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Wird Werders Saison überschätzt? Zwischen Rausch und Ernüchterung

Werder steht vor dem Ende einer phasenweise begeisternden Saison. Enden wird diese aller Voraussicht nach aber wieder im Liga-Mittelfeld. Wie gut verläuft die Entwicklung wirklich?
01.05.2019, 10:03 Uhr
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Von Cedric Voigt

0:1 in München, 2:3 im Weserstadion, 1:4 in Düsseldorf: Diese Englische Woche hatte man sich in Bremen anders vorgestellt. Es wurden drei Niederlagen, drei Geschichten – und drei Gründe, warum Werder sich zwar wieder wie ein Team aus der Spitzengruppe der Liga anfühlt, aber für den Moment doch eher Mittelmaß mit besonderer Erlebnisqualität ist. Wobei das „Mittelmaß“, so ungeliebt die Bezeichnung auch sein mag, einen Schritt in die richtige Richtung darstellt: Die Punkteausbeute ist schon jetzt die beste seit der Saison 2009/2010. Nur ist das eben eher ein Indiz dafür, wie lange Werder mit der Angst vor dem Abstieg leben musste, als eines für eine direkte Rückkehr ins Konzert der Großen oder auch nur ihrer Verfolger.

Dass es dafür noch nicht reicht, liegt wenig überraschend auch an der Qualität des Kaders. Gegen die Top Sieben der Liga – diejenigen also, die im nächsten Jahr in Europa dabei sein dürfen – gelangen in dieser Saison in bislang elf Spielen zwei Siege. Der eine, der gegen Frankfurt, zudem in Überzahl, in der 96. Minute per Standard, zu einem Zeitpunkt in der Saison, als die Eintracht ihren Stil noch nicht so Recht gefunden hatte. Doch dass Werder gegen die individuell stärksten Kontrahenten nicht bestehen kann, ist ein verzeihlicher Makel.

„Kleine“ Gegner, große Probleme

Schwerer wiegt die Schwäche gegen Teams, gegen die Werder als Favorit in die Partie geht. Gegen Mainz, Freiburg, Stuttgart, Hannover und die beiden Aufsteiger ließ man ganze 19 (!) Zähler liegen. Schon die Hälfte dieser Punkte würde Werder auf einen Champions-League-Platz hieven. Besonders zu Saisonbeginn fehlten die spielerischen Mittel, einen tiefstehenden Gegner zu knacken. Mittlerweile hat sich die Mannschaft hinsichtlich ihrer Chancenerarbeitung entwickelt. Mit dem ersten echten Strafraumstürmer im besten Fußballer-Alter, Niclas Füllkrug, erhält Florian Kohfeldt in der kommenden Saison zudem eine Kaderoption, die als Zielspieler in solchen Partien Gold wert sein kann.

Dennoch hat Kohfeldt nach der Niederlage in Düsseldorf bereits angekündigt, worauf er in der Vorbereitung auf die kommende Saison den Fokus legen wird: „Dieses Spiel, die beiden Nürnberg-Spiele, ein Stück weit auch das Stuttgart-Spiel aus der Hinrunde werden in der Sommerpause Schwerpunkte sein, über die wir sprechen werden.“

Auffällig ist aber immer wieder auch die defensive Anfälligkeit gegen Gegner, die wie zuletzt Düsseldorf auf schnelle Gegenstöße setzen. Hier fehlt es oft an der Konterabsicherung in höheren Zonen. Vor allem aber hat Werder mit einer schwachen Restverteidigung zu kämpfen: Ist die Ordnung erst überspielt, fehlt es besonders den Innenverteidigern und Sechser Nuri Sahin schlicht am Tempo, um in Laufduellen die direkten Wege zu schließen und sich in Eins-gegen-Eins-Situationen zu behaupten. Dazu kommen Probleme in der mannschaftstaktischen Feinjustierung, etwa in der Besetzung des eigenen Rückraumes bei gegnerischen Schnellangriffen über die Flügel.

Diese Spiele waren in der noch laufenden Saison Werders Achillesferse. Umgekehrt lässt sich den Problemen im Sommer verhältnismäßig leicht entgegenwirken. Es gibt Indizien dafür, dass Werder zumindest in Teilen personell auf sie reagieren möchte: Düsseldorfs Kaan Ayhan etwa fiel bei der Suche nach einem neuen Innenverteidiger eben deshalb durch, weil man in Bremen jemanden sucht, der das eklatante Tempodefizit behebt.

Zur falschen Zeit erfolgreich

Darüber hinaus fehlt Werder das Glück, um mit den gezeigten Leistungen mehr erreichen zu können – nicht nur wegen streitbarer Schiedsrichterentscheidungen im Pokal. Denn wer in diesem Jahr in die Europa League möchte, muss kräftig punkten: Zweimal in den letzten fünf Jahren hätten 49 Punkte gar für den fünften Platz gereicht. Werder ist von dieser Marke nur noch einen Sieg entfernt, doch in dieser Saison ist die Leistungsdichte im oberen Mittelfeld so groß, dass unter 50 Punkten noch nicht einmal die Europa-League-Qualifikation auf Platz sieben gelingen kann.

Noch hat Werder die Gelegenheit, das nahezu Unmögliche möglich zu machen: Mit Borussia Dortmund, der TSG Hoffenheim und RB Leipzig stellen sich drei Top-Teams in den Weg, aber es sind eben auch noch neun Punkte zu vergeben. Sollte es nicht für Europa reichen, bleibt eine Saison, die einmal mehr im Mittelfeld endet, aber eben auch besondere Momente bereithielt: Jede Menge Pizarro-Folklore, eine rauschende Feier zum 120. Vereinsgeburtstag mit der Krönung des Pokal-Comebacks in Dortmund, das Comeback des Langzeitverletzten Fin Bartels und die eine oder andere Erfolgsserie.

Kohfeldt bleibt die Trumpfkarte

Auch die Erfolsgeschichten der vielen jungen Spieler ließen das Werder-Herz höher schlagen: Maximilian Eggestein und seine erstmalige Berufung in die Nationalmannschaft, Bruder Johannes und seine Reifung zum Fast-Stammspieler. US-Stürmer Josh Sargent, der vor Weihnachten gleich zweimal knipste – in einer Saison, in der er eigentlich noch gar nicht fest für die Profis eingeplant war. Alle drei verlängerten kürzlich ihre Verträge. Und Milot Rashica, der ohne Klausel bis 2022 an Werder gebunden ist, mauserte sich im Jahr 2019 mit zehn Toren und drei Vorlagen gar zum Unterschiedsspieler in der Offensive.

Ihre Entwicklung hängt maßgeblich mit der Arbeit von Trainer Kohfeldt zusammen, der nicht zuletzt aufgrund seines Händchens für Talente vom DFB zum „Trainer des Jahres“ gekürt wurde. Unabhängig vom tabellarischen Abschneiden in der laufenden Saison kann Werder somit auf eine ganze Reihe hochbegabter Youngster unter einem Coach, der für seine Spieler ein funktionierendes mannschaftliches Gerüst geschaffen hat, zurückgreifen. Es ist der eigentliche Erfolg einer auf dem Papier durchschnittlichen Saison: Werder ist wieder dazu in der Lage, junge Spieler nicht nur in die Mannschaft einzubauen, sondern sie auch zu halten und weiterzuentwickeln.

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