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Kommentar über den Ölmarkt Die Stabilität ganzer Länder steht auf dem Spiel

Der Preisschock auf dem Ölmarkt wird nicht kurzfristig sein. Das ist ein schwerwiegendes Problem für die großen Ölförderstaaten und noch viel mehr für die kleinen, schreibt Philipp Jaklin.
27.04.2020, 06:00 Uhr
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Die Stabilität ganzer Länder steht auf dem Spiel
Von Philipp Jaklin

Eigentlich bedurfte es keines Belegs mehr dafür, dass die Weltwirtschaft aus den Fugen ist. Doch welch historische Ausmaße diese Krise besitzt, zeigte in der vergangenen Woche ein dramatisches Ereignis an den Rohstoffmärkten. Und zwar so deutlich wie noch nie. Zum ersten Mal überhaupt fiel der Preis für US-Rohöl unter die Marke von null Dollar. Dass Händler noch dafür zahlen müssen, dass sie ihr Öl – zur Lieferung an einem bestimmten Zeitpunkt – loswerden, das gab es noch nie.

Auch wenn das Ölmarkt-Chaos im Terminhandel teils technische Gründe haben mag – es ist ein extremes Stresssymptom; ein Anzeichen dafür, dass es noch lange dauern wird, bis die globale Wirtschaft halbwegs zur Normalität zurückkehrt. Dafür sitzt der Schock zu tief. Binnen weniger Wochen ist die weltweite Ölnachfrage um bis zu ein Drittel eingebrochen.

Öl im Überfluss vorhanden

Airlines, die ihre Flieger am Boden lassen, Lkw-Transporte, die nicht mehr unterwegs sind, Industrie, die nicht mehr produziert – das sprichwörtliche Schmiermittel der Weltwirtschaft, von dem manche einst befürchteten, es könne versiegen, ist plötzlich im Überfluss vorhanden. Und zwar in solchem Überfluss, dass die Lagerkapazitäten knapp werden. Experten glauben, dass die gewaltigen Tanks in Cushing im US-Bundesstaat Oklahoma – dem weltgrößten Reservoir für amerikanisches WTI-Öl (West Texas Intermediate) – bereits in drei oder vier Wochen voll sein könnten.

Zu den extremen Ausschlägen an den Ölmärkten ist es aber nicht nur wegen des Nachfrageeinbruchs gekommen. Auch die Produzenten selbst haben dazu beigetragen: mit allerlei taktischen Spielchen um Fördermengen und Marktpositionen. Vor allem Russland und Saudi-Arabien zettelten mitten in dieser beispiellosen Phase der ökonomischen Schwäche einen Preiskrieg an, der sich letztlich gegen sie wendete. So verschärfte ein Überangebot an Rohöl die ohnehin angespannte Situation an den Märkten.

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Es ist nicht damit zu rechnen, dass es sich um einen kurzfristigen Preisschock handelt. In den kommenden Wochen und Monaten dürfte es schwierig bleiben, ausreichend Lagerplatz für die produzierten Mengen zu finden. Davon profitieren unter anderem die Eigentümer von Supertankern, die jetzt – wie bereits während der Weltwirtschaftskrise 2009 – zunehmend zur Speicherung des überschüssigen Öls auf hoher See eingesetzt werden. Vermutlich wird es einige Zeit dauern, bis die Nachfrage zurückkehrt. Mehr als ein Drittel des Ölbedarfs geht auf den Liefer- und Individualverkehr zurück. Das ist ein schwerwiegendes Problem für die großen Ölförderstaaten. Vor allem im Falle Russlands stellt sich die Frage, wie lange die Wirtschaft dieses Preistief verkraftet.

Noch nie dagewesener Eingriff in den Ölmarkt

Das gerade erst geschlossene Opec-Plus-Abkommen zwischen den Produzenten hat sich als deutlich zu zaghaft erwiesen – trotz der vereinbarten Förderkürzung von 9,7 Millionen Barrel pro Tag, einem bislang noch nie dagewesenen Eingriff in den Ölmarkt. Von den 42 Dollar für das Fass, die Wladimir Putin für einen ausgeglichenen Haushalt benötigt, ist der Ölpreis weit entfernt. Selbst die Optimisten unter den Marktbeobachtern gehen allenfalls davon aus, dass ein solches Niveau zum Jahresende wieder erreicht sein kann. Der Preis für die russische Uralmischung fiel zuletzt sogar unter zwölf Dollar.

Aber auch die Vereinigten Staaten als größter Produzent der Welt stehen unter enormem Druck. Die US-Ölkonzerne sind mit Hilfe billiger Kredite schnell gewachsen. Nun ist ihr Geschäftsmodell bis auf Weiteres kollabiert, Massenpleiten drohen. Die Frage wird sein, wie rasch es der gesamten Branche gelingen wird, auf andere Arten der Energiegewinnung umzuschwenken. In jedem Fall dürften die Anpassung schmerzhaft sein und die Auswirkungen auch auf den Arbeitsmarkt der betroffenen Staaten erheblich.

Besonders heftig droht es indes die ärmeren Ölstaaten zu treffen: Länder wie Nigeria, Libyen oder Venezuela. Sie sind besonders dringend auf die Rohstoff-Einnahmen angewiesen. Bei dieser Krise geht es nicht um noch ein paar Cent weniger, die an der Zapfsäule fällig werden. Es geht um die Stabilität ganzer Länder.

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