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Michael Otto im Gespräch "Wir wurden von vielen als Umweltspinner belächelt"

Michael Otto ist Ehrengast beim Bremer Unternehmerforum. Schon früh setzte der Manager auf Nachhaltigkeit. Warum er mehr Tempo für den Klimaschutz für nötig hält – und was er zuletzt bei Otto bestellt hat.
29.08.2023, 05:00 Uhr
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Von Lisa Schröder

Herr Otto, vor ein paar Monaten sind Sie 80 Jahre alt geworden. Ändert so eine Zahl etwas?

Michael Otto: Gar nicht. Ich habe runde Geburtstage nie als Einschnitt empfunden. Es geht fließend weiter.

Viele sind in Ihrem Alter längst Rentner, während Sie bei der Otto Group weiter Verantwortung tragen. Freuen Sie sich darauf, die Geschäfte irgendwann an Ihren Sohn Benjamin zu übergeben?

Ich übergebe das gerne. Auf der anderen Seite habe ich die Arbeit nie als Belastung gesehen. Work-Life-Balance war für mich nie ein Thema – als ob die Arbeit kein Leben ist!

Ihr Vater legte 1949 mit einem Schuhversand los. Sie haben sein Unternehmen durch die Digitalisierung und Internationalisierung zu einem Konzern mit heute mehr als 40.000 Beschäftigten aufgebaut. War immer klar: "Ich bin der nächste Otto an der Spitze?"

Als Schüler schon habe ich gerne bei uns in der Firma gejobbt und im Lager geholfen. Mein Vater sagte immer: "Das wirst du später übernehmen." Zum Abitur habe ich mir dann doch die Frage gestellt: "Will ich das wirklich?" Alternativ wäre für mich noch der Arztberuf infrage gekommen. Meine Entscheidung fürs Unternehmertum habe ich aber bis heute nicht bereut.

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Überhaupt lagen Sie öfter richtig. 1995 war der Katalog von Otto im Netz, obwohl damals hierzulande erste wenige Menschen ans Internet angebunden waren. Die Wettbewerber Quelle und Neckermann hatten ein weniger glückliches Händchen. Sie finden, ein Unternehmer muss Bauchgefühl haben. Lässt sich das trainieren?

Das Bauchgefühl kommt auch durch jahrelange Erfahrung. Das trägt dazu bei, eine Intuition zu entwickeln. Als das Internet für die Zivilgesellschaft geöffnet wurde, habe ich gleich gesagt: "Das nutzen wir sofort, das ist die Zukunft." Wir hatten dadurch länger Zeit, uns zu einem digitalen Konzern zu entwickeln. Das war sehr wichtig. Denn ein Unternehmen lässt sich nicht in zwei Jahren transformieren. No way! Viele Konkurrenten haben sich damals aber zu lange gefragt: Wird das überhaupt was mit dem Internet?

Der erste Katalog Ihres Vaters ist handgebunden gewesen mit echten Fotos. 300 Exemplare gingen raus. Viele verbinden Otto bis heute mit dem Blättern im Katalog. Wie schwer fiel der Abschied vor einigen Jahren?

Die Kunden haben den Katalog sukzessive selbst abgeschafft, denn wir hatten zuletzt schon 95 Prozent digitale Umsätze. Über den Katalog ist kaum noch gekauft worden – er war höchstens eine Inspiration. Ein dicker Katalog ist dafür wirtschaftlich nicht mehr sinnvoll gewesen.

Als Unternehmer haben Sie sich früh mit Ökologie und Nachhaltigkeit auseinandergesetzt. Gab es einen bestimmten Auslöser?

Das war 1972 der Bericht des Club of Rome „Grenzen des Wachstums“. Ich habe mit meinem damaligen Freund Eduard Pestel, dem Mitbegründer des Club of Rome, viel darüber diskutiert. Es war mir aber schnell klar, dass es vor allem ums Handeln geht – und zwar von jedem Bürger und jedem Unternehmer. Bevor ich mit dem Finger auf andere zeige, muss ich bei mir selbst anfangen.

Was waren wichtige Meilensteine bei Otto?

Da gab es viele. Wir haben 1986 begonnen, Umweltschutz als weiteres Unternehmensziel zu setzen. Wir haben immer wieder überlegt: Wo können wir Ressourcen einsparen? Unsere Initiative "Cotton Made in Africa" will zum Beispiel den nachhaltigen Baumwollanbau voranbringen. Im Vergleich zu konventioneller Baumwolle sparen wir dort pro Kilogramm Baumwolle 1800 Liter Wasser. Das ist gerade für Afrika, wo Wassermangel herrscht, ganz entscheidend. Wir haben außerdem in Vietnam die weltweit erste Fabrik gefördert, die beim Textilienfärben ohne Wasser auskommt.

