Bei zwei Wochen Urlaub in Toronto und New York stellt sich neben den üblichen Reisevorbereitungen eine elementare Frage bei der Planung: Wie halten wir es eigentlich mit dem Bargeld? Hier noch schnell bei der Bank kanadische und US-Dollar besorgen? Oder erst vor Ort aus dem Bankautomaten Geldscheine ziehen? Oder erst mal gar nichts machen und darauf hoffen, dass die Entscheidung von anderen getroffen wird? Also von den Gegebenheiten vor Ort. Und so kommt es tatsächlich, dass 14 Urlaubstage in Kanada und den Vereinigten Staaten verstreichen, ohne jemals einen Geldschein, ohne eine Münze in der Hand gehabt zu haben. Bargeld? Braucht offenbar kein Mensch dort drüben.
Nicht mal die Kreditkarte im Portemonnaie ist nötig, um sich durch den Alltag zu navigieren. Wie das schon klingt – Portemonnaie. Oder Geldbörse. Irgendwie so muffig und rückständig, fast schon retro. Und auch schmutzig. Bargeld, das hat uns Corona gelehrt, überträgt Viren und Pilze. Bei Untersuchungen kam heraus, dass auf einem Geldschein bis zu 3000 verschiedene Bakterienarten leben können.
Das neue Leben in Kanada und den USA regelt das Smartphone, in praktisch jeder Finanzlage. Die Kreditkarte wird in das Wallet geladen und los geht's. In der U-Bahn, im Supermarkt, Bäcker, Museum, Rockefeller Center, Restaurant, Hotel, Mietwagen-Station – Handy raus, Doppelklick, aufs Kassengerät gehalten, kurzer Piep – fertig und weiter. Selbst die Servicekraft im Hotel, der man sonst fünf Dollar auf den Tisch legen würde, wird digital bezahlt. Das Smartphone muss nur den QR-Code erkennen, der auf dem Nachttisch angebracht ist – schon erledigt. Das Argument, durch die digitale Zahlweise würde der Überblick für die Ausgaben verloren gehen, stimmt nicht – jede noch so kleine Zahlung wird penibel auf dem Handy aufgeführt.
Für Kaffee an der Schlachte braucht es Bares
Nach zwei Wochen bargeldlosem Leben führt der erste Weg in der Heimat an die Schlachte, es soll ein Kaffee für die Mittagspause her. Kreditkarte im Wallet? Funktioniert nicht. EC-Karte? Sorry, geht nicht mit diesem Gerät, sagt die Verkäuferin. Es müssen die vier Euro aus der Hosentasche her, die – als hätte man es geahnt – vorher noch schnell eingesteckt wurden. Willkommen in Deutschland, Du Bargeld-Land.
Das Meinungsinstitut Yougov hat vor wenigen Wochen 2060 Menschen in Deutschland befragt, wie sie es mit Bargeld halten. Antwort: Die meisten Deutschen wollen es nicht missen. Nur an der Ladenkasse, wer hätte das gedacht, bevorzugt eine Mehrheit das bargeldlose Bezahlen. Immerhin gaben fast zwei Drittel der Befragten an, dass sie Einkäufe vor allem mit Girokarte, Kreditkarte oder mobil per Smartphone oder Smartwatch begleichen. 35,6 Prozent greifen lieber zu Schein und Münze. Überdurchschnittlich häufig bar zahlen demnach Menschen mit geringerem Einkommen.
Aber was ist es, was uns Deutsche im Vergleich zu vielen Ländern – auch in Europa – noch so am Bargeld hängen lässt? „Wir sind seit unserer Kindheit mit Münzen und Scheinen konfrontiert, lernen, dass wir mit Geld das kaufen können, was wir haben möchten, freuen uns über Geld als Geschenk der Eltern, Tanten, Onkel und Großeltern, lernen Geld als Wert schätzen“, sagt Erich Kirchler, Professor für Wirtschaftspsychologie an der Universität Wien.
Und so ist es ja auch. 50 Pfennig für jedes geschossene Tor vom Onkel, zehn Mark für das Zeugnis von der Oma – wer würde das jemals vergessen? Oder die Briefumschläge von Verwandten und Nachbarn zur Konfirmation, die am Ende des Tages geöffnet, Schein für Schein entnommen wurde und schließlich ein Batzen Geld auf dem Tisch lag, der am nächsten Tag in der Schule verglichen wurde. Haste was, dann biste was – so war das doch.
Und überhaupt wurde das Sparschwein mit all den Münzen gefüttert, die vom Einkauf übrig blieben oder das Portemonnaie zu schwer machten. Am Weltspartag freute sich der Sparkassen-Angestellte über die vielen Münzen aus den Sparschweinen der Kinder und verteilte auch noch Geschenke. Und heute? Kann man in der Regel nur noch bis zu 50 Münzen kostenfrei einzahlen. Wer mehr abgeben möchte, den bitten die Institute meist zur Kasse.
Nicht alle können bargeldlos leben
Und trotzdem gibt Bargeld noch immer vielen Menschen das Gefühl, etwas in den Händen zu haben. Dabei ging das nicht immer gut aus. Vor vielen Jahrzehnten, als der Lohn noch in einer Tüte ausgezahlt wurde, kam das Geld nicht immer dort an, wo es eigentlich hingehörte. Der Weg der Lohntüte führte nicht wenige Menschen von der Arbeit direkt in die Kneipe statt nach Hause. Das Gefühl, viel Geld in der Tasche zu haben, war eben schon immer verführerisch.
Aber brauchen wir noch Bargeld, weil wir Deutsche Traditionalisten sind und die digitale Transformation überhaupt eben etwas behäbig vonstattengeht? Bei all der Bequemlichkeit, die ein Leben mit dem Smartphone und ohne Bargeld mit sich bringt, gibt es Verlierer beim Verzicht auf Bargeld.
Dazu zählen ganz sicherlich die etwa 500.000 Menschen in Deutschland, die nicht einmal über ein Girokonto verfügen. Also Menschen, die technisch überfordert sind oder sich in finanzieller Not oder in unklaren Rechtsverhältnissen befinden. Ein Leben ohne Bargeld? Undenkbar, diese Menschen haben ja meist nicht mal ein Smartphone.
Zu den Leidtragenden eines zunehmend bargeldlosen Deutschlands würden auch Obdachlose, Straßenmusiker und Kirchengemeinden gehören. Also all die Menschen oder Institutionen, die ihre Einnahmen oder zumindest Teile davon aus kleinen Münzspenden beziehen. Auch wenn es in Schweden erste Obdachlose geben soll, die sich eine Spende per Kartenlesegerät überweisen lassen, wird das die Ausnahme bleiben.
Bargeld schenkt Freiheit und Anonymität
Bargeld macht frei und unabhängig. Kein Serverausfall, kein Stromausfall, kein defektes Smartphone kann den Scheinen und Münzen im Portemonnaie etwas anhaben. Wer Bargeld in der Tasche hat, kann immer damit bezahlen. Und Bargeld ist anonym. Es bedeutet, etwas zu kaufen, ohne dass jemand anders nachvollziehen kann, wofür es ausgegeben wurde.
Ist ein Leben ohne Bargeld also tatsächlich erstrebenswert? Für die Bankinstitute sicherlich. Geldautomaten auch noch in den entlegensten Orten der Republik aufzustellen, kostet viel Geld. Und je weniger Bargeld im Umlauf, desto größer die Sicherheit für die Banken. In Dänemark gab es 2023 nicht einen einzigen Banküberfall. Der Grund: Das Bargeld wird in Bankfilialen schrittweise abgeschafft. Folglich haben auch die Banken des Landes kaum noch Bargeldreserven in ihren Filialen. Das gilt auch für Deutschland. Seit knapp zehn Jahren gibt es immer weniger Raubüberfälle auf Geld- und Kassenboten. 2022 zählte das Bundeskriminalamt insgesamt noch 25 Fälle, 2012 waren es noch 128.
Noch ist genug Bargeld im Umlauf. 2023 hatten Deutsche im Schnitt etwa 103 Euro an Bargeld im Portemonnaie, davon etwa fünf Euro Münzgeld. Das spricht nicht für eine digitale Umwälzung in den deutschen Geldbörsen. Und weil der Deutsche nicht so gern über Geld spricht, wurde zuletzt 2018 gefragt, wie viel Bargeld deutsche Haushalte horten: Es waren durchschnittlich etwa 1364 Euro – allerdings sehr ungleich verteilt, wie es heißt.
Ein richtig oder falsch kann es im Umgang mit Bargeld nicht geben. Es bleibt eine individuelle Abwägung – nein zum dicken Portemonnaie, ja zur bequemen Smartphone-Zahlung. Oder eben der Glaube an das einzige Wahre, das Bare. Ein Ende des Bargeldes ist jedenfalls nicht in Sicht. Die Deutsche Bundesbank verrät nicht, wie viele Euro-Scheine sie jedes Jahr drucken lässt. Ende 2024 aber waren angeblich insgesamt noch rund 30,5 Milliarden Euro-Banknoten im Umlauf. Kritikern des digitalen Zahlungsverkehrs sei hiermit gesagt: Es wird noch ein bisschen dauern, bis die aufgebraucht sind.