Bremen ist das einzige Bundesland, in dem die Zahl der Arbeitslosen in den vergangenen Monaten gestiegen ist – während die Zahl in anderen Bundesländern sinkt. Nach Ansicht von Experten liegt das vor allem am hohen Anteil der Langzeitarbeitslosen. Im Juli waren im Land Bremen 37 724 Männer und Frauen arbeitslos gemeldet – 16 578 von ihnen werden als Langzeitarbeitslose geführt. Das sind mehr als 40 Prozent aller Arbeitslosen. Der Bundesdurchschnitt liegt bei 30 Prozent. Im Juni waren 16 339 Menschen langzeitarbeitslos, im Mai verzeichnete die Bundesagentur für Arbeit 16 261. Die Tendenz ist also steigend.
Als Langzeitarbeitslose gelten Menschen, die länger als ein Jahr erwerbslos sind. Ein Blick in die Statistik zeigt: Den typischen Langzeitarbeitslosen gibt es nicht. Einige Betroffene haben gesundheitliche Probleme, was ihre Berufschancen stark einschränkt. Andere sind alleinerziehend und haben kein Geld, ihre Kinder unterzubringen und können deswegen nicht arbeiten. Auch fortgeschrittenes Alter kann ein Hindernis sein, um einen Job zu finden. Manchmal kommen auch mehrere Punkte zusammen. In Bremen bestehe außerdem das große Problem, dass besonders viele Langzeitarbeitslose keinen Berufsabschluss haben, sagt Regine Geraedts von der Arbeitnehmerkammer. Laut Statistik sind das 66 Prozent.
Seit vier Jahren fokussiert sich der Senat nunmehr auf die Bekämpfung dieses Problems. Und investiert mittlerweile den Hauptanteil der jährlichen 15 Millionen Euro aus dem Europäischen Sozialfonds (ESF) in die Sanierung des Arbeitsmarktes. Viele Programme laufen allerdings gerade erst an. Für die Langzeitarbeitslosen, die unter 25 Jahre alt sind, gibt es seit drei Monaten die Jugendberufsagentur. Holger Bruns, Sprecher des Senators für Arbeit, schätzt, dass in diese Gruppe etwa 2000 der Langzeitarbeitslosen fallen. Die Jugendberufsagentur soll die jungen Erwachsenen gezielter über Weiterbildungsmöglichkeiten zum Beispiel an weiterbildenden Schulen informieren. Für ältere Betroffene wurde im Februar das erste Förderzentrum eröffnet. In den nächsten Monaten sollen es fünf werden. Jedes Zentrum bietet circa 50 Plätze. Dort werden die Betroffenen individuell betreut und können mit fachlicher Unterstützung ihre Stärken herausarbeiten und in einer Übungsfirma Probe arbeiten. Dies ist zum Beispiel in den Berufsfeldern Verkauf, Ernährung und Logistik möglich. Erfolgsprognosen zu beiden Initiativen gibt es noch nicht. Die Bremer CDU sieht jedoch jetzt schon beide Programme kritisch: Zwar seien die Ansätze ganz gut, erklärt der wirtschaftspolitische Sprecher, Jörg Kastendiek. Allerdings fehle es an Erfolgskontrollen. Der Christdemokrat befürchtet: „Da werden wieder viele Betroffene durch Programme geschleust, aber es bleibt unklar, was es ihnen bringt.“
Der Bremer Senat setzt auch auf den Bund: Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) hat im November das Programm „Soziale Teilhabe am Arbeitsplatz“ auf den Weg gebracht. Bundesweit sind 10 000 Stellen geplant, die „sehr arbeitsmarktferne Langzeitarbeitslose“ wieder in den Arbeitsmarkt integrieren sollen. Der Bund stellt dafür für alle Bundesländer bis 2018 einen Betrag von 450 Millionen Euro zur Verfügung. Auf Bremen würden davon – ersten Berechnungen zufolge – 100 Stellen fallen. Dieter Reinken, SPD-Landesvorsitzender und Mitglied der Arbeitsdeputation, sagt jedoch, dass der Senat beim Bund dafür geworben habe, 500 Plätze zugesprochen zu bekommen. Die genaue Zahl soll Mitte August feststehen. Kritiker beanstanden, dass mit Nahles’ Programm nur etwa vier Prozent der Langzeitarbeitslosen erreicht werden würden.
Der Bremer Wirtschaftswissenschaftler Rudolf Hickel findet die Kritik an der Arbeitsmarktpolitik von Land und Bund unangebracht. „Ich bin froh, dass das Thema von der Politik begriffen worden ist und daran jetzt gearbeitet wird“, sagt er. Er spricht sogar davon, dass Bremen bundesweit mit seinen Initiativen einen „Modellcharakter“ habe. Allerdings sieht er schon das nächste Problem in puncto Langzeitarbeitslosigkeit auf das Land zukommen.
Denn auch die Flüchtlinge werden allmählich in der Langzeitarbeitslosenstatistik erfasst. In den ersten drei Monaten 2015 ist etwa die Zahl der ausländischen Arbeitslosen (im Vergleich zum Vorjahresmonat) im Januar um zwölf, im Februar um 13 und im März um 15 Prozent gestiegen. Laut Hickel ließe sich das Problem wie folgt lösen: „Es muss einen runden Tisch geben, an dem Handelskammer, Handwerkskammer und Arbeitnehmerkammer zusammenkommen, um einen Plan zu entwickeln, wie die Flüchtlinge in den Arbeitsmarkt integriert werden können.“
Es gelte, Sprach- und Berufskompetenz der Zugewanderten auszubauen. Kastendiek bestätigt: Die Politik sei sich im Klaren darüber, dass die Integration dieser Langzeitarbeitslosen diesmal möglichst früh passieren müsse. Dieter Reinken spricht von einer neuen „Schwerpunktsetzung“, die so vor vier Jahren noch nicht vorherzusehen gewesen sei.
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