Herr Behr, Sie sind als Architekt weltweit engagiert. Ihr Büro in London hat zum Beispiel den Karlatornet entworfen, ein 247 Meter hohes Haus in Göteborg, das vor Kurzem bezogen wurde. SOM berät auch ganze Staaten. Was verschlägt Sie nach Bremen?
Thomas Behr: Meine Verbindungen zu Jens Eckhoff, der hier mit uns am Tisch sitzt. Er war in New York, als ich dort für unser Büro gearbeitet habe, und fragte, ob er vorbeikommen könne. Dazu müssen Sie wissen, dass SOM mal ein Gebäude in Bremen entworfen hat, das damalige US-amerikanische Konsulat am Präsident-Kennedy-Platz. Dazu noch die Wohnhäuser für die Angestellten des Konsulats in der Marcusallee. Das war 1954. Herr Eckhoff wollte sich die alten Bauunterlagen ansehen, und so haben wir uns kennengelernt.
Jens Eckhoff: Genau, das war kurz nach meiner Zeit als Bausenator in Bremen. Ich wollte mich nach den Wohnhäusern erkundigen, weil es von privater Seite Interesse gab, sie zu entwickeln. Danach habe ich Herrn Behr und sein Büro auf dem Schirm behalten. SOM verfolgt beim Planen einen ganzheitlichen Ansatz, sie schaffen außergewöhnliche Architektur und befolgen strikt den Vorsatz, wenn irgend möglich klimaneutral zu bauen. Das Büro ist ein Vorbild, wie man Stadtentwicklung gestalten kann. Deshalb habe ich mich gefreut, dass ich Herrn Behr für einen Impulsvortrag gewinnen konnte. Wir beschäftigen uns in der CDU gerade mit den Chancen, die Bremen hat, weil es an einem Fluss liegt.
Herr Behr, haben Sie nach dem Konsulatsgebäude, das mittlerweile unter Denkmalschutz steht, in Bremen noch einmal etwas entworfen?
Behr: Nein, am Ende nicht. Es war mal überlegt worden, das Musicaltheater am Richtweg abzureißen und dort stattdessen ein Hochhaus hinzusetzen. Wir hatten damals ein Gespräch mit der Senatsbaudirektorin.
Und? Lassen Sie mich raten: Frau Reuther war nicht erbaut.
Behr: Wir sind hier nicht in Manhattan, hat sie gesagt. Dabei war das grob skizzierte Gebäude mit 75 Metern gar nicht mal übertrieben hoch. Das Projekt ist dann eingeschlafen.

Architekt Thomas Behr kritisiert an der Überseestadt den Umgang mit öffentlichen Räumen.
Wir sitzen für unser Gespräch auf der Überseeinsel in der Überseestadt. Genauer: im Silo-Hotel auf dem Kellogg-Gelände. Was hat das Gebiet aus Expertensicht für eine Anmutung?
Behr: Die Einbindung der alten Gebäude, zum Beispiel des Silos, ist fantastisch. Man versucht, diesen Charakter zu erhalten, das gefällt mir. Die Architektur der Neubauten in der Überseestadt – ist Geschmackssache, wie immer eigentlich. Wichtiger sind die städtischen Räume. Und an diesem Punkt lässt das Gebiet noch einiges zu wünschen übrig, finde ich. Es ist an den meisten Stellen noch nicht so gestaltet, dass man verweilen möchte. Der Ort ist ortlos, austauschbar. Ob ich in Berlin durch den Adlershof fahre oder in Bremen durch die Überseestadt, macht kaum einen Unterschied. Man baut soundso hoch, man hat die Straße, man hat den Radweg, die Pflanze, das Haus. Nichts Besonderes, immer gleich.
Was ist die Alternative?
Behr: Ich habe keine Patentlösung, und vielleicht muss das alles erst einmal heranwachsen, es ist ja noch einiges in Bau. Grundsätzlich bekomme ich in der Überseestadt den Eindruck, dass sie bisher hauptsächlich für das Auto geplant wurde. Nehmen Sie als Beispiel die Konsul-Smidt-Straße. Es gibt dort keine Raumbildung. Die Gebäude liegen relativ weit entfernt und sind nicht eingebunden. Vielleicht gelingt das später, wenn die Bäume höher sind oder überhaupt mal gepflanzt werden.
Dieses wenig Ausdifferenzierte, gerade auch bei der Verkehrsanbindung, liegt möglicherweise daran, dass der Senat vor 25 Jahren, als für die Überseestadt der Masterplan aufgelegt wurde, noch nicht so recht an das Projekt glauben wollte. Stimmt doch, Herr Eckhoff, oder? Sie waren damals Senator für Umwelt, Bau und Verkehr.
Eckhoff: Ja, stimmt, wir waren mit unseren Prognosen recht verhalten. Zu meiner Verteidigung kann ich sagen, dass die SPD in der Großen Koalition noch nicht einmal die Straßenanbindung an den Wall wollte. Es war eine rasante Entwicklung, und das in einem Gebiet, das dreimal so groß ist wie die Hafencity in Hamburg. Über die Aufenthaltsqualität wurde in den Anfängen nur wenig nachgedacht.

Jens Eckhoff kritisiert, dass anfänglich zu wenig über die Aufenthaltsqualität in der Überseestadt nachgedacht wurde.
Hauptsache bauen. Hauptsache, die Investoren kommen.
Eckhoff: So war das, ja. Und Herr Behr hat recht: Der öffentliche Raum ist in der Tat bislang noch nicht so ausgefeilt, wie es notwendig wäre.
Herr Behr, weil es von hier aus gleich um die Ecke ist: Wie finden Sie die neue Zech-Zentrale am Kopf des Europahafens?
Behr: Das ist davon abhängig, wie man draufschaut. Vom Hafenbecken aus finde ich’s gelungen. Von der Seite – ich weiß nicht. Form, Farbe und Massivität, der Sinn dahinter erschließt sich mir aus dieser Warte erst einmal nicht richtig. Man muss allerdings anerkennen, dass es unter Klimagesichtspunkten schwierig geworden ist, leicht und offen zu bauen. Der Weser-Tower am Eingang der Überseestadt wirkt viel filigraner, hat aber wegen der Glasfassade ein Hitzeproblem.
Die Weser und andere Flüsse, die durch große Städte fließen – Ihr Thema beim Vortrag, den Sie vor der Bremer CDU gehalten haben. Was war der Tenor?
Behr: Viele Städte liegen an Flüssen, an Flussmündungen oder am Meer. Der Grund liegt auf der Hand: Wasser ist ein Wirtschaftsweg, immer schon. Dann gab es eine Zeit, in der sich die Städte von den Flüssen abgewandt haben. An den Ufern wurden Straßen gebaut oder es wurde Industrie angesiedelt. In London war es am Ende dieser Entwicklung kaum noch möglich, an die Themse zu kommen. Das hat sich geändert. Ein Beispiel