Welche Pläne stehen derzeit auf der Agenda?

Wir möchten bis 2024 schon 100 Prozent nachhaltige Verpackungen haben, das sind zum Beispiel recycelbare oder kompostierbare Verpackungen. Hierzu arbeiten wir mit Start-ups zusammen. Es geht um Verpackungen aus Abfallprodukten. Und wir werden bis 2025 in 80 Städten Deutschlands emissionsfrei zustellen.

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Wir erleben gerade verheerende Waldbrände in Griechenland, Kanada und auf Hawaii. Der Juli ist wahrscheinlich der bislang weltweit heißeste Monat seit Tausenden von Jahren gewesen. Wie sehr sorgt Sie der Klimawandel?

Das ist für mich das zentrale Thema. Vom Klimawandel hängt alles andere ab. Die Waldbrände zerstören gerade riesige Naturschätze. In bestimmten Regionen stellt sich wegen des Klimawandels die Überlebensfrage von Menschen. Die Wüstenbildung nimmt zu, was zu viel mehr Migration führen wird. Es wird weitere Klimakriege geben, wenn wir nicht wirklich sehr schnell handeln. Wir brauchen ein ganz anderes Tempo, um den Klimawandel zu stoppen, um die Risiken noch beherrschbar zu machen.

Schauen Sie manchmal zurück: Wir hätten früher was tun müssen – auch bei Otto?

Ja. Wir haben in der Otto Group, glaube ich, schon sehr früh angefangen – und wurden damals von vielen als Umweltspinner belächelt. Wir hätten sicherlich noch mehr machen sollen, zumindest waren wir zeitig dran. Wir wissen seit Jahrzehnten, dass unser Ausstoß von CO2 für die Klimaerwärmung verantwortlich ist. Viele Unternehmer haben den Klimawandel lange angezweifelt, obwohl die Wissenschaft sich da bereits einig war. Das ist noch gar nicht so lange her...

Über klimaschädliches Verhalten von Menschen mit viel Vermögen wird immer wieder diskutiert – über Privatjets und Luxusjachten. Gibt es da ein Problem?

Ja. Ich bin der Meinung, dass man zumindest nachdenken sollte, eine entsprechende Besteuerung von Privatjets und Motorjachten vorzunehmen, um Druck auszuüben. So könnte man auch darauf hinwirken, dass klimafreundlicher Treibstoff genutzt wird. Wir müssen das aber mindestens europaweit regeln. Denn eine Lösung in Deutschland bringt ja nichts, wenn die Besitzer dann in Amsterdam, Paris oder London tanken.

In der Otto Group versammeln sich heute verschiedene Marken, Plattformen und Händler – unter anderem About You, Lascana, Manufactum. Wie kaufen Sie persönlich ein?

Ich kaufe 90 Prozent digital ein und gehe vielleicht einmal im Jahr in die Stadt, um zum Beispiel einen Anzug zu kaufen. Obwohl das jetzt auch immer weniger wird, weil man Anzüge kaum mehr trägt.

Gefallen Ihnen die Innenstädte nicht?

Doch! Es gibt durchaus sehr sympathische Ecken mit kleinen Cafés. Das ist leider nicht überall der Fall. Da muss noch viel gemacht werden. Es ist mir aber zu mühselig, in die Innenstädte zu gehen. Da bin ich ein Einkaufsmuffel. In der Zeit mache ich lieber andere Dinge.

Wann waren Sie zuletzt Ihr eigener Kunde bei Otto?

Vorletzte Woche.

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Was haben Sie gekauft?

Einen Schlafanzug.

Als Vorstand waren Sie zunächst für den Textileinkauf zuständig. Wie wichtig ist Ihnen Mode?

Jeder Mensch möchte irgendwo vorteilhaft aussehen. Dazu dient Mode – und sie inspiriert. Ich finde es heute viel besser, dass es nicht mehr einseitige Modetrends gibt. Als vor vielen Jahrzehnten der Mini aufkam, konnte sich keiner mehr mit kniebedeckten Kleidern sehen lassen, die waren dann veraltet. Heute ist das anders. Es kommen immer wieder neue Ideen auf, die sich ergänzen lassen. Ich finde Mode schon wichtig. Ich erinnere mich noch an meine erste Einkaufsreise nach China 1971. Das war zuzeiten der Kulturrevolution. Da liefen alle nur in den Mao-Anzügen rum, dunkelblau oder schwarz, ganz einheitlich. Die sahen alle so finster aus.

