Man kann das gemeinsame Leben von Helga und Günther Sundmacher in wenigen Stichworten erzählen: Geboren 1934 und 1932 in Bremen, Heirat 1954, zweimal innerhalb Bremens umgezogen, beide haben gearbeitet, er als Briefträger, sie als Verkäuferin. Ab Anfang der Sechzigerjahre unzählige Wochenenden im Wohnwagen bei Cuxhaven, zwei Töchter, später dann auch große Reisen nach Kanada und ganz Europa, es kommen Enkel und Urenkel dazu und jetzt die Gnadenhochzeit als Jubiläum für sieben gemeinsame Jahrzehnte. Ein langes Leben kleiner Leute.
Man kann aber auch die vielen Geschichten erzählen, die das immer noch rüstige Pärchen im Laufe von 70 Jahren zusammengetragen hat. Zum Beispiel, dass Günther Sundmacher 1954 beim Jugendamt vorsprechen musste, um sich „als künftiger Ehemann zu qualifizieren“, wie er es formuliert. Denn seine Helga war seinerzeit mit noch 20 minderjährig und lebte bei Pflegeeltern. Den leiblichen Vater hat sie nie kennengelernt, als Vormund war er nicht greifbar, auch weil er in der damals noch als „Ostzone“ bezeichneten DDR lebte. Aber er zahlte von dort Unterhalt, der übers Bremer Jugendamt den Pflegeeltern zufloss. Also war es an der Behörde, stellvertretend die Heirat zu gestatten.
Kleine Leute und die große Politik
So ist schon der Anfang dieser Lebensgeschichte eng mit der großen Politik verwoben. Und eigentlich ist das immer so: Dass ihre Jugend in schwierige Nachkriegsjahre fiel, hatten sie sich ja auch nicht ausgesucht. Nur sich ineinander zu verlieben, das war wohl eine Art Entscheidung.

Helga und Günther Sundmacher bei ihrer Trauung 1954 vor der Findorffer Kirche.
Getroffen wurde sie bei einem nachmittäglichen Tanztee. Das war dort, wo heute das Parkhotel steht, im sogenannten Parkhaus, einem Teil des 1913 entstandenen Vorgängerbaus, das den Zweiten Weltkrieg überstanden hatte, bevor es 1956 dem heutigen Bau weichen musste. „Er hat mich zum Tanzen aufgefordert und er ist ein toller Tänzer, das hat mich beeindruckt“, sagt Helga Sundmacher. Und auch das ist eine Geschichte: Ein junger Bremer Musiker, der damals noch Hans Last hieß, bevor er zum James wurde, begleitete mit seinem noch kleinen Ensemble den Tanz der frisch verliebten jungen Leute.
Anfang auf 45 Quadratmetern unterm Dach
Günther Sundmacher hatte sich da gerade erst von seiner Klempnerlehre zum Briefträger umorientiert. „Damals wurde man auf dem Bau noch in jedem Herbst gekündigt“, erinnert er sich. Unsichere Sache, also lieber in Findorff Briefe austragen, da, wo geboren war, lebte und sich auskannte. Natürlich fand darum die Trauung in der gerade nagelneu errichteten Martin-Luther-Kirche in Findorff statt.
Die erste Wohnung dann im Dachgeschoss, 45 Quadratmeter mit vielen Schrägen über der Wohnung seiner Eltern. „Aber wir bekamen ein Schlafzimmer, wir fühlten uns reich“, erzählt Helga. Eine Überraschung: Die Pflegeeltern hatten den vom Jugendamt überwiesenen Unterhalt all die Jahre angespart und überließen das Geld den jungen Eheleuten.
Die 1960er Jahre: Ein Jahrzehnt des materiellen Aufstiegs
Ein schöner Start in ein bescheidenes Eheleben. Briefträger waren auch damals eher schlecht bezahlt, große Sprünge waren erst mal nicht drin. Erst 1961, kurz vor der Geburt der zweiten Tochter, zog man vom Findorffer Dachgeschoss in eine größere Sozialwohnung, die mit Glück und etwas Bettelei ergattert wurde, nach Schwachhausen. Die nun vierköpfige Familie konnte sich auf 74 Quadratmeter verteilen. Bei der Größe blieb es auch, als man 1973 eine mühsam ersparte Eigentumswohnung in Osterholz erstand, wo das Ehepaar noch heute lebt. „Mehr braucht man nicht“, findet Günther.
Die Sechzigerjahre sind für die Sundmachers ein Jahrzehnt des materiellen Aufstiegs. Das Briefträgergehalt steigt etwas, nach der Geburt der zweiten Tochter kann auch Helga arbeiten und findet eine Anstellung als Schuhverkäuferin bei Görtz. Ein Wohnwagen in Cuxhaven als Wochenenddomizil wird zum kleinen Luxus. Das Leben wird Stück für Stück etwas bequemer, parallel zur Gesamtlage in der jungen Bundesrepublik. Mit wachsendem Wohlstand steigt die Reiselust: Ab Mitte der Siebzigerjahre führen die Urlaube an andere Strände als nach Duhnen. Es geht nach Griechenland, nach Italien, nach Spanien und einmal sogar bis nach Kanada.
Bis heute mobil und gesellig
Seit Mitte der Neunzigerjahre genießen sie ihre Rente. Mit heute 90 und 92 sind sie ziemlich mobil, körperlich wie geistig. Gute Gene mutmaßen sie, aber sie tun auch etwas dafür. „Wir bewegen uns beide gern und viel und pflegen viele Freund- und Bekanntschaften“, sagt Günther. Das halte fit. Er macht seit 20 Jahren Yoga, sie ist seit über 50 Jahren Mitglied bei Werder Bremen, Abteilung Frauengymnastik. Das eigene Auto sichert auch heute noch eine große Mobilität.
Das Geheimnis ihrer langen Ehe? „Wo der Schornstein nicht mal raucht, ist keine Ehe“, sagt Günther: Soll heißen, gelegentlicher Streit gehört dazu. Das Jubelpärchen nennt es „Kabbelei“. Aber man sei sich nie lange böse geblieben. Anders gesagt: Konflikte wurden ausgetragen, aber beide waren nie nachtragend.
Den 90. Geburtstag von Helga haben sie Anfang des Jahres im größeren Rahmen gefeiert. „Da waren zehn enge Freunde und Bekannte dabei, die nicht zur Familie zählen“, sagt Günther nicht ohne Stolz. Aktuell fiebert das Jubel-Pärchen sicherem Badewetter entgegen, um wieder in ihrem Lieblingssee schwimmen zu gehen. „Die Füße waren dieses Jahr schon drin“, gibt Günther zu Protokoll.