Frau Müller, Sie sind das Gesicht der Automobilindustrie in Deutschland. Am Lenkrad welches Modells sind Sie persönlich zu finden?
Hildegard Müller: Das verrate ich natürlich nicht. Ich bin auf jeden Fall mit einem Hybridauto unterwegs – beruflich und privat. Das nächste Auto soll dann vollelektrisch sein.
Warum soll es ein Stromer werden?
Weil ich davon überzeugt bin, dass wir gute Angebote von deutschen Herstellern haben, die mittlerweile viele Kilometer ermöglichen. Die Hauptmotivation ist aber natürlich der Klimaschutz. Das ist für mich eine Aufgabe unserer Zeit – unserer Generation. Ich empfinde auch eine persönliche Verantwortung.
Sitzen Sie noch viel selbst am Steuer oder brauchen Sie im Alltag einen Fahrer?
Beides. Wenn ich beruflich unterwegs bin, ist das Auto mein Arbeitsplatz. Ich empfinde das als großes Privileg. Das Verkehrsmittel suche ich immer passend zu meinen Terminen aus. Ich bin auch viel mit dem ÖPNV und der Bahn unterwegs, bei manchen Distanzen muss ich fliegen. Privat fahre ich natürlich selbst.
Wie schauen Sie derzeit denn auf den Protest der Letzten Generation? In dieser Woche hat es in Berlin, der Stadt, in der Sie leben, weitere Aktionen gegeben.
Die Sorgen sind verständlich. Und Protest ist legitim, er ist Teil des Wesens unserer Demokratie. Er sollte allerdings ausdrücklich auch verhältnismäßig sein. Was dort gerade passiert, ist aber kein Wunsch nach Diskurs, sondern Nötigung. Der Protest macht ja im Übrigen auch keinen Unterschied, ob zum Beispiel ein Rettungswagen durchkommen muss. Die Aktionen steigern zudem die Akzeptanz für den Klimaschutz nicht.
Waren Sie schon davon betroffen?
Nein. Ich nehme aber bei Kollegen und Bekannten wahr, dass die Betroffenheit zunimmt. Es wird leider kein Dialog gesucht. Die Aktivisten sitzen nur dort und tragen im Monolog ihre Forderung vor sich her. Sie sind nur auf Eskalation und mediale Begleitung aus. Wir haben in der Demokratie Möglichkeiten zum Diskurs und sollten besser den Dialog nutzen.
Unabhängig vom Protest: Wie erklären Sie sich, dass im Verkehr die Emotionen oft hochkochen?
Das Thema geht einfach jeden etwas an. Wie beim Fußball können also auch alle mitreden – und sind selbst betroffen. Mobilität ist für alle wichtig. Was ich oft schade finde, ist das Schwarz-Weiß-Denken. Ich rate uns allen, dass wir nicht nur die eigene Lebenswirklichkeit auf andere übertragen. Wir sollten wieder mehr Lösungen miteinander überlegen, die dem Klimaschutz verpflichtet sind, aber gleichzeitig Teilhabe ermöglichen.
Als VDA vertreten Sie die Interessen von 650 Herstellern und Zulieferern. Wie geht es der Industrie heute nach Ihrer Einschätzung?
Wir erleben verschiedene Herausforderungen. Wir stecken einerseits in der Transformation hin zu mehr Klimaschutz. Außerdem spüren wir natürlich weiter die Auswirkungen der Pandemie und die Folgen des russischen Angriffskriegs. Im Moment stellen sich andere Regionen der Welt wettbewerblich neu auf. Wir sind da von Deutschland und Europa enttäuscht, um die Arbeitsplätze hier zu halten, müssen wir mehr tun.
Inwiefern?
In den USA setzt der Inflation Reduction Act zurzeit viele Kräfte frei. Auf der anderen Seite verfolgt China eine klare Industriepolitik und unterstützt die heimischen Hersteller. Europa setzt dagegen zu viel auf Regulierung. Es werden nicht nur die Ziele vorgegeben, sondern auch die Wege dahin. Ich halte das für falsch. Unser bester Beitrag zum Klimaschutz in der Welt ist doch, Innovationen im Bereich klimaneutrale Mobilität hervorzubringen. Wir wünschen uns hier international wettbewerbsfähige Produktionsbedingungen und mehr Technologieoffenheit.
Ist das ein Plädoyer für E-Fuels? An diesen Kraftstoffen gibt es viel Kritik mit Blick auf die Effizienz. Außerdem sagten Sie unlängst selbst, der Verbrenner habe eine „endliche Perspektive“. Ist der Siegeszug der Elektromobilität nicht längst ausgemacht – besonders in China?
Der Verbrenner wird weltweit gesehen schon noch eine Perspektive haben. Und deshalb sollten wir hier auch weiterhin die besten und effizientesten Verbrenner bauen und in die Märkte bringen. In China ist zwar der Hochlauf der Elektromobilität zu beobachten. Es gibt aber auch nach wie vor viele neue Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor und einen hohen Anteil an Plug-in-Hybriden. Das hat auch mit der Geografie Chinas zu tun, denn im Norden sind es teils bis zu minus 30 Grad. Für diese Temperaturen braucht der Elektromotor noch Forschung und Entwicklung. In anderen Regionen der Welt ist die Diskussion außerdem noch ganz fern, wie sich der Straßenverkehr elektrifizieren lässt, weil es dort keine stabile Energieversorgung gibt.
Welche Rolle spielen die E-Fuels aus Ihrer Sicht?
Sie sind aus verschiedenen Gründen wichtig. Wenn wir 15 Millionen E-Autos bis 2030 in Deutschland erreichen, wie es der politische Wunsch ist, haben wir immer noch etwa 35 Millionen Verbrenner. Weltweit gibt es übrigens etwa 1,5 Milliarden Verbrenner-Fahrzeuge. Wir brauchen daher synthetische Kraftstoffe schon für den Bestand, damit der Verkehrssektor einen Beitrag zum Klimaschutz leisten kann. E-Fuels sind heute teuer, aber als zusätzliche Option sollten wir sie weiterentwickeln. Es ist eine Wette auf die Zukunft – die wir mit Blick auf die Verbrenner aber nicht auslassen sollten.
In den vergangenen Jahren sind deutlich weniger Autos in Deutschland hergestellt worden – auch bei Mercedes in Bremen. Die Pandemie brachte die Bänder zum Stillstand. Und dann kamen die Materialengpässe. Wie sieht Ihr Ausblick derzeit für den Absatz aus?
Wir passen ganz aktuell unsere Prognose für den deutschen Markt an. In diesem Jahr erwarten wir hier 2,8 Millionen abgesetzte Pkw. Das ist besser als zunächst angenommen. Wir sind damit aber vom Vorkrisenniveau immer noch weit entfernt. Im Jahr 2019 sind noch 3,6 Millionen Pkw abgesetzt worden.
Wann erwarten Sie eine stärkere Erholung?
Das ist schwierig zu sagen. Wir haben nach wie vor Probleme aufgrund von Materialmängeln etwa im Halbleiterbereich und beobachten auch eine Verunsicherung im Markt. Die Lebenshaltungskosten sind wesentlich teurer geworden. Das bringt immer auch Zurückhaltung bei der Anschaffung eines Autos mit sich. Ein Jahr kann ich Ihnen nicht nennen. Ich denke aber, dass wir die Engpässe schneller in den Griff bekommen, als die Menschen aufgrund der Inflationsentwicklung wieder entlastet werden.
Welche Entwicklung erwarten Sie bei den Preisen – speziell den Elektroautos? Die Hersteller bieten hier bisher kaum günstige Modelle an.
Die gute Nachricht ist, dass bald über 160 E-Modelle der deutschen Hersteller auf dem weltweiten Markt sein werden. Da ist für jeden Bedarf etwas dabei.
Also auch für jedes Portemonnaie?
Genau. Und wir investieren zurzeit wahnsinnig viel in die E-Mobilität und neue Antriebe. Je mehr Fahrzeuge abgesetzt werden, desto günstiger wird auf Dauer das einzelne Auto. Die Elektromobilität wird also irgendwann günstiger werden als der Verbrenner.
Wie viele Sorgen machen Sie sich um die Arbeitsplätze hierzulande angesichts der Herausforderungen?
Insgesamt arbeiten fast 780.000 Beschäftigte in der Automobilindustrie in Deutschland. Bremen und Niedersachsen sind ein ganz wichtiger Teil davon mit mehr als 140 Unternehmen vor Ort. Gut jeder vierte Pkw kam im vergangenen Jahr aus einem der beiden Länder. Untersuchungen zeigen, dass die Beschäftigung rückläufig sein wird. Um Produktion hier zu halten, tun wir alles, aber dafür müssen unsere Sorgen ernstgenommen werden. Wir haben eine Umfrage unter unseren Mitgliedern gemacht, nach der neun von zehn Unternehmen sagen: Deutschland ist nicht mehr wettbewerbsfähig mit Blick auf die Energiekosten, Steuern, Abgaben und Fachkräfte. Es geht also konkret um die Frage: Können wir hier neue Werke bauen? Ein Teil der Investitionen muss leider zunehmend ins Ausland gehen.
Welche Gefahren sehen Sie derzeit?
Wir müssen jetzt Investitionsentscheidungen treffen – auch um das Erreichen der Klimaschutzziele zu garantieren. Wir können nicht zwei, drei Jahre abwarten, weil die Lage wirtschaftlich schwierig ist. Für die Investitionen müssen aber international vergleichbare Bedingungen geschaffen werden. Ganz wichtig sind da aktuell die Energiekosten und die Energie- und Rohstoffverfügbarkeit.
Vor Ihrer Position beim VDA waren Sie lange in der Energiebranche tätig. Was fordern Sie hier konkret?
Wir brauchen eine wesentlich größere Energiemenge, als zur Verfügung steht. Meines Erachtens wird es nicht mit dem Ausbau erneuerbarer Energien in Deutschland getan sein. Wir brauchen Energie für viele Lebensbereiche. Die Autoindustrie benötigt sie fürs Laden der Elektroautos, für die Produktion und auch zur Herstellung von Wasserstoff und synthetischen Kraftstoffen. Wir brauchen darum Energiepartnerschaften mit anderen Ländern. Andere Regionen sind da schneller. Ein zweiter Punkt: Das Vertrauen der Menschen in die E-Mobilität hängt im hohen Maße davon ab, dass sie überall und zu jeder Zeit laden können. Wir brauchen nicht nur mehr Ladesäulen, sondern auch entsprechend ausgebaute Stromnetze.
China ist für die Autohersteller extrem wichtig. Sie haben gerade die Automesse in Schanghai besucht. Was konnten Sie von dort mitnehmen?
China ist mit seinen 1,4 Milliarden Einwohnern ein interessanter Markt. Ganz viel von den Geldern, die wir hier investieren können, verdienen wir auch dort. In China gibt es viel industriepolitisches Wollen der Regierung, international wettbewerbsfähige Automobilhersteller auf den Markt zu bringen. Da wächst also auch eine muntere Konkurrenz. Ich bin aber überzeugt, dass wir mithalten können. Was noch auffällt, ist, dass der Kundenbedarf dort teils anders ist.
Was heißt das?
Das Auto ist dort ein Ort, an dem ich mich neben dem Fahren auch aufhalte – zum Telefonieren, Fernsehen oder Videospielen. Das ist für uns ja doch etwas ungewöhnlich.
Das Auto ist ein zweites Wohnzimmer.
Ja. Das Auto ist ein Zuhause. Das liegt teils auch an den engeren Wohnverhältnissen in China.
Die Hersteller werden mit Sorgen auf die Entwicklung zwischen China und Taiwan schauen. Der Krieg Russlands gegen die Ukraine hat sicher die Perspektive verändert. Bereiten sich die Unternehmen auf eine weitere Eskalation vor?
Zunächst möchte ich sagen: Wir stehen ausdrücklich hinten der Sanktionspolitik gegen Russland. Der Angriffskrieg lehrt uns aber auch, dass wir wieder mit mehr Regionen der Welt sprechen müssen. Die Politik sollte also mehr engagierte Gespräche im harten diplomatischen Ringen miteinander führen. Die Hersteller müssen sich wegen des Konflikts auf Szenarien vorbereiten. Natürlich sind wir nicht unkritisch. Ich will auch ausdrücklich sagen: Für uns als Automobilindustrie gelten in China dieselben Werte wie überall. Wir haben da keine anderen Standards bei den Menschenrechten oder der Nachhaltigkeit.
Zurück zur Energie. Für einige Jahre waren Sie selbst in der Politik aktiv für die CDU – unter anderem als Staatsministerin im Bundeskanzleramt. Müssen Sie da nicht auch selbstkritisch festhalten: Wir sind bei der Energieversorgung einige Entwicklungsschritte nicht rechtzeitig angegangen?
Ich bin jetzt schon seit 15 Jahren aus der aktiven Politik raus. Für die Umsetzung der Energiewende habe ich bei meiner Arbeit in der Energiewirtschaft sehr gekämpft. Ich war am Ende des Tages persönlich verantwortlich für den Stromnetzausbau bei einem Energieunternehmen. Ich weiß also, wovon ich rede. Ich glaube, wir haben insgesamt als Land nicht mehr den ganz großen Anpassungsdruck empfunden. Viele Menschen hatten ein gutes Wohlstandsniveau. Jetzt müssen wir uns neu erfinden, um den Wohlstand halten zu können. Die Talente sind da. Und in den Köpfen ist Kreativität. Wir müssen an den Rahmenbedingungen arbeiten, damit wir als Gesellschaft schneller, mutiger und bereiter für Veränderungen sind.
Ihr Engagement neben dem VDA ist breit. Unter anderem sitzen Sie im Verwaltungsbeirat Ihres Lieblingsfußballvereins Bayern München.
Herzliche Grüße an Werder Bremen!
Wie stark leiden Sie derzeit?
Wer Fußballfan ist, ist immer emotional beteiligt – positiv wie negativ. Deshalb ist das natürlich schon ein Thema, was mich wie ganz viele andere Bayernfans bewegt. Es gibt aber viele Mannschaften in der Liga, die es schwerer haben, wenn ich das so sagen darf.