In diesem Prozess geht es noch immer um einen Mord ohne Leiche. Aber nun ist – im Gegensatz zum letzten Mal vor gut einem Jahr – wahrscheinlich der Angeklagte im Gericht. Am Montag, 13. August, unternimmt das Landgericht Bremen den nächsten Versuch, ein Verbrechen aufzuklären, das mittlerweile mehr als ein Vierteljahrhundert zurück liegt.
Seit Juni 1993 wird Jutta Fuchs aus Farge vermisst. Die Polizei geht davon aus, dass die damals 29-Jährige umgebracht wurde. Unter Verdacht stand von Anfang an ihr Lebensgefährte Wolfgang O., von dem sie sich kurz vor ihrem Verschwinden trennen wollte. Im Kalender der Frau war der 26. Juni als Umzugstermin eingetragen. An jenem Tag wollte sie mit ihrem zweijährigen Sohn in eine neue Wohnung ziehen. Doch dazu sollte es nie kommen: Einen Tag zuvor verschwand sie spurlos. Zwei Tage später fand ein Autofahrer auf einem Parkplatz an der A27 ihre Handtasche. Darin – völlig durchnässt, obwohl es tagelang nicht geregnet hatte – Ausweis, Führerschein und Bankkarte der Frau.
Ihr Lebensgefährte vermutete, dass Fuchs mit einem anderen Mann durchgebrannt war. Doch die Polizei schenkte dieser Version von Anfang an nur wenig Glauben. Denn die Frau galt als verantwortungsvolle Mutter, die ihren Sohn niemals zurückgelassen hätte.
Wolfgang O. rückt in den Fokus der Ermittler
Stattdessen rückte Wolfgang O. selbst in den Fokus der Ermittler. Vor allem als an seinem Firmenfahrzeug Spürhunde anschlugen. Für die Polizei war dies der Beweis, dass in dem Wagen eine menschliche Leiche transportiert worden war. Doch weitere Spuren fand die Polizei nicht, und O. beteuerte seine Unschuld. Letztlich reichte die Beweislage nicht für seine Verhaftung. Auch nicht, als ein Jahr später aus dem Tietjensee nahe Schwanewede eine Tüte mit Schminkutensilien und dem Verlobungsring von Fuchs geborgen wurde.
Über Jahre hinweg suchte die Polizei weiter nach der Frau, auch die Fernsehsendung „Aktenzeichen XY“ griff den Fall 2008 auf. Doch alle Bemühungen waren erfolglos, Jutta Fuchs blieb verschwunden.
Um die Verjährung des Falles zu verhindern, erhob die Staatsanwaltschaft 2013 trotzdem Anklage. Mord verjährt nicht, aber es könnte sich auch um Totschlag handeln, der nach 20 Jahren verjährt gewesen wäre. Doch der zuständigen Strafkammer war die Beweislage zu dünn. Sie entschied 2014 gegen eine Eröffnung des Verfahrens. Dagegen wiederum legte die Staatsanwaltschaft Beschwerde ein. Mit Erfolg: Im August 2016 hob das Oberlandesgericht den Beschluss des Landgerichts auf und eröffnete das Verfahren.
Tatsächlich begann der Prozess im Oktober 2017, musste aber schon am ersten Verhandlungstag wieder ausgesetzt werden. Denn nicht nur die Leiche fehlte in diesem Verfahren, sondern auch der Angeklagte. Dem Vernehmen nach lebt Wolfgang O. seit Jahren im Ausland, sogar eine Adresse war bekannt. Doch ob der Beschuldigte die Ladung für den Prozess tatsächlich erhalten hatte, war für die Justiz nicht zu klären.
Das Motiv für die Tat
Inzwischen wurde der Angeklagte erreicht. Das Gericht geht davon aus, dass er am Montag erscheint. Dass es trotzdem ein äußerst kompliziertes Beweisverfahren werden wird, zeigt die Prozessankündigung: Der heute 58-jährige Wolfgang O. soll seine Lebensgefährtin "zu einem nicht exakt bestimmbaren Zeitpunkt auf nicht feststellbare Weise getötet und an einem bis heute nicht bekannten Ort verborgen haben". Als Motiv für die Tat führt die Staatsanwaltschaft die drohende Kränkung durch eine Trennung und Mitnahme des gemeinsamen Sohnes auf. Zudem habe der Angeklagte auf diese Weise versucht, sich und seinen Eltern den uneingeschränkten Zugang zu seinem Sohn zu sichern.
Der Prozess beginnt um 9 Uhr in Saal 218 des Landgerichts. Neben der Verlesung der Anklage steht die Anhörung der ersten Zeugen auf dem Programm – geladen sind laut Gericht der Vater des Angeklagten sowie der inzwischen erwachsene Sohn von Jutta Fuchs und seines wegen Mordes angeklagten Vaters.