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Bremerhavener Tourismusexperte "Klimawandel macht den Urlaub teurer"

Hitzewellen und Waldbrände verdarben in diesem Sommer so manchen Mittelmeerurlaub. Welche Auswirkungen der Klimawandel auf die Sommerferien hat, erklärt der Bremerhavener Tourismusforscher Alexis Papathanassis.
04.09.2023, 05:00 Uhr
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Von Christoph Barth

Die Sommerferien sind zu Ende. Wer seinen Urlaub dieses Jahr am Mittelmeer verbracht hat, konnte dort einiges erleben: Hitzewellen mit bis zu 48 Grad, Waldbrände wie auf Rhodos, bei denen Touristen aus ihren Hotels flüchten müssten. Macht der Mittelmeerurlaub da noch Spaß?

Unter diesen Bedingungen natürlich nicht. Und damit stellt sich zwangsläufig die Frage: Was bedeutet der Klimawandel für den Tourismus? Was bedeuten Hitzewellen, Stürme, starke Regenfälle, die im Extremfall auch touristische Infrastruktur beschädigen und Touristen gefährden können?

Davon scheint das Mittelmeer besonders betroffen zu sein: Nach den Daten des Weltklimarats IPCC und den Erfahrungen der letzten Jahre erhitzt es sich stärker als der Durchschnitt der Erdregionen. Was heißt das also für den Tourismus in diesen Ländern?

Klima hat eine Auswirkung auf die touristische Nachfrage, das wissen wir aus der Forschung. Der Tourism Climate Index berücksichtigt verschiedene Indikatoren wie Temperaturen, Regenmengen, Windstärken, Sonnenscheindauer und Bewölkung. Und es gibt einen ganz klaren Zusammenhang zwischen diesen Faktoren und der touristischen Nachfrage. Wenn sich diese Indikatoren verschlechtern, wirkt sich das also auf die Nachfrage aus. Und das kann man nun mit den verschiedenen Klimawandelszenarien kombinieren: Was passiert bei 1,5 Grad höherer Durchschnittstemperatur, wie vom Pariser Klimaabkommen angestrebt? Und was passiert bei drei oder vier Grad?

Wen trifft es da am härtesten?

Die Küstenregionen und die Länder, die vor allem vom Küstentourismus leben: Zypern, Griechenland, Portugal, Spanien, Bulgarien, Rumänien – also die südlichen Länder. Da gibt es Rückgänge je nach Szenario von einem bis fünf Prozent, in Zypern bis zu acht Prozent. Profitieren würden Finnland, Schweden, Dänemark – die skandinavischen Länder – mit einem Anstieg von bis zu sechs, sieben Prozent. Aber nur in den extremen Szenarien – bleibt es bei dem Pariser Szenario von 1,5 Grad, wären die Auswirkungen marginal.

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Das hört sich nicht so an, als würden die Touristen das Mittelmeer in Scharen verlassen.

Wir werden eine saisonale Verschiebung erleben, aus der Hauptsaison Mai bis Oktober in die Schultersaison, also die Monate davor und danach.

Also lieber im Frühjahr ans Mittelmeer als im Hochsommer?

Genau.

Dann trifft der Klimawandel den Mittelmeertourismus also gar nicht so schlimm? Selbst fünf Prozent Rückgang sind ja nicht das Ende.

Fünf Prozent erscheinen nicht viel zu sein. Aber angesichts der Größe und Bedeutung der Tourismusbranche in vielen Ländern sind es in absoluten Zahlen eben doch viele Arbeitsplätze und viel Umsatz, die da wegfallen würden. Man muss die gesamten Auswirkungen betrachten: Dazu gehört auch, dass die Kosten und die Versicherungsprämien der Reiseveranstalter steigen, wenn etwa Hotels evakuiert werden müssen, wie dieses Jahr auf Rhodos, meiner Heimatinsel. Der Klimawandel wird den Urlaub teurer machen.

Trifft das mehr die großen Reiseveranstalter oder die Anbieter vor Ort?

Es trifft ganz sicher die mittelständische Wirtschaft in den Reiseländern. Der Tourismus ist zum Beispiel ein Bereich, in dem viele Frauen beschäftigt und bis in Leitungspositionen aufgestiegen sind oder sich selbstständig gemacht haben. Wenn die touristische Entwicklung also beeinträchtigt wird, gerade in Ländern, in denen die Gendergerechtigkeit noch nicht so hoch entwickelt ist, hat das auch soziale Konsequenzen.

