Wie aus dem Nichts erhebt sich der Anleger vor Wilhelmshaven aus dem Wasser, 1,5 Kilometer vom Ufer entfernt. Ein weißer Steg, auf Pfeilern befestigt, stemmt sich gegen eines der stärksten Strömungsgewässer Europas. Angedockt ist ein Schiff. 277 Meter lang, von vier Schleppern umgeben. Mit der "Excelsior" ist an der Jade ein zweites LNG-Terminal entstanden – sogenannte kritische Infrastruktur, die Deutschlands Energieversorgung garantieren soll.
Denn: "Gas wird auf absehbare Zeit für unsere Energieversorgung von großer Bedeutung bleiben", sagt Bundeswirtschaftsministerin Katherina Reiche (CDU). Seit Freitag ist die "Excelsior" in Betrieb und wird Flüssigerdgas in das deutsche Gasnetz einspeisen. Bis zu 1,9 Milliarden Kubikmeter dieses Jahr, gibt der Betreiber, die Deutsche Energy Terminal Gesellschaft (DET), bekannt.
An diesem Montag ist in Niedersachsen der zweite Umschlagplatz für den Rohstoff offiziell in Betrieb gegangen. "Die Infrastruktur sorgt dafür, dass die Energiepreise in Zukunft sicher und günstig sind", betont Niedersachsens Umweltminister Christian Meyer (Grüne) beim feierlichen Akt. Langfristig soll die Infrastruktur so ausgelegt werden, dass sie auch alternative Energieträger wie Wasserstoff und Biomethan aufnehmen kann. Damit übernehme das Bundesland eine Schlüsselrolle beim Übergang zu einer klimaneutralen Industrie.
Die beiden schwimmenden Terminals in Wilhelmshaven sollen langfristig durch ein festes Terminal vor dem Voßlapper Groden Nord ersetzt werden. Die Inbetriebnahme ist bis 2026 geplant.
Das erste deutsche LNG-Terminal ging im Dezember 2022 an den Start. Insgesamt hat der Bund fünf schwimmende LNG-Terminals gechartert. Sie gelten als Zukunftstechnologie, haben Deutschlands Abhängigkeit von russischem Gas verringert. Ziel ist, durch die LNG-Terminals die Energiesicherheit in Krisenzeiten zu gewährleisten, sagt der Geschäftsführer des bundeseigenen Betreibers, Peter Röttgen. Doch seit Monaten mehrt sich Kritik. Die Rede ist von Überkapazitäten. Das schwimmende LNG-Terminal in Stade wird vorerst nicht in Betrieb genommen.
Unabhängiger von Putins Öl
Bereits in den Achtzigerjahren plante der Konzern Ruhrgas ein LNG-Terminal in Wilhelmshaven. Dieses Vorhaben wurde mangels politischer Unterstützung aufgegeben. Nach dem Beginn des Ukrainekriegs nahm die Regierung die Pläne wieder auf. Die politische Forderung nach Unabhängigkeit von russischem Öl und Gas führte zu staatlicher und finanzieller Unterstützung für den Aufbau der LNG-Infrastruktur.
Die Bundesregierung unter Olaf Scholz beschloss daraufhin den Bau von LNG-Terminals in Brunsbüttel und Wilhelmshaven. Da diese nur ein Drittel des benötigten Gasvolumens ersetzen konnten, wurden weitere Terminals in Planung genommen: ein zweites in Wilhelmshaven, neue Anlagen in Stade, Mukran und Lubmin (Deutsche Ostsee). Zusätzlich verabschiedete die Ampel-Koalition ein Gesetz zur Beschleunigung des LNG-Ausbaus.
Das schnelle Vorgehen gilt als Beleg dafür, dass Deutschland in der Lage ist, große Infrastrukturprojekte innerhalb weniger Monate umzusetzen. Kanzler Scholz prägte in diesem Zusammenhang den Begriff „Deutschlandtempo“. Auch dank des ersten Terminals in Wilhelmshaven konnte die befürchtete Gaskrise im ersten Winter nach Kriegsbeginn abgewendet werden.
Kritik an Überkapazität
Doch die vorhandenen drei Anlagen sind nicht ausgelastet und dem Terminal in Stade droht das Aus, bevor es in Betrieb gegangen ist. Olaf Lies (SPD), damals noch niedersächsischer Wirtschaftsminister, schaltete sich ein.
Philipp Steinberg hält dem entgegen, dass die LNG-Terminals nicht für eine Vollauslastung gebaut wurden, sondern auch einen Vorsorgecharakter haben. Er ist als Abteilungsleiter im Bundesministerium für Wirtschaft und Energie unter anderem für Energiesicherheit und Gas zuständig. Eine aktuelle Auslastung von 50 bis 60 Prozent sei bei LNG-Terminals der Standard, auch in anderen Ländern. Die Terminals sollen einspringen, wenn andere Bezugsquellen ausfallen. So komme etwa die Hälfte des in Deutschland genutzten Gases über Pipelines aus Norwegen, die am Meeresgrund verlaufen, sagt Steinberg. Sollte es dort durch Sabotage zu Ausfällen kommen, könnten die LNG-Terminals Ersatz liefern.
Seit den Anschlägen auf die Nord-Stream-Pipelines hat Niedersachsen die Vorsichtsmaßnahmen an den Terminals erhöht. Die Polizei sorgt für eine verstärkte Bewachung, die örtlichen Kräfte wurden speziell dafür ausgebildet, sagt Steinberg. Über den Sicherheitszentren besteht eine Flugverbotszone, maritime Zentren wurden errichtet. "Wir nehmen die Bedrohung ernst", sagt er.
Meeres- und Klimaschutz
Daneben bemängeln Klimaschützer den massiven Ausbau der LNG-Kapazitäten. Beim Verbrennen von Erdgas wird Kohlenstoffdioxid freigesetzt. Hinzu kommt, dass durch die vermehrte Abnahme auch umstrittene Fracking-Verfahren gefördert werden. Dabei wird das Gas unter hohem Druck aus Gesteinsporen herausgelöst – in älteren Anlagen häufig unter Einsatz von Chemikalien.
Auch die Lebensräume von Meerestieren und -pflanzen geraten in den Fokus: Umweltverbände sorgen sich um deren Erhalt.
Zudem wird beim ersten LNG-Terminal in Wilhelmshaven chlorhaltiges Abwasser in die Jade eingeleitet. Die Rohrsysteme werden mit Chemikalien gereinigt, um Algen- und Muschelbewuchs zu verhindern. Beim neuen Terminal wird hingegen auf Chlor und Biozide verzichtet, stattdessen sorgt eine spezielle Ultraschalltechnik für saubere Leitungen.