Wieder und wieder zupft Elfriede Eickenberg die Stoffdecke auf dem Esszimmertisch gerade. Bis zu ihrem Renteneintritt vor 36 Jahren arbeitete sie als Schneiderin, sagt die 98-Jährige. "Ich habe, denke ich, immer gut verdient." Trotzdem beziehe sie seit ihrem Umzug nach Bremen vor acht Jahren Wohngeld – und warte nun seit nunmehr sieben Monaten darauf, dass ihr Folgeantrag bewilligt werde.
Allein ist sie damit nicht. Es ist bekannt, dass Antragstellerinnen und Antragsteller in Bremen lange auf einen Wohngeldbescheid warten. Derzeit liegt die durchschnittliche Bearbeitungszeit bei fünf Monaten (wir berichteten). Insgesamt 4700 nicht abgeschlossene Anträge lagen der Wohngeldstelle laut dem zuständigen Bauressort zum 1. Oktober vor. Die Wartezeiten seien unter anderem den fortwährenden Wohngeldnovellen des Bundes geschuldet.
Eickenberg gehört zu den 40 Prozent der Antragsteller und Antragstellerinnen, die laut Bauressort Rente beziehen. Die 98-Jährige lebt in einer Wohnung auf einem Hof für Senioren in Borgfeld. Das Haus betreibt ihre Nichte, Doris Klüver. "Meine Tante zahlt bei mir deutlich weniger Miete als die anderen Anwohner. Und die Nebenkosten, die über den Abschlag hinausgehen, übernehme ich", sagt die 64-jährige Klüver. Andernfalls könne sich ihre Tante die Wohnung nicht mehr leisten. Das liege auch daran, dass Eickenbergs Pflegegrad jüngst von zwei auf vier angehoben worden sei, sagt Klüver.
Eickenberg hört schlecht und ist meist auf einen Rollator angewiesen. Früher hat Klüver nach eigenen Angaben die Pflege ihrer Tante übernommen. "Nun geht das Geld an den Pfleger, der mehrmals täglich vorbeischaut." Für Klüver ist es absolut unverständlich, dass die Bewilligung eines Folgeantrages für Wohngeld so lange dauert. "Da ist doch irgendwo der Wurm drin."
"Ich will keine Schulden machen"
Auch Andrea Nacke, Abteilungsleiterin Sozialpolitik vom Sozialverband VdK Niedersachsen-Bremen (VdK), kann die lange Wartezeit nur schwer nachvollziehen. "Die meisten relevanten Daten sollten in so einem Fall bereits vorliegen", sagt sie. Der VdK fordert, dass derartige Anträge priorisiert werden. Lange Arbeitszeiten dürften nicht dazu führen, dass Menschen gegebenenfalls in die Privatinsolvenz gerieten.
So weit ist es bei Elfriede Eickenberg nicht, weil sie von Doris Klüver unterstützt wird. Sie wolle aber keine Schulden bei ihrer Nichte machen, sagt die 98-Jährige. Die mache sie derzeit aber. "Das ist mir unangenehm." Klüver kann das verstehen: "Meine Tante möchte in Würde altern und da gehört eine gewisse Unabhängigkeit dazu."
Eickenbergs Rente liegt Klüvers Aussage nach bei 900 Euro, jährlich um wenige Euro steigend. Es ändere sich also kaum etwas. "Trotzdem muss ich den Papierkram jedes Jahr aufs Neue ausfüllen", sagt Klüver. In der Regel alle zwölf, maximal alle 18 Monate: So steht es im Gesetz. Das soll laut dem Bremischen Bauressort geändert werden: So forderte die Landesregierung jüngst vom Bund, den Bewilligungszeitraum auf 24 Monate ausdehnen zu können, zum Beispiel "bei Haushalten mit gleichbleibendem Einkommen wie Rentnern".
Der VdK sieht einen Lösungsansatz in einem effizienteren Datenaustausch: Die Deutsche Rentenversicherung könne Bezüge automatisch an die entsprechende Stelle übermitteln, "so wie es in der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung schon üblich ist", sagt Nacke. Generell müssten die Antragsverfahren vereinfacht werden.
Schimpfen will Eickenberg über die Mitarbeiter der Wohngeldstelle nicht. "Ich bin dankbar, dass ich Anspruch habe." Sie wolle nur das Geld, das ihr zustehe, sagt die 98-Jährige.