Die Zahlen sind noch vorläufig. Es sind erste Berechnungen. Fest steht aber schon jetzt: Die Wirtschaft in Bremen ist im vergangenen Jahr zum dritten Mal in Folge überdurchschnittlich gewachsen. Nach Angaben des Statistischen Landesamts Bremen hat das bereinigte Bruttoinlandsprodukt um 2,5 bis drei Prozent zugelegt. Im Bundesschnitt beträgt das Wachstum nach den am Donnerstag in Berlin veröffentlichten Zahlen dagegen 2,2 Prozent.
Es sind gute Nachrichten für das kleinste Bundesland. Doch Torben Klarl, der an der Universität Bremen eine Professur für Volkswirtschaftslehre innehat, warnt, die Zahlen dürften nicht überbewertet werden. „Es handelt sich um ein Anpassungswachstum Bremens. Die anderen Bundesländer befinden sich bereits auf einem höheren Niveau.“ Das besonders starke Wachstum dauere an, bis Bremen sein Gleichgewicht gefunden habe und mit den anderen Ländern gleichziehe. Diese Entwicklung sei der von Schwellenländern ähnlich, die sich langfristig stärkeren Wirtschaftsnationen anglichen. Die Euphorie über das Ergebnis für das vergangene Jahr kann Klarl darum nicht nachvollziehen: „Die Zahl ist in dieser Hinsicht ein zweischneidiges Schwert. Das Wachstum ist schön, aber es bleibt viel zu tun.“
Die Lücke zwischen Bremen und der übrigen Nation zeige sich im erhöhten Armutsrisiko und im Anteil an prekär Beschäftigten. Das Wachstum im Bundesland könne langfristig helfen, hier gegenzusteuern, wenn Steuereinnahmen in die Bildung und Infrastruktur fließen. „Das hängt alles miteinander zusammen. Der Bildungssektor spielt dabei eine existenzielle Rolle. Denn nun werden die Arbeitskräfte für die Zukunft ausgebildet.“ Beschäftigung generiere schließlich Einkommen, Vermögen, Konsum und damit wiederum Nachfrage nach Arbeitskräften der Unternehmen. Daraus entstehen erneut Steuereinnahmen für das Land.
Doch gerade bei der Beschäftigung gebe es derzeit Probleme. Die Arbeitslosenquote bleibt in Bremen auf einem überdurchschnittlichen Niveau. Darum sagt Klarl: „Der Arbeitsmarkt hat sich leider vom Wirtschaftswachstum abgekoppelt.“ Stellen könnten nicht oder erst durch den Zuzug von beispielsweise Beschäftigten aus dem Umland besetzt werden.
„Bremens Bildungspolitik ist gescheitert“
Die Probleme am Standort seien hausgemacht – in unterschiedlicher Hinsicht. „Bremens Bildungspolitik ist gescheitert. Das zeigen die Daten.“ Außerdem müsse daran gearbeitet werden, Unternehmen für Bremen zu gewinnen. „Es muss einen Grund dafür geben, warum sich Unternehmen in Niedersachsen an der Landesgrenze ansiedeln.“
Schwierigkeiten trotz Wachstum? Der Arbeitsmarkt in Bremen profitiert nicht überproportional von der Entwicklung der starken Konjunktur, sagt auch Jan Wedemeier vom Bremer Sitz des Hamburgischen Weltwirtschaftsinstituts (HWWI), wenngleich die Zahl der Erwerbstätigen in Bremen auf einem Höchststand sei. Das liege unter anderem am hohen Anteil der Langzeitarbeitslosen in Bremen von rund 45 Prozent. „Die Qualifikation der Arbeitsuchenden passt nicht zu den Anforderungen der offenen Stellen.“ Andreas Cors, Leiter der Abteilung Wirtschaft, Umwelt und Energie im Statistischen Landesamt Bremen, bestätigt: „Wir haben in Bremen ein Bestandsproblem.“ Nicht passend ausgebildete Menschen müssten zunächst fortgebildet werden. Der Bedarf an Arbeitskräften werde dann jedoch teils bereits durch Pendler kompensiert.

Das Problem des sogenannten Mismatch könnte sich in der neuen Arbeitswelt verschärfen. Die Anforderungen an die Beschäftigten hinsichtlich ihrer Qualifikation durch die Technologisierung und Digitalisierung der Wirtschaft wächst dem Wissenschaftler Wedemeier nach. Klarl fordert deshalb, dass Bremen nun die Voraussetzungen für eine gute Ausbildung schafft. Denn dann könnten die für Bremen wichtigen Zukunftsbranchen direkt am Standort die benötigten hoch qualifizierten Fachkräfte finden.
Warum das Wachstum in Bremen in den vergangenen drei Jahren besonders stark ausfällt, das hat nach Andreas Cors noch einen anderen Grund als Bremens Aufholjagd nach einem Einbruch im Krisenjahr 2009. Der Wirtschaftsraum sei sehr übersichtlich, entspreche etwa einem Prozent der Wirtschaft im Bund. Deshalb sei Bremen den Auf- und Abwärtsbewegungen der Konjunktur stärker ausgeliefert. „Darum hat Bremen im Vergleich zum Bund unter dem Krisenjahr 2009 umso stärker gelitten.“ In Phasen der Hochkonjunktur profitiere Bremen dabei in der Regel stärker, als das anderswo der Fall sei. Nun lege das Land vor allem wegen des anhaltend starken Außenhandels zu. Das Wachstum und damit die Steuern der Unternehmen seien wichtig: „Das Wachstum erhöht die Wohlfahrt und die Lebensqualität. Ohne Wirtschaftswachstum wäre alles nichts.“