Aus gegebenem Anlass möchte ich Sie heute in den Wendezeiten willkommen heißen. Denn auf die Gefahr hin, dass es Ihnen entgangen sein sollte: Wir stecken mittendrin. Und dafür braucht es – Stichworte Iran, Israel, Drecksarbeit im Merz’schen Sinne – nicht mal so schwere Themen wie die Politik und kriegerische Konflikte als tagesaktuell-deprimierendes Beiwerk.
Denn in viel friedlicherer Hinsicht steht im 0421-Land wie überall eine Wende an, nämlich die der Sommersonne: mit dem längsten Tag des Jahres am 21. Juni. Was rein inhaltlich natürlich insofern Unsinn ist, als dass dieser Sonnabend exakt genauso lang ist wie alle anderen 364 Tage auf ihrem Weg vom 1. Januar bis zum 31. Dezember. Aber: Nie wieder werden wir dabei in 2025 innerhalb von 24 Stunden die Option auf eine längere Strecke an Tageslicht erhalten. Nutzen wir sie also!
Da einem bei allem Vorlauf zum Stichtag dennoch immer was Unvorhergesehenes in die Quere kommen kann, habe ich damit vorsichtshalber schon am Montag angefangen. Da habe ich mich mit zwei meiner ältesten – umgehende Korrektur: langjährigsten – Freunde aus Schulzeiten zur maximalen Tageslichtnutzung am Abend auf der Terrasse eines Lokals im uns so vertrauten Bremer Süden getroffen. Dessen Besuch hätten wir einst als Abiturienten allenfalls älteren Menschen zugestanden – doch nun, da wir exakt 35 Jahre nach unserem Schulabschluss selbst dazu zählen, stand ersatzhalber die Versicherung, unserer unumstößlichen Lebensmitte völlig unbeeindruckt zu begegnen.
Hiermit also für das Protokoll: Als drei mittelalte weiße Männer waren Jens, Alex und ich uns einig, allein schon deshalb immun gegenüber der gefürchteten Midlife-Crisis zu sein, da keiner von uns jetzt noch einen Motorradführerschein machen und etwaige Versäumnisse der Vergangenheit mit einer Harley-Davidson nachholen möchte. Und einen offenen Sportwagen würde sich auch keiner von uns kaufen, selbst wenn er dazu durch wenigstens aberwitzige Zufälle in Lebens-, Karriere- und Finanzplanung unerwartet in der Lage wäre.
Das darf von uns schon deshalb als verantwortungsvoller, wenn auch kleiner Beitrag zur lokalen Klimabilanz betrachtet werden, da es mit der Produktion von grünem Stahl im 0421-Land ja nun offenbar nichts mehr wird. Was recht niederschmetternd ist – sowohl mit Blick auf zukunftsfähige Arbeitsplätze wie auch Bremens angestrebte Klimaneutralität. Denn das, was das Stahlwerk als mit Abstand größter Treibhausgasproduzent der Stadt ausstößt, kann niemand ausgleichen. Da lässt sich noch so sehr auf den Pkw-Verkehr schimpfen, aktivistisch die Luft aus SUV-Reifen lassen oder vom Lastenrad als Allheilmittel für individuelle Transportwege träumen. Herrje, Wendezeiten haben es auch nicht leicht.
Tagebucheintrag: Angesichts der verheißungsvollen Wettervorhersage wird am Wochenende bei mir endlich angegrillt. Die Kinder warten schließlich schon lange darauf, sowohl das fleischessende wie das seit Jahren vegetarische. Da ich zur Erfüllung der jeweiligen Bedürfnisse einen Kohlegrill (windschiefes Baumarktmodell mit etlichen Jahren auf dem Buckel) betreibe, leiste ich hiermit offiziell klimatisch Abbitte.