Herr Lauer, in der deutschen Agrarlandschaft sind etwa 84 Prozent der angebauten Pflanzen von Insekten abhängig. Immer wieder wird betont, wie wichtig dabei die Honigbiene als Bestäuber ist.
Florian Lauer: Es gibt jedoch eine immense Zahl an Insekten, die unsere Kulturpflanzen, aber auch die wilden heimischen Pflanzen bestäuben, wie zum Beispiel Schmetterlinge und Schwebfliegen, aber vor allem die Wildbienen spielen eine große Rolle. Die Honigbiene ist im Vergleich zu den Wildbienen kein effektiver Bestäuber. Untersuchungen an Sonnenblumen haben gezeigt, dass Wildbienen viel häufiger als Honigbienen von der männlichen Blüte zur weiblichen wechseln, was die Voraussetzung für eine Befruchtung unter den Pflanzen ist.
Das heißt: Wir müssen uns auch um die Erhaltung der Wildbienen kümmern, von denen ja allein im Bremer Raum etwa 150 Arten vorkommen?
Wildbienen sind essenziell, um die Vielfalt der Kulturpflanzen, aber auch der vielen wilden Kräuter in den Naturflächen zu sichern. Doch in der Agrarlandschaft, wie sie derzeit strukturiert ist, wird das kaum möglich sein.
Warum?
Die großen Schläge saugen wie ein Staubsauger die bestäubenden Insekten der Umgebung heraus. Sie locken derart viele Nektar- und Pollensammler an, dass für die vielen Wildpflanzenarten zum Beispiel an Feldrändern oder Hecken kaum noch etwas an Bestäubern übrig bleibt.
Also müsste man Ackerflächen fordern, die eine bestimmte Größe nicht überschreiten?
Das gilt zumindest für Felder, auf denen Kulturpflanzen angebaut werden, die auf Insekten als Bestäuber angewiesen sind. Untersuchungen in Neuseeland haben gezeigt, dass zudem ab einer Fläche von 200 mal 200 Metern auch der Bestäubungserfolg zurückgeht.
Sind die großflächigen Monokulturen die Hauptursache für das gegenwärtige Insektensterben? Und haben Sie den Rückgang der Insekten auch beobachtet?
Das Insektensterben konnte ich wie jeder im letzten Jahr an der Windschutzscheibe meines Autos beobachten, die auch bei sommerlichen Fahrten weitgehend sauber blieb. Ich habe das Insektensterben selber anhand von Schmetterlings-Untersuchungen im Riesengebirge mit exakten Zahlen untermauern können: Sowohl die Artenzahlen wie die Mengen an Faltern sind enorm zurückgegangen.
Tritt das Insektensterben auch unter den Wildbienen auf?
Schauen Sie auf die Roten Listen der gefährdeten Arten: Mehr als die Hälfte der heimischen Wildbienen ist in ihrem Bestand bedroht, das sind in Deutschland derzeit fast 300 Arten.
Können die Blühstreifen, die derzeit vom Niedersächsischen Landwirtschaftsministerium finanziell gefördert werden, die Schäden wieder ausgleichen?
Wenn Blühstreifen zum Beispiel jährlich gemäht werden, kann die Mahd jedes Mal Nester von Wildbienen zerstören – sie stellen dann ökologische Fallen dar! Blühstreifen müssen also gut konzipiert sein.
Eine weitere Ursache für den Verlust der Insektenvielfalt sind wohl auch die Pestizide, die von der Landwirtschaft in großem Maßstab eingesetzt werden?
Dabei ist viel zu wenig bekannt, dass zum Beispiel Fungizide, also pilzabtötende Gifte, die neuartigen Gifte, die Neonicotinoide, in ihrer Giftigkeit noch erhöhen – das sind komplexe Zusammenhänge, über die man erst in Ansätzen etwas weiß.
Was müsste in der Landwirtschaft anders werden? Brauchen wir bei den Flächen eine Agrarwende?
Unbedingt: Wir brauchen kleinere Schläge, mehr kleinräumige Vielfalt mit Hecken und ungenutzten Feld- und Wegrändern, zumindest teilweise Mischkulturen statt der Monokulturen und vor allem ein Verbot solcher Pestizide, die Natur und Umwelt bedrohen.
Was kann der Einzelne tun? Stichwort Insektenhotel. Stichwort bienenfreundlicher Garten.
Auch bei den Insektenhotels wird leider vieles falsch gemacht. Ich zeige in meinen Vorträgen, dass es weit besser ist, Insektenhotels nur für einige Insektengruppen aufzustellen. Denn in den gängigen Insektenhotels siedeln sich zum Beispiel auch „Ohrenkneifer“ an, die sich über die Larven von Wildbienen hermachen können – ein Insektenhotel, das „allen“ etwas bieten soll, bietet letztlich gar nichts. Besonders wichtig für den Schutz von bestäubenden Insekten sind Naturgärten mit vielen heimischen Pflanzenarten, und auf keinen Fall Gärten, in denen Exoten und Zuchtformen wachsen, die gefüllte Blüten haben – keine Biene kann damit etwas anfangen.