Wieder auf Kurs
Es herrscht Hochbetrieb in den Produktionshallen am Hastedter Osterdeich. Überall sitzen und stehen Mitarbeiter der Lloyd Dynamowerke (LDW), deren Blicke konzentriert auf die Maschinen vor sich gerichtet sind. Sie hämmern, klopfen, ziehen – vieles was hier passiert, ist nach wie vor Handarbeit. Denn kaum ein Motor, der in den Fabrikhallen hergestellt wird, gleicht dem anderen. Diese Individualität der Produkte ist es auch, die das Bremer Unternehmen nach eigenen Angaben bis heute von anderen Motorherstellern unterscheidet.
Seit 100 Jahren gibt es die Produktionsstätte in Hastedt mittlerweile. Doch anstatt dieses Jubiläum riesengroß mit viel Tamtam zu begehen, wird am heutigen Freitag ungewöhnlich leise gefeiert – mit einer Veranstaltung, bei der die Mitarbeiter im Mittelpunkt stehen sollen. Das sei eine bewusste Entscheidung, sagt Dominik Brunner, der im Januar 2014 den Vorsitz der Geschäftsführung übernommen hat. „Denn in erster Linie geht es darum, unseren Angestellten etwas zurückzugeben.“
Im vergangenen Jahr war das Bremer Traditionsunternehmen, das besonders leistungsstarke elektrische Maschinen und Antriebssysteme herstellt, in die Zahlungsunfähigkeit geschlittert. Auch wenn mit der Hyosung-Gruppe innerhalb kürzester Zeit ein solventer Eigentümer gefunden werden konnte, verzichten die Angestellten nach wie vor bis 2017 auf zehn Prozent ihres Gehalts, um das Unternehmen wieder auf Kurs zu bringen. Und die Geschäftsleitung trägt ihren Teil dazu bei, indem sie eben kein großes Fest für Geschäftskunden und Prominenz aus Politik und Wirtschaft gibt, sondern stattdessen lieber im Kleinen feiert.
Brunner ist in einer schwierigen Zeit in das Unternehmen gekommen. Eigentlich hatten die damaligen Mehrheitseigner der indischen Kirloskar Electric Company (KEC) den gebürtigen Österreicher in die Firma geholt, um die Produktion am Hastedter Osterdeich weiter anzukurbeln. Stattdessen wurde der heute 52-Jährige zum Krisenmanager, denn der Vorsitzende der Geschäftsführung und sein neuer Finanzchef Gerd Onken fanden schnell heraus, dass es bei den Zahlungsabläufen von Indien nach Deutschland, aber auch bei den Arbeitsabläufen Schwierigkeiten gab.
Aus der Insolvenz heraus wurde Anfang dieses Jahres dann ein neues Unternehmen mit gleichem Namen gegründet, in das die Hyosung-Gruppe als Alleineigner einen zweistelligen Millionenbetrag investiert hat. „Im Grunde genommen sind wir also erst neun Monate alt – und damit das jüngste Motorenwerk der Welt“, sagt Brunner. „Deswegen feiern wir auch 100 Jahre Produktion am Hastedter Osterdeich.“
Mehr als 200 Angestellte arbeiten heute auf dem 30 000 Quadratmeter großen Gelände der Lloyd Dynamowerke. Sie produzieren im Zwei-Schicht-Betrieb Maschinen für Kunden auf der ganzen Welt. Mehrere Tausend davon sind laut Brunner in der LDW-Kundenkartei vermerkt, mit gut 200 – viele davon Dax-Unternehmen wie Siemens oder Linde – stehe man in permanentem Kontakt. Diese werden mit Groß- oder Mittelmaschinen aus dem Bremer Werk versorgt, außerdem kümmert sich das Unternehmen um den Service und die Wartung der Motoren. Der aktuelle Umsatz von 30 Millionen Euro jährlich verteilt sich demnach zu einer Hälfte auf den Bereich Großmaschinen, ein Viertel auf die Mittelmaschinen und der Rest auf den Service. „Wir sind meistens im Projektgeschäft tätig“, erklärt Brunner. Gerade erst sei ein Vertrag im Wert von vier Millionen Euro unterschrieben worden, in den Lloyd Dynamowerken sollen drei Generatoren für ein Wasserkraftwerk in Italien gebaut werden. Kraftwerke und Fabriken aus der Stahl-, Energie- oder Chemie-Branche sind es dann meist auch, in denen die Großmaschinen zum Einsatz kommen. Die Mittelmaschinen sind beispielsweise in Kränen zu finden. Kostenpunkt: bis zu 40 000 Euro.
Vertriebsleiter Jens Kastens, der seit 30 Jahren im Unternehmen arbeitet, erzählt, dass es von der Auftragsvergabe bis zur fertigen Maschine bis zu sechs Monate dauern kann. Für den Bau größerer Motoren dürfe mehr als ein Jahr veranschlagt werden. Genau das macht das Geschäft der Hastedter Firma auch so schwierig: Denn die Kunden zahlen erst, wenn ihre Maschinen geliefert sind, die Kosten für das teure Material und Komponenten, die nicht in Bremen hergestellt werden, müssen zunächst die LDW tragen. Kommt es dann zu einem Liquiditätsproblem wie im vergangenen Jahr, kann das schnell zu einer ernsten Bedrohung für die Firma werden.
Es ist nicht das erste Mal, dass die Lloyd Dynamowerke Turbulenzen überstehen mussten. 1915 wurde die Lloyd Dynamowerke AG aus der Norddeutschen Automobil und Motoren AG heraus gegründet. Mit einem Grundkapital von einer Million Reichsmark spezialisierte sich die Firma auf die Fertigung elektrischer Maschinen. In den Folgejahren waren die LDW unter anderem am Bau der Schiffe „München“ und „Stuttgart“ beteiligt, die für den Norddeutschen Lloyd auf der Route nach New York eingesetzt wurden.
Inmitten der Weltwirtschaftskrise kam die Angliederung an die AEG, das Produktportfolio wurde auf eine kleinere Palette mit höheren Stückzahlen umgestellt. Neben Elektro-Maschinen für Schiffe baute das Unternehmen damals in den Bremer Hallen auch Antriebe für Walzwerke, Werkzeug-, Papier- und Textilmaschinen für Kunden weltweit. Gut 1000 Angestellte arbeiteten in diesen Hochzeiten in der Produktion – so lange, bis das Werk 1945 im Zweiten Weltkrieg komplett zerstört wurde.
Nach dem Wiederaufbau zählten die Lloyd Dynamowerke zu einem der Gewinner des deutschen Wirtschaftswunders. Die Produktion wurde permanent ausgebaut, zu den Kernarbeitsgebieten gehörten mittlerweile sogenannte Synchron- und Gleichstrommaschinen. Asynchronmaschinen kamen Anfang der 1980er-Jahre dazu.
Dann, Mitte der 1990er-Jahre, ein erneuter Rückschlag: Der AEG-Konzern wurde aufgelöst, lange Zeit sah es so aus, als könnten die LDW diesen Zusammenbruch nicht überleben: Umfangreiche Pensionsverpflichtungen zwangen das Unternehmen fast in die Knie. Doch der frühere Geschäftsführer übernahm
Anteile an der Firma und sorgte dafür, dass ein weiterer Zulieferer einen Teil der Last übernahm. Auch damals verzichtete die Belegschaft bereits auf einen Teil ihrer Löhne. So konnten mehr als 200 Arbeitsplätze gerettet werden.
In den Folgejahren stabilisierten sich die Lloyd Dynamowerke wieder, mit CMP konnte ein weiterer Investor gewonnen werden. Der Umsatz kletterte bis 2008 auf 54 Millionen Euro, die Auftragsbücher waren voll. Im selben Jahr stieg KEC als strategischer Partner ins Unternehmen ein und löste den Berliner Finanzinvestor CMP als Hauptgesellschafter ab. Das ging so lange gut, bis die Inder im vergangenen Jahr einen bereits zugesagten Liquiditätsfluss nicht mehr leisten konnten. „Ich bin stolz darauf, dass wir in der Folgezeit nicht nur einen neuen Eigentümer gewonnen, sondern auch keinen einzigen Kunden verloren haben“, sagt Brunner heute. Die südkoreanische Hyosung-Gruppe hat, so erzählt der LDW-Chef, die Marke, die Liegenschaften und die Kunden übernommen, KEC habe mit der neuen Firma nichts mehr zu tun. Dass es mit den Südkoreanern ähnliche Probleme geben könnte, daran glaubt Brunner nicht. „Wir gehen von einer langfristigen Partnerschaft aus“, sagt er, „ansonsten hätte Hyosung nicht so viel investiert. Aber natürlich müssen wir hier vor Ort auch für eine entsprechende Performance sorgen.“
Als Dominik Brunner 2014 seinen Job bei den Lloyd Dynamowerken angetreten hat, ist er in einen persönlichen sportlichen Wettkampf getreten – mit keinem Geringeren als dem SV Werder. „Ich will sehen, wer es zuerst wieder zurück in die Champions League schafft – Werder oder wir“, sagt der Österreicher. Auf sein Unternehmen bezogen, meint er damit: Die LDW sollen bei den Kunden wieder so bekannt für ihre Technologie und ihre Qualität sein, dass sie bereit sind, einen guten Preis für die Motoren zu zahlen. „Es hat lange so ausgehen, als würden wir das Rennen sehr viel schneller machen, aber dann kam Pizarro“, sagt Brunner. Die Euphorie um den Spieler hat sich mittlerweile gelegt, mit Platz 13 ist der SVW aktuell weit von den Champions-League-Rennen entfernt. „Wir werden unseren Weg machen“, sagt der LDW-Chef, „da bin ich mir sicher.“
Die LDW-Geschäftsführung hinter einem riesigen Stator (v.l.): Dominik Brunner (Vorsitz), Gerd Onken (Finanzen) und Jens Kastens (Vertrieb).
FOTO: KUHAUPT