Wie würden Sie Ihren Stil beschreiben?

Mein eigener Stil – sportlich und leger. Ich bin nicht extrem modisch und in den Farben zurückhaltend.

Für Mode wird gerade viel weniger ausgegeben. Die Zeiten sind unsicher, die Menschen halten ihr Geld zusammen. Otto hat im vergangenen Jahr ein dickes Minus schlucken müssen. Wie schauen Sie auf die Entwicklung?

Die schwache Konsumentwicklung belastet unsere gesamte Wirtschaft. Es kommen im Augenblick natürlich viele kritische Einflüsse zusammen. Da ist es durchaus nachvollziehbar, dass die Menschen sich beim Konsum zurückhalten. Das wird sich in diesem Jahr fortsetzen. Die Wirtschaft trifft zudem der geringere Export, auch, weil China sich schwächer entwickelt. Ich gehe aber davon aus, dass es im nächsten Jahr wieder mehr Zuversicht geben wird, wenn nichts Außergewöhnliches passiert. Dann wird wieder stärker konsumiert werden.

Zum Konzern gehören diverse Dienstleister: vom Paketboten Hermes übers Medizinangebot Better Doc bis zur Hanseatic Bank. Haben Sie bei Otto weitere Geschäftsfelder im Visier?

Im Bereich Digital Health sehen wir eine große Zukunft, denn wir müssen ja schauen: Wie kriegen wir überhaupt eine flächendeckende ärztliche Versorgung hin? Und wie lassen sich die Kosten senken? Es ist schon heute absehbar, dass das Gesundheitswesen irgendwann so nicht mehr finanzierbar ist, wenn es so weitergeht. In der Schweiz ist sehr viel mehr möglich, etwa bei der digitalen ärztlichen Beratung.

Aus Ihrer Sicht hat Digitalisierung viel mit Nachhaltigkeit zu tun. Warum?

Die Digitalisierung gerade der Verwaltung ist für den Standort ganz notwendig. Heute dauern Genehmigungen ewig. So kommen wir bei den erneuerbaren Energien und der Klimaneutralität nicht voran. Wenn mehrere Jahre vergehen, bis eine Genehmigung für eine Windkraftanlage da ist, dürfen wir uns nicht wundern.

Die Wirtschaftsprognosen für Deutschland sind düster. Nehmen Sie auch in Gesprächen mit anderen Unternehmern wahr, dass wir in einer bedrohlichen Lage stecken, was den Wohlstand im Land angeht?

Die Wirtschaftsentwicklung wird derzeit schon sehr kritisch gesehen. Deswegen ist es wichtig, dass wir jetzt schnell die richtigen Weichen stellen. Im Moment kommen einige wichtige Gesetze nicht voran, weil es Streitigkeiten in der Bundesregierung gibt. Die Koalition muss sich schnell einigen. Die Wirtschaft wartet darauf! Wenn die Entscheidungen nicht kommen, werden die Unternehmen hier nicht mehr ausreichend investieren.

Was ist Ihre konkrete Forderung?

Aus meiner Sicht brauchen wir zum Beispiel einen Industriestrompreis – als Brückenpreis für eine gewisse Zeit. Daran könnte man auch die Anforderung knüpfen, dass diesen Preis nur Unternehmen bekommen, die in Klimaneutralität investieren.

Sie haben Ihr Ohr sicher hier und da. Kommt der Industriestrompreis?

Davon gehe ich aus. Die Regierung wird daran nicht vorbeikommen. Die erneuerbaren Energien müssen natürlich zugleich günstiger werden. Da ist es kontraproduktiv, die Flächen in der Nordsee an den Meistbietenden zu vergeben. Wenn der Entwickler Milliarden zahlen soll, wird der Strom hinterher teurer sein. Das halte ich für absolut falsch.

Das Gespräch führte Lisa Schröder.

Zur Person

Michael Otto

ist Aufsichtsratsvorsitzender der Otto Group mit Sitz in Hamburg. Der Sohn des Gründers Werner Otto stieg nach einer Banklehre, einem Studium der Volkswirtschaftslehre und der Promotion 1971 ins Familienunternehmen ein. Später führte er den Konzern 26 Jahre als Vorstandsvorsitzender. Otto spricht an diesem Dienstag beim Bremer Unternehmerforum. Zur Veranstaltung der Unternehmensverbände im Lande Bremen werden gut 400 Gäste erwartet.

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