mönchengladbach oder Eintracht Frankfurt das nach ihren überstandenen Abstiegskampf-Dramen vorgemacht hatten.

Und jetzt? Statt von Europa zu träumen, muss Werder fortan mit deutlich weniger Geld auskommen, obwohl durch die Pandemie eine Schuldenlast von bis zu 75 Millionen Euro drückt. Zudem schmerzen in der zweiten Liga Einnahmeverluste in Höhe von 40 Millionen Euro durch geringere TV- und Sponsoringzahlungen. Zwar sinken auch die Gehälter, aber sicher auch die sowieso schon überschaubare Qualität des Kaders. Mit jedem weiteren Jahr in der zweiten Liga würden die Einnahmen noch geringer. Gelingt Werder nicht der direkte Aufstieg, so wie 1980/81, könnte die zweite Liga zur Falle werden.

Einnahmeverluste für Stadt und Region

Auch die Stadt und die Wirtschaft der Region schauen darauf. Es gibt Studien, wonach bei Werder-Heimspielen in einer normalen Erstligasaison allein durch Verzehr und Anreise der Stadionbesucher ein regionaler Ertrag von etwa 15 Millionen Euro entsteht. Die Stadt Bremen befürchtet Rückgänge im Hotel- und Gastronomiebereich in Millionenhöhe. Insgesamt liegt die Wertschöpfung des Vereins inklusive Übernachtungen und touristischer Nutzungen laut einer Nielsen-Studie bei rund 300 Millionen Euro jährlich. Als Erstligist. Mit Werder steigt Bremens weltweit wohl größter Werbeträger der vergangenen Jahrzehnte in die Zweitklassigkeit ab. 

Wenigstens ist Werder in der zweiten Liga von einigen Traditionsvereinen umzingelt, die zwar alle auch wieder aufsteigen wollen, dabei aber auch viele Fans mobilisieren. Schalke vor allem, auch Hannover und der HSV, Nürnberg oder Düsseldorf – wenn Corona es denn zulässt, wird das Weserstadion im ersten Jahr oft voll sein.

Abgestiegen ist Werder vor leeren Rängen, mit leeren Kassen und wegen einer blutleeren Mannschaft. In den Herzen der Menschen aber bleibt Werder groß. Jetzt liegt es am Verein selbst, sich wieder so aufzuraffen, dass er dieser großartigen Liebe gerecht wird.

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