Der erste Bargeldautomat in Deutschland ging schon 1968 an der Kreissparkasse Tübingen in Betrieb. Bis sich die Geldautomaten aber flächendeckend durchsetzten, sollte es noch ein paar Jahre dauern. Heute hat man seinen Geldautomaten in der Hosentasche: in Form des Smartphones. Immer mehr Geschäfte bieten bargeldloses oder kontaktloses Bezahlen an. Kunden des Kreditkartenunternehmens Mastercard können per Fingerabdruck oder Selfie bezahlen und Transaktionen via Herzschlag authentifizieren lassen. In einem Restaurant im chinesischen Hangzhou können Kunden ihren Burger per Gesichtsscan bezahlen. Und in Amazons neuem Supermarkt Go in Seattle braucht man nur noch sein Smartphone mitzunehmen. Der Kunde identifiziert sich beim Betreten des Ladens mit einer App, indem er sein Handy auf einen Scanner hält, steckt seine gewünschten Artikel in die Tasche und checkt am Ende des Einkaufs kontaktlos aus. Eine Kasse gibt es nicht mehr, die Bezahlung erfolgt über den Amazon-Account.
Das markiert einen Trend: Die Digitalisierung krempelt nicht nur alte Geschäftsmodelle um, sondern macht auch physische Objekte überflüssig. Bargeld, Kassen, Quittungen, Ausweise, Warenkörbe, Stimmzettel, Urkunden – das alles braucht es nicht mehr, wenn Rechtsgeschäfte digital abgewickelt werden. Den Warenkorb gibt es allenfalls noch als Symbol auf dem Bildschirm-Display. Das Smartphone ist heute mehr als ein Kommunikationswerkzeug: Es ist Geldautomat, mobile Arztpraxis, Wahlhilfe, Navigationsgerät, Lexikon, Kummerkasten, Juke-Box, Schrittzähler, Erinnerungsspeicher in einem. Ein Supercomputer im Hosentaschenformat, der als externe Festplatte unseres Gehirns dient. Schon heute sind LPs, Kassetten und CDs aus den Wohnzimmerregalen verschwunden und in digitale Speicherboxen gewandert. Allenfalls Hobby-Sammler haben noch Schallplatten zwischen verstaubten Regalen im Keller stehen. Musik ist längst digital. Auch Bücher verschwinden aus Regalen, weil der Trend zum E-Book geht. Die persönliche Bibliothek ist auf dem Smartphone.
Ablösung des Autoschlüssels
In Googles autonomem Fahrzeug gibt es weder Lenkrad noch Gaspedal – der Computer lenkt und beschleunigt selbst. Wenn im Smart Home künftig von der Heizung bis zum Fernseher alle Einrichtungsgegenstände per Sprachsteuerung regulierbar sind, braucht man Lichtschalter, Fernbedienung oder Thermostate nicht mehr. Das Smartphone löst bald auch den Autoschlüssel ab. Autobauer wie BMW und Daimler haben Schließsysteme entwickelt, bei denen mit der Übertragungstechnik NFC (Near Field Communication) Daten des Fahrzeughalters und weiterer autorisierter Personen vom Smartphone an das Fahrzeug übertragen werden. Den physischen Schlüssel benötigt es allenfalls für Wartungsarbeiten. Auch der Wohnungsschlüssel könnte überflüssig werden, wenn sich die Person mit ihren biometrischen Merkmalen als rechtmäßiger Mieter oder Eigentümer zu erkennen gibt. In Stadien und Spielhallen werden Einlasskontrollen bereits per Fingerabdruck durchgeführt.
Man wird ob dieser Veränderungen schnell nostalgisch und sehnt sich nach der guten alten Zeit zurück, als man noch eine CD im Plattengeschäft erstand oder den ersten Wohnungsschlüssel vom Vermieter überreicht bekam. Da hatte man etwas in der Hand. Autohäuser zelebrieren beim Neukauf eines Autos noch immer die Schlüsselübergabe. Es hat etwas Symbolisches. Doch die Zeiten ändern sich. Tragbare CD-Player oder Röhrenfernseher sind längst auf dem Müllhaufen der Technikgeschichte gelandet. Ehrlich: Wer vermisst heute noch ein Telefon mit Wählscheibe?
Die Digitalisierung hat viele Dinge im Leben erleichtert. Kontakte, Urlaubsfotos, Dokumente sind an einem Ort archiviert und sofort abrufbar. Das spart Platz und Zeit. Doch die brutale Komprimierung aller Erinnerungen und Steuerungsmodule auf ein Gerät birgt die Gefahr eines Kontrollverlusts. Was, wenn jemand das Smart Home hackt und im Sommer die Heizung auf 40 Grad Celsius aufdreht? Wenn sich Cyberkriminelle Zugriff auf den digitalen Schlüssel verschaffen und das Auto knacken? Eine Fernbedienung hatte man immer im Griff, ein analoges Schloss konnte man beim Verlust des Schlüssels ersetzen. Wenn aber der Zugangscode weg ist, entzieht sich die Verwendung des Gegenstands weitgehend der eigenen Kontrolle. Der Identitätsdieb hat mit den Daten einen digitalen Dietrich. Es ist dieses Gefühl des Ausgeliefertseins an eine Technik, die viele Menschen ängstigt.