Berlin. Um das holprig klingende Entgelttransparenzgesetz wurde in der Großen Koalition lange gestritten. Als es endlich kam, war es ein Kompromiss. Bereits seit Juli 2017 ist das Gesetz, das Lohngleichheit zwischen Männern und Frauen schaffen soll, in Kraft. Seit Freitag können Beschäftigte aber erst das wichtigste Instrument des Gesetzes wahrnehmen – das Auskunftsrecht. Arbeitgeber mit mehr als 200 Beschäftigen müssen nun künftig auf Anfrage erläutern, nach welchen Kriterien sie einen Mann oder eine Frau bezahlen. Die damalige Familienministerin Manuela Schwesig (SPD) wollte dieses Recht für Unternehmen ab sechs Mitarbeitern einführen. Dagegen sperrte sich die Union.
Zudem müssen lageberichtspflichtige Firmen mit mehr als 500 Beschäftigten künftig regelmäßig über den Stand der Gleichstellung und der Entgeltgleichheit berichten. Private Arbeitgeber mit mehr als 500 Arbeitnehmern sind aufgefordert, regelmäßig ihre Entgeltstrukturen auf die Einhaltung der Entgeltgleichheit zu überprüfen. Hintergrund für das Gesetz ist der sogenannte Gender Pay Gap: In Deutschland verdienen Frauen selbst bei gleicher Qualifikation und ansonsten gleichen Merkmalen noch immer rund sechs Prozent weniger. Das Gesetz soll eigentlich helfen, diese Lücke zu schließen. Kritiker bezweifeln jedoch die Wirkung eines solchen Gesetzes.
„Zahnloser Tiger“
Einen Schritt in „die richtige Richtung“ nennt Norbert Reuter von Verdi das Gesetz, es sei aber „weitgehend ein zahnloser Tiger“. So wie das Gesetz nun in Kraft getreten sei, werde es nicht viel bewegen können. „Man kann zwar jetzt erfahren, dass ein Kollege innerhalb einer Vergleichsgruppe mehr verdient, aber der Arbeitgeber hat dann viele Möglichkeiten, dies entsprechend zu begründen, zumal es auch keine Sanktionsmöglichkeiten gibt“, sagte Reuter dem WESER-KURIER. Zudem arbeiteten die meisten Betroffenen ohnehin in Unternehmen mit weniger als 200 Beschäftigten. Das Gesetz greife also gar nicht, „besonders bei Frauen im Niedriglohnsektor, die von dem Gesetz eigentlich profitieren sollten“, so Reuter. Verdi habe daher schon immer gefordert, dass das Auskunftsrecht unabhängig von der Betriebsgröße gelten müsse. „Unsere Hoffnung ist aber, dass das Gesetz Arbeitgeber zumindest hinsichtlich bestehender Lohngefälle und Ungleichheit sensibilisiert“, betonte er.
Familienministerin Katharina Barley (SPD) verteidigte das Gesetz: Die meisten Frauen wüssten oft nicht, wie viel sie im Vergleich zu ihren männlichen Kollegen verdienten, die eine gleiche oder gleichwertige Tätigkeit ausübten. Aber nur wer sicher wisse, dass man im Verhältnis zu anderen Kollegen schlechter bezahlt werde, könne dagegen auch gerichtlich vorgehen, so Barley. Möchte eine Frau – das Gleiche gilt selbstverständlich auch für Männer, die das Gefühl haben, eine Frau verdient mehr – Auskunft über das Gehalt ihrer Kollegen bekommen, muss dies schriftlich an den Arbeitgeber erfolgen, also per Mail oder Brief. Besteht ein Betriebsrat, wird dieser sich vertretend an den Arbeitgeber wenden. Gibt es in dem Unternehmen keine Arbeitnehmervertretung, muss man selbst aktiv werden. Der Betriebsrat ist also erster Ansprechpartner. Zudem sollte man Vergleichspersonen, die eine vergleichbare Tätigkeit ausüben, benennen. Aus dem Gehalt von mindestens sechs Kollegen wird dann das Mittel ermittelt. Verweigert der Arbeitgeber die Auskunft, kann man nach drei Monaten den Anspruch gerichtlich klären lassen. Nach der Auskunft können Beschäftigte nur in begründeten Einzelfällen früher als vor Ablauf von zwei Jahren noch einmal nachfragen, was die Kollegen verdienen.
Ulle Schauws, frauenpolitische Sprecherin der Grünen, kritisierte das Gesetz ebenfalls. „Das Entgelttransparenzgesetz ist weniger als ein Placebo“, sagte sie. Es lasse zwei Drittel der Frauen in diesem Land im Regen stehen, die in Betrieben mit weniger als 200 Beschäftigten arbeiteten. „Und diejenigen, die individuell Auskunft erhalten über ihre ungerechte Bezahlung, lässt dieses Gesetz bei einer Klage gegen den Arbeitgeber alleine. Hier hätte ein Verbandsklagerecht notgetan“, erklärte Schauws zudem. Doris Achelwilm, Expertin für Gleichstellungspolitik bei den Linken, sagte, dass die Beweislast nach wie vor bei der Frau liege, „die individuell den Konflikt suchen und gegen Arbeitgeber ihr Misstrauen erklären“ müsste. Besser mache es Island, betonte die Bremer Linken-Politikerin.
Als erstes Land der Welt schreibt Island seit Jahresanfang gleiches Gehalt für gleichwertige Tätigkeiten vor. Die Unternehmen sind laut dem Gesetz in der Pflicht, eine faire Bezahlung zu dokumentieren, dazu müssen die Frauen also nicht selbst aktiv werden. Der Equal Pay Act gilt auf der Insel auch schon für Unternehmen ab 25 Mitarbeitern.