Die Statistik Expected Goals ist das „Was wäre wenn?“ des Fußballs. Bei diesem Zahlenspiel wird jeder Torschuss mit gleichwertigen Möglichkeiten verglichen. Wie häufig landete eine ähnliche Chance, aus einem ähnlichen Winkel und in einer ähnlichen Situation, in der Vergangenheit im Tor?
Werder Bremen erreichte beim 0:0 gegen RB Leipzig einen Expected-Goals-Wert von 3,21, sprich: Im Schnitt hätten Werders Chancen zu rund drei Toren führen sollen. Die Wahrscheinlichkeit, dass Werder bei den gegen Leipzig herausgespielten Chancen keinen Treffer erzielt, lag statistisch gesehen bei 2%. Insofern muss sich Werder an diesem Nachmittag nur eins vorwerfen lassen: die nicht vorhandene Chancenverwertung.
Werder verteidigt in einer Manndeckung
Ole Werner sah nach dem 2:2 gegen Union Berlin keine Veranlassung, seine Startelf zu verändern. Taktisch stellte sich Werder dennoch leicht verändert auf: Romano Schmid agierte wesentlich zentraler als zuletzt. Häufig positionierte er sich als alleiniger Zehner hinter den beiden Stürmern Oliver Burke und Marvin Ducksch. Werders Formation glich einem 5-2-1-2.
Mit dieser leichten Umstellung spiegelte Werder Bremen die Formation des Gegners. Leipzig begann zwar in einer nominellen 4-4-2-Formation. Im Spielaufbau ließ sich jedoch Sechser Nicolas Seiwald immer wieder in die Abwehr fallen. Werder konnte auf diese Art eine Manndeckung herstellen: Schmid verfolgte Seiwald. Werders Stürmer rückten derweil nach Außen, um die gegnerischen Innenverteidiger anzulaufen. Werder stellte im hohen Pressing wie gewohnt eine Manndeckung her.
Burke zieht die Viererkette auseinander
Schmids Rolle als Zehner hatte aber noch eine weitere Funktion: Auf diese Art konnten Werders Stürmer weit nach Außen rücken. Werders Plan sah vor, die Viererkette Leipzigs weit auseinanderzuziehen. Auf links rückte Ducksch immer mal wieder auf dem Flügel.
Noch stärker praktizierte Werder dieses taktische Mittel auf der rechten Seite. Burke war bereits im Spiel gegen Union häufig nach rechts ausgewichen. Gegen Leipzig sprintete er fast permanent den Flügel entlang. Sobald Mitchell Weiser die Aufmerksamkeit von Leipzigs Außenverteidiger auf sich zog, startete Burke in die Tiefe.
Nicht immer konnte er sich auf diese Art wegstehlen. Zumindest aber zog er die Aufmerksamkeit auf sich. So gelang es Werder, den Passweg ins Zentrum zu öffnen. Schmid und auch Ducksch warteten hier bereits auf das Zuspiel. So kamen die Bremer bereits in der Anfangsviertelstunde häufig in die gegnerische Hälfte.
Leipzig presst nur punktuell
Von den Leipzigern war indes lange Zeit wenig zu sehen. Ihr klassisches 4-4-2-Pressing entfaltete in der Anfangsviertelstunde kaum Wirkung. Ihr Versuch, nach Ballgewinnen schnell zu kontern, scheiterte immer wieder an der mangelnden Genauigkeit. Hätte man nicht gewusst, dass hier ein Kandidat auf die Champions-League-Ränge auf dem Feld steht: Man hätte es nicht erahnt.
Erst nach knapp einer halben Stunde begannen die Leipziger, das eigene Pressing etwas umzustrukturieren. Rechtsaußen Christoph Baumgartner rückte nun weit nach vorne. Er attackierte Amos Pieper. Leipzig übte im 4-3-3 höheren Druck aus. Werder konnte das Spiel nun nicht mehr ohne Gegenwahr eröffnen. In der Schlussviertelstunde der ersten Halbzeit hatten die Gäste aus Leipzig erstmals mehr Ballbesitz als die Hausherren.
Werder erhöht den Druck
Es sollte die einzige Phase bleiben, in der Werder weniger Spielanteile sammelte als der Gegner. Nach der Pause intensivierten sie ihr Angriffsspiel. Werner hatte bereits vor der Pause an der Seitenlinie angemahnt, die sich bietenden Räume auf den Flügeln schneller zu bespielen. Nach der Pause tat dies Werder konsequent: Weiser und Burke attackierten immer wieder die rechte Seite.
Auf der anderen Seite hielt Felix Agu nur noch wenig hinten. Er sprintete häufiger in den Strafraum und besetzte den zweiten Pfosten. Das entpuppte sich als wirkungsvolle Waffe gegen Leipzigs enge Viererkette: Agu stand häufig am zweiten Pfosten frei. Gleich zweimal kam er kurz nach der Pause zum Abschluss, traf aber das Tor nicht.
Dieses Manko sollte Werder durch die gesamte zweite Halbzeit begleiten. Mit ihrer Manndeckung hielten sie den Druck hoch auf Leipzig. Nach Ballgewinnen kamen sie immer wieder schnell vor das Tor. Doch der Ball wollte einfach nicht im Netz landen.
Werder hatte es selbst in der Hand
Mit der Zeit schraubte Werder das Risiko immer weiter hoch. Weiser hielt nichts mehr hinten, auch Agu und Jens Stage waren häufiger im gegnerischen als im eigenen Strafraum anzutreffen. Das eröffnete zwar Räume für Leipziger Konter; die besseren Chancen hatten aber weiter die Werderaner.
Erst in der Schlussphase konnte Leipzig das Geschehen wieder beruhigen. Zum einen lag dies an einer taktischen Umstellung: Seiwald ließ sich nun auch gegen den Ball in die Abwehrkette fallen. Die entstehende Fünferkette konnte die Breite besser verteidigen. Zum anderen konnten Werders Einwechselspieler das Niveau nicht heben. Werder konnte die Breite fortan nicht so effektiv nutzen wie in den ersten 75 Minuten. Am Ende gibt es für das 0:0-Ergebnis aber nur einen Grund: Werders schlampige Chancenverwertung. Mit der eigenen taktischen Marschroute konnte sich Werder ein klares Chancenplus erspielen. Doch die beste Taktik hilft wenig, wenn die Spieler das Tor nicht treffen. Am Ende gibt es keine Punkte für Expected Goals – sondern nur für echte.