Vielleicht ist Jiri Pavlenka der einzige Spieler bei Werder, der einen noch größeren Kredit hat als sein Arbeitgeber. Während sich der Verein zuletzt bei Banken und Anlegern fast 40 Millionen leihen musste, hat der Torhüter seinen Kredit von den Fans bekommen – und ist dafür durch starke Paraden in Vorleistung getreten, mit denen er sich in seinen ersten Jahren einen Namen gemacht hat. Die Krake wurde er schon früh in Bremen genannt, in Anerkennung seiner beachtlichen Reflexe, wenn er sich mit seinen riesig wirkenden Armen und Beinen vor dem Gegner breitmacht.

Grün auf weiß ist die Werder-Kolumne des WESER-KURIER, in der Chefreporter Jean-Julien Beer einen Blick hinter die Kulissen des Bundesligisten wirft, Zusammenhänge erklärt und die Entwicklungen im Verein einordnet.
Viele Fans haben diese Paraden nicht vergessen, zumal einige davon wichtig für Werder waren. Und normalerweise hätten diese Paraden dazu führen können, dass ein anderer Verein viel Geld für diesen Torhüter bezahlt. So war ja auch der Plan, als der Tscheche im Jahr 2017 von Slavia Prag nach Bremen wechselte. Werder sollte für ihn das Sprungbrett für eine größere internationalen Karriere sein.
Doch diese Hoffnung hatte nie Hand und Fuß. Denn: So überragend Pavlenka mit der Hand parierte, so schwach spielte er den Ball mit dem Fuß. Die Großvereine strichen ihn von der Liste, wenn sie das sahen. Im modernen Fußball wollen die ambitionierten Mannschaften einen sicher mitspielenden Torwart.
Mit dem Kredit, den Fußballspieler bei den Fans haben, ist das nun aber so eine Sache. Man kann ihn auch durch Fehler verspielen. Schon beim Heimspiel gegen Union fiel auf, dass es inzwischen einige Fans im Weserstadion gibt, die bei den obligatorischen Pavlenka-Szenen weniger Geduld haben. Diese Szenen ähneln sich: Es gibt einen Rückpass, Pavlenka bekommt den Ball nicht unter Kontrolle oder verdribbelt sich, der Ball landet im Seitenaus oder – im schlimmeren Fall – beim Gegner. Bei Heimspielen kann man das als Werder-Fan noch spannend finden, weil die Zuschauer dank des Sponsors Wohninvest alle Bälle behalten dürfen, die auf der Tribüne landen. Das verleiht auch Abstößen und Befreiungsschlägen des Bremer Torhüters einen zusätzlichen Reiz. Fürs Spiel der Mannschaft ist es allerdings nicht gut.
Beim Sieg in Stuttgart passierte es wieder. Der Gegner kam zu einem gefährlichen Ballbesitz, weil Pavlenka nach einem Rückpass den Ball nicht richtig traf. Jedoch sah man hier Stärken und Schwächen des Torhüters in einem: Den sofortigen Torschuss von VfB-Stürmer Guirassy parierte Pavlenka direkt wieder stark. Das Problem ist: Die unglücklichen Momente häufen sich. Richtig ist aber auch: Werder kannte bei der Verpflichtung die Schwächen, in Prag war er am Ball noch unsicherer. Unter seinem Bremer Torwarttrainer Christian Vander, das bestätigen Augenzeugen, die ihn in Prag und Bremen gesehen haben, machte Pavlenka am Ball und in der Spieleröffnung Fortschritte.
Doch diese Entwicklung ist endlich. Und daraus ergibt sich nach dem Aufstieg ein fußballtaktisches Dilemma: In der zweiten Liga hatte Pavlenka seinen Stammplatz an Michael Zetterer verloren, der von hinten mit feinem Fuß mitspielte und mit Ball nie in Bedrängnis geriet. Doch in dieser zweiten Liga wurde das schnell unwichtig, weil Werder oft in der gegnerischen Hälfte war. Pavlenka kam wieder ins Tor, um mit seiner Erfahrung und den Reflexen enge Spiele zu gewinnen. Und das tat er.
In der Bundesliga gerät Werder nun aber viel früher in Bedrängnis, oft schon tief in der eigenen Hälfte. Die Bremer Verteidiger und Mittelfeldspieler wissen sich oft nur mit Rückpässen zu helfen, wenn spielerische Lösungen nach vorne nicht gelingen. Und dann, unter Druck, fällt es auf, ob ein Torhüter sicher mit dem Ball umgehen kann. Es fällt den Fans auf, die das Murren beginnen. Und es fällt den Gegnern auf, die daraus Kapital schlagen wollen. Es ist kein Zufall, dass Pavlenka von den gegnerischen Stürmern zuletzt oft bedrängt wurde.
Sollte das mal Punkte kosten, und das ist angesichts der Häufung der Szenen nur eine Frage der Zeit, dann bräuchte man nicht zu relativieren, derlei könne ja mal passieren. Natürlich: Es könnte mal passieren – aber wenn diese Fehler so oft passieren, ist bei Werder vorab einkalkuliert, dass es auch mal schiefgehen kann. Man kann dann nur hoffen, dass es kein folgenschwerer Gegentreffer wird. Denn das wäre bitter für einen Torwart, der Werder mit seinen Reflexen bei Eins-gegen-eins-Situationen schon viele Punkte gerettet hat. Auch in dieser Saison.