In Griechenland ist der Tourismus der wichtigste Wirtschaftsfaktor und ein Vehikel, um aus der Krise zu kommen. Funktioniert das also künftig nicht mehr?

Tourismus kann Entwicklungen in postindustriellen Volkswirtschaften ankurbeln. Wirtschaftlich gehört der Tourismus zum Exportbereich, ohne Waren produzieren und ausführen zu müssen. Einige Länder profitieren davon mehr, andere weniger. Das hat viel mit der Funktionsfähigkeit von staatlichen Institutionen zu tun, mit Korruption und der Zusammensetzung des touristischen Angebots. Griechenland hat immer viel vom Tourismus profitiert, hätte aber noch viel mehr Potenzial.

Wir sprachen über die Saisonalität: Könnte der Klimawandel dazu führen, die Tourismussaison in den südlichen Ländern zu verlängern und so zu einer besseren Verteilung und Auslastung zu kommen?

Das ist eine interessante Frage. Heute sind die Straßen im Sommer oft überfüllt, der Strom fällt aus und das Wasser wird knapp. Im Winter dagegen wird die Infrastruktur kaum genutzt. Es macht also Sinn, dieses Hoch und Runter zu glätten, Überlastung und Verschwendung zu minimieren.

Kommen wir zu den Gewinnern: Wer profitiert von einer Verschiebung der Touristenströme? Die "Süddeutsche Zeitung" titelte neulich: "Reykjavik statt Rimini".

Das hängt von vielen Faktoren ab. Zum Beispiel von der Tourismusbranche selbst: Wo werden die Hotels gebaut? Wo gehen die Flüge hin? Es hängt auch von der Reisemotivation ab: Was will ich erleben? Will ich einen verantwortungsvollen Tourismus?

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In Island kann man sich schlecht Bettenburgen an der Küste wie an der Adria vorstellen. Sind diese Länder überhaupt aufnahmebereit für neue Touristenmassen?

Damit sind wir beim Thema "Overtourism": Wie viele Touristen kann eine Destination tragen, wann wird es zu viel? Das hängt von der Infrastruktur ab, von der Art des Tourismus, aber auch von der Akzeptanz in der Bevölkerung. Kommen die wirtschaftlichen Effekte des Tourismus der gesamten Bevölkerung zugute? Wenn die Einheimischen nur Nachteile haben wie überfüllte Straßen und steigende Preise, werden sie die Touristen nicht akzeptieren.

Könnten die deutschen Ferienorte mehr aufnehmen?

Das kommt darauf an: welche, wann und zu welchem Preis? Grundsätzlich würde ich sagen: Es ist noch Potenzial da. Deutschland hat ein ausgewogenes Portfolio an touristischen Angeboten, eine gute Infrastruktur, ist aber nicht gerade günstig. Handlungsbedarf besteht allerdings bei der Ausbildung und Gewinnung von Fachkräften. Wenn wir das nicht in den Griff bekommen, können wir unsere gute Position sehr schnell verlieren.

Weite Urlaubsreisen fördern genau das, was dem Mittelmeer jetzt zum Verhängnis werden könnte: den Klimawandel. Erwarten Sie darüber eine verstärkte Diskussion?

Ich erhoffe mir eine solche Diskussion, aber bitte sachlich und nicht polarisierend. Reisen ist nicht nur ein Geschäft. Wir Menschen machen das seit Jahrhunderten, es ist Teil unserer Kultur. Reisen ermöglicht Austausch, schafft Nähe und Empathie. Tourismus ist also auch Bildung. Das Thema Nachhaltigkeit geht häufig verloren in einer Diskussion, die zwischen Aktivismus und Apathie hin und her schwankt: dem Aktivismus gegen jede Form von Tourismus und der Apathie vieler Menschen, die sich überhaupt nicht dafür interessieren. Was wir brauchen, ist Empathie. Bei den Bränden im Sommer auf Rhodos sind viele Leute zu mir gekommen und haben gefragt: Was ist da los? Wie geht es deiner Familie? Warum? Weil sie schon mal da waren, weil sie die Insel kennen. Ich glaube, diese kulturelle Nähe, die das Reisen schafft, kann uns helfen, etliche Probleme dieser Welt zu verstehen und zu lösen.

Das Gespräch führte Christoph Barth

Zur Person

Alexis Papathanassis

ist Professor für Seetouristik und Touristik an der Hochschule Bremerhaven. Im Februar 2021 wurde er zum Rektor der Hochschule berufen.

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