Nein, sagt der 16-Jährige, so richtig erinnern könne er sich nicht. Er ist ein bisschen aufgeregt, man merkt, er möchte vor Gericht nichts falsch machen. Wer will es ihm verdenken. Vor über zwei Jahren, im Juni 2022, hat er nichts anderes getan, als in einem Bremer Laden Stifte und Sprühfarben zu kaufen. Nun sitzt er im Gerichtssaal, mitten in einem Nachbarschaftsstreit, und soll als Zeuge aussagen.
Damals hatte der Jugendliche mit zwei Freunden, beide wie er Graffiti-Sprayer, in dem Geschäft des Klägers eingekauft. Einer der Jungs füllte draußen vor dem Laden eine gerade gekaufte Farbe in einen Marker-Stift und kleckerte dabei auf den Gehweg. Was einem Nachbarn auf den Plan brachte, der den Jungen aufforderte, den schwarzen Fleck zu beseitigen. Die Frage der Richterin, ob sich ihm bei dieser Szene irgendetwas ins Gedächtnis eingebrannt habe, das wichtig sein könnte, beantwortet der Jugendliche mit einem kurzen „Nee“. Irgendwie ein „Riesentheater“ sei das gewesen, wohl habe er sich dabei nicht gefühlt, aber mehr könne er dazu nicht sagen.
Hintergrund der Frage der Richterin ist, dass sich die Zivilklage des Ladeninhabers gegen besagten Nachbarn genau um diesen Punkt dreht. Der Nachbar habe die Jungs derart belästigt und bedroht, dass die fortan einen Bogen um seinen Laden gemacht hätten, sagt der Geschäftsmann. Zehn Monate lang hätten sie nicht mehr bei ihm eingekauft. Da sie zuvor aber relativ oft bei ihm Kunden gewesen seien – „manchmal täglich, aber zwei bis dreimal die Woche auf jeden Fall“ – sei ihm dadurch ein finanzieller Schaden entstanden. Deshalb und wegen eines angeblich vom Nachbarn zerstörten Fahrradschlosses der Gang vors Amtsgericht. Er habe Umsatzbußen in Höhe von 920 Euro erlitten, sagt der Kläger und fordert diese Summe vom Nachbarn zurück. Plus 67,48 Euro für das Fahrradschloss.
"Das reicht mir nicht"
Schon beim Auftakt dieses Prozesses im Juni hatte die Richterin durchblicken lassen, dass die Beweislage in Sachen kaputtes Fahrradschloss äußerst dürftig sei. „Das reicht mir nicht.“ In ähnliche Richtung lief nun am zweiten Verhandlungstag die Beweisführung zur angeblichen Bedrohung der Jungs. Der 16-Jährige bestätigte zwar, dass er mehr als ein Jahr lang Kunde in dem Laden gewesen sei – „so einmal im Monat, manchmal auch mehr“ – doch an eine Bedrohung erinnerte er sich nicht. Und dass er anschließend nur noch ein-, zweimal in dem Laden gewesen sei, läge eigentlich eher daran, „dass ich nicht mehr sprühen wollte“.
Geladen hatte die Richterin für diese Woche eigentlich auch die beiden anderen Jugendlichen, die jedoch nicht vor Gericht erschienen. Deshalb wird es im Dezember einen dritten Termin geben. Dann allerdings wird es nicht mehr um die 920 Euro gehen, die der Kläger geltend gemacht hatte, sondern – abzüglich von Verdienstmargen und Steuer – nur noch um seinen möglicherweise entgangenen Gewinn. Den errechnete die Richterin auf 386,55 Euro.