Die jungen Fans in Wilhelmshaven hatten ihre Wahl schnell getroffen. Reihenweise ließen sie die Werder-Profis nach dem Schlusspfiff unbehelligt in die Kabine verschwinden, aber als Ousman Manneh an ihnen vorbeischlüpfen wollte, hatte er keine Chance. Ousman Manneh musste Autogramme schreiben, auf Trikots, auf Programmhefte, auf hingereichte Zettel.
Die Wilhelmshavener Werder-Fans hatten damit Sachverstand und ein gutes Gespür nachgewiesen. Sachverstand, weil Manneh mit vier Toren innerhalb von 15 Minuten bei Werders 7:0-Sieg einen großen Auftritt hingelegt hatte. Und ein gutes Gespür, weil das Autogramm des jungen Mannes aus Gambia eines Tages vielleicht mal etwas wert sein wird. Es gab am Dienstag sogar schon erste Stimmen unter den Werder-Fans, die am liebsten das Ende der Bremer Stürmersuche ausgerufen hätten.
So weit ist es aber noch lange nicht. So weit ist Ousman Manneh noch nicht. Und so weit ist auch Werder nicht. Ousman Manneh wird nicht auf Anhieb der Bremer Problemlöser werden. Er wird stattdessen Schritt für Schritt aufgebaut. „Wir haben ihn selbstverständlich auf dem Zettel“, sagt Assistenztrainer Torsten Frings, „er wird sicherlich auch schon sehr bald bei der Profimannschaft mittrainieren. Wann, das wissen wir noch nicht. Man darf auch nicht vergessen: Er ist erst 18, deshalb sollten wir vorsichtig sein.“ Vorsichtig vor allem mit überhöhten und vorschnellen Erwartungen.
Die Geschichte von Ousman Manneh könnte einem Drehbuch für einen Kinofilm entnommen sein. Die Geschichte von Ousman Manneh ist die Geschichte eines Flüchtlingskindes aus Afrika. Ousman Manneh lebte nach seiner Ankunft in Deutschland im vergangenen Sommer schon einige Zeit im Flüchtlingsheim Lesum, als er beim Training des Blumenthaler SV vorbeischaute. Irgendwann machte er mit, danach ging alles ziemlich schnell. Manneh schoss für die Blumenthaler A-Jugend in der Regionalliga Tor um Tor, Wolfsburg, Schalke, St. Pauli, der HSV und Werder wurden auf ihn aufmerksam. Anfang des Jahres schließlich wechselte er zu Werder.
Als der WESER-KURIER als erste Zeitung über den anstehenden Wechsel des damals 17-Jährigen berichtete, hatte die Anbahnung der Geschichte mehrere Tage und zig Telefonate gedauert. Viele Fragen waren zu klären: Ist es gut für den Jungen, dass er so früh in den Fokus der Öffentlichkeit gerät? Wie werden die Menschen auf seine Geschichte reagieren? Wie wird er selbst mit seinem plötzlichen Ruhm umgehen? Werder vermittelte schließlich einen Kontakt, der WESER-KURIER berichtete.
Viele Bedenken haben sich seit damals in Luft aufgelöst. Über seine Zeit in Afrika und die Umstände der Flucht möchte er bis heute nicht öffentlich reden. Was man sagen kann: Der Erfolg ist ihm offenbar nicht zu Kopf gestiegen. „Ousman ist der feine, korrekte Kerl geblieben, als den ich ihn kennengelernt habe“, sagt Peter Moussalli, der Sportliche Leiter des Blumenthaler SV. Bis heute schaut Manneh regelmäßig beim Training und bei Spielen in Blumenthal vorbei. Moussalli erinnert sich gut an seine ersten Eindrücke von Manneh. „Man hat gleich gemerkt: Der Junge hat ein Ziel, der hofft nicht nur, der tut auch was dafür. Fußballprofi zu werden, ist sein absoluter Traum.“ Diese Einschätzung deckt sich mit der Wahrnehmung der Werder-Trainer. Torsten Frings sagt: „Der Junge lebt für den Fußball.“Bei Werder sehen sie ihre Aufgabe jetzt darin, das rechte Maß im Umgang mit Ousman Manneh zu finden. Ihm Mut zu machen, ihm aber auch nicht zu viel aufzubürden. Ihn zu fordern, aber auch weiterhin zu fördern. Rouven Schröder, Sportdirektor Profifußball, war seine Zufriedenheit nach dem Wilhelmshaven-Spiel anzusehen. „Ich freue mich, wie er spielt, mit dieser Leichtigkeit“, sagte Schröder, „und nach dem Spiel gibt er jedem die Hand.“
Mannehs Debüt in der Profimannschaft fand am Dienstag gegen einen Sechstligisten statt. Beim Gegner SV Wilhelmshaven gehen alle Spieler neben dem Fußball noch einem Beruf nach. Torsten Frings sagte am Tag nach dem Spiel: „Wir müssen jetzt erst mal sehen, wie er sich gegen Assani Lukimya oder Jannik Vestergaard präsentiert.“ Zwischen den Wilhelmshavener Verteidigern und den Werder-Verteidigern im Training liegt ein Fünf-Klassen-Unterschied.
Ousman Manneh verfügt gleichwohl über Qualitäten, die es auch gestandenen Abwehrspielern nicht leicht machen dürften. „Er hat sehr gute Laufwege, absolviert sie in hoher Geschwindigkeit“, sagt Peter Moussalli, „er hat einen super Erstkontakt mit dem Ball und einen überlegten Torabschluss.“ So war es in Wilhelmshaven in der Tat bei jedem seiner vier Treffer. Antritt, Ballan- und -mitnahme, Abschluss, Tor. Das war kein Zufall, das war Können.
Am Mittwoch hat Ousman Manneh bei Werder wieder trainiert. Mit der U23, nicht mit den Profis. Er muss sich vorbereiten auf das nächste Spiel am Sonnabend. Gegen Energie Cottbus. Dritte Liga, nicht erste.