Wenn etwas nicht passiert ist, dann ist es meistens ziemlich egal. Für Werder Bremen gilt das in dieser Woche überhaupt nicht. Denn an der Weser ist nun ganz offiziell etwas nicht passiert, was eigentlich unumgänglich schien: Niclas Füllkrug ist nicht gewechselt. Er steht auch nach dem Schließen des Transferfensters im Bremer Kader und ist nun der größte Trumpf für eine gute Saison und einen sicheren Klassenerhalt in der Bundesliga.
Die wenigen Puritaner unter den Fußballfreunden werden das für völlig normal halten, schließlich hat Füllkrug einen bis Juni 2025 gültigen Arbeitsvertrag bei Werder und ist als Torjäger eine unumstrittene Führungskraft. Aber was zählt das noch im heutigen Profifußball?
Füllkrugs Verbleib bei Werder ist alles andere als normal
Es ist alles andere als normal, dass der Führende der Bundesliga-Torschützenliste (13 Treffer) weiter für den Aufsteiger Werder Bremen spielt. Und es ist ungewöhnlich, dass seine starken Auftritte bei der WM in Katar und sein Aufstieg zu Deutschlands Mittelstürmer Nummer 1 nicht zu einem millionenschweren Transfer führten – zumal sich Füllkrug in diesem Winter einer international tätigen Berateragentur anschloss, die sich genau darauf spezialisiert hat: Topspieler bei den Topklubs unterzubringen.

Grün auf Weiß ist die Werder-Kolumne des WESER-KURIER, in der Chefreporter Jean-Julien Beer einen Blick hinter die Kulissen des Bundesligisten wirft, Zusammenhänge erklärt und die Entwicklungen im Verein einordnet.
Für den Moment können sich alle Bremer Fans darüber freuen, dass ihr Lieblingsstürmer weiter für Werder aufläuft und Spiele gewinnt, so wie zuletzt, als Füllkrugs Tore für den 2:1-Sieg gegen Wolfsburg sorgten. Ob sich auch alle in Werders Führungsetage darüber freuen, ist nicht so einfach zu beantworten. Einerseits sind auch die Werder-Chefs natürlich froh, diesen Klassespieler weiter in ihrem Verein zu wissen. Allen voran Trainer Ole Werner, für den der Klassenerhalt ohne Füllkrug sehr viel schwieriger geworden wäre.
Auf der anderen Seite haben sich die Werder-Chefs eine sympathische Offenheit angeeignet, wenn es um wirtschaftliche Zwänge geht. Entsprechend transparent gehen sie nun mit Füllkrugs Bleiben um. Aus rein wirtschaftlichen Gründen, so sagen sie, hätten sie sich mit einem außergewöhnlichen Angebot für Füllkrug ernsthaft beschäftigen müssen. Denn Werder steht das Wasser nach der Pandemie und dem Abstieg immer noch bis zum Hals. Da hätte ein zweistelliger Millionenbetrag helfen können, sich aus der größten Not zu befreien. Doch ein solches Angebot flatterte in diesem Winter nicht rein.
Im Sommer ist Zeit genug für einen großen Füllkrug-Deal
Intern haben sie sich bei Werder länger mit der Frage beschäftigt, wann es ein guter Deal für den Verein gewesen wäre. Das waren nur Planspiele im Konjunktiv, aber sie zeigen, wie schwierig die Frage zu beantworten wäre. Wenn man sicher wüsste, dass man ohne Füllkrug die Klasse hält, wäre schon ein Betrag um die zwölf Millionen ein Segen gewesen. Würde man aber ohne ihn doch wieder absteigen, wären nicht mal 20 oder 25 Millionen ein guter Deal.
Was den Entscheidern um Fußball-Chef Clemens Fritz auch wichtig war: Handlungsfähigkeit. Was hätte es denn genutzt, am Dienstagnachmittag noch von einem englischen Klub 25 Millionen zu kassieren, wenn man selbst so kurzfristig keinen neuen Stürmer bekommen hätte? Im Sommer nun haben alle Seiten genügend Zeit, einen großen Deal nachzuholen. Wenn dann ein unmoralisches Angebot kommt.
Füllkrug macht nur durch Leistung auf sich aufmerksam
Zunächst also wird Füllkrug weiter als Gesicht des SV Werder die Herzen erobern, in Bremen und weit darüber hinaus. Seine Sympathiewerte sind nach der desaströsem deutschen WM nicht zu unterschätzen. Füllkrug verzichtet gerne darauf, im Papageien-Kostüm auf der Fashion Week in Paris herum zu stolzieren – eine Aktion, mit der sein WM-Kollege Serge Gnabry zuletzt den Verdacht nährte, die heutigen Nationalspieler seien mehr mit ihrem Image beschäftigt als mit ihrem Beruf. Füllkrug macht nur durch Leistung auf sich aufmerksam. Damit zeigt er der aktuellen, inzwischen chronisch erfolglosen Nationalspieler-Generation, worauf es ankommt.
Nach dem erneut frühen WM-Aus hat beim Nationalteam nun Rudi Völler als Sportdirektor das Kommando – und der war in seiner Karriere vom Typ her immer eher ein Füllkrug als ein Gnabry. Auch Völler verließ Bremen, er wechselte 1987 zu AS Rom. Das machte Werder zwar reich, doch Otto Rehhagel prägte damals genau deshalb den berühmten und oft falsch verstandenen Satz: „Geld schießt keine Tore.“ Beim Thema Füllkrug ist das wieder so.