Vor einem Jahr läutete die Europäische Zentralbank ihre Zinswende ein. Seither folgt einer Zinserhöhung die nächste. In dieser Woche setzte die EZB ihren Kurs fort. Der Leitzins klettert auf jetzt 4,25 Prozent. Angesichts der Inflation ist ein beherztes Vorgehen bei den Zinsen nötig gewesen – auch wenn einige Begleiterscheinungen für die Wirtschaft und die Verbraucher schmerzhaft sein mögen.
„What ever it takes“ (was auch immer nötig ist) – diese berühmte Aussage traf einst der Vorgänger von Christine Lagarde an der Spitze der EZB. Mario Draghi versprach damals während der Finanzkrise, man werde seitens der Zentralbank alles unternehmen, um den Euro zu schützen. Es folgte eine Niedrigzinsphase, die zur neuen Normalität und an der lange festgehalten wurde.
Zu lange? Die Experten der EZB unterschätzten zunächst die Hartnäckigkeit der Inflation infolge des Kriegs in der Ukraine und der Pandemie. Jetzt aber unternimmt die Zentralbank, was nötig ist, um sich gegen die Teuerungen zu stemmen. Zaghaft konnte sie bei der Zinswende nicht mehr vorgehen.
Zumindest eine Pause bei den Erhöhungen deutete sich an. Das ist vernünftig. Denn das Instrument der EZB ist zwar wichtig im Kampf gegen die Inflation, eine Schwäche aber bleibt, dass die Auswirkungen der Zinserhöhungen erst mit Verzögerung sichtbar werden. Unternehmen verzichten womöglich derzeit auf Investitionen, weil das Geld nicht mehr günstig zu haben ist. Die höheren Zinsen bremsen die Wirtschaft aus.
Kunden von Banken können sich derweil über die Rückkehr der Zinsen freuen – die lässt das Herz der Deutschen mit ihrer Sparmentalität höherschlagen. Es gibt wieder etwas fürs Geld. Und das beflügelt auch den Wettbewerb der Banken untereinander, die längst nicht alle gleich schnell die Zinsen weitergeben. Wer bietet mehr? Die Kunden schauen wieder genauer hin, weil sich das durchaus lohnt.
Angesichts der Inflation reichen aber selbst 3,5 Prozent Zinsen nicht. Wer sein Vermögen nicht richtig anlegt, dem rinnt ein Teil durch die Finger. Die Deutschen sind jedoch weiterhin aktienscheu. Im vergangenen Jahr lag die Aktionärsquote bei 7,4 Prozent.
Ein Eigenheim kann eine Säule des Vermögensaufbaus sein. Fatal sind die Folgen der Zinserhöhung derzeit für alle, die ihr Haus bei einer Bank abbezahlen müssen. Die Kreditbelastung ist enorm gestiegen. Ob künftig alle Kundinnen und Kunden ihr Raten bedienen können? Zum Glück ist es noch kein Massenphänomen, dass Eigenheimbesitzer ihr Darlehen nicht mehr stemmen können. Aber wenn die Zinsbindung in den nächsten Jahren ausläuft, könnte es für manche ernsthafte Probleme geben, wenn es um die Anschlussfinanzierung geht.
Die Immobilienwirtschaft selbst leidet ebenfalls. Für die Baubranche sind die hohen Bauzinsen eine immense Belastung – und nur eine Zutat in einem gefährlichen Cocktail. Die Baukosten sind deutlich gestiegen. Und die Bundesregierung sorgte obendrauf unter anderem mit dem Heizungsgesetz für Verunsicherung. Die Investoren halten sich zurück. Pläne für Projekte bleiben derzeit, so ist es zu vernehmen, in den Schubladen. Im Moment laufen die Geschäfte zwar noch, die Kräne auf den Baustellen drehen sich. Das ist jedoch trügerisch. Im Neubau kommt wenig nach.
Der Vorstandsvorsitzende des Landesverbands Freier Immobilien- und Wohnungsunternehmen für Niedersachsen und Bremen sorgt diese Entwicklung. „Wenn der Wohnungsbau trotz steigenden Bedarfs weiter einbricht, werden die Mieten noch stärker steigen und viele Arbeitsplätze verloren gehen. Vom Baggerfahrer bis zum Maler, die gesamte Wertschöpfungskette im Wohnungsbau ist betroffen“, so Dirk Streicher unlängst.
Der EZB bleibt nicht viel übrig. An ihrem Kurs muss sie schon deshalb festhalten, weil die Teuerungen kein kurzfristiges Phänomen sein dürften. Der Fachkräftemangel treibt die Löhne hoch, die Energiekosten dürften auf einem höheren Niveau bleiben. Und außerdem müssen die Unternehmen weiter in die Zukunft investieren. Money for nothing? Geschenktes Geld? Das scheint vorerst vorbei zu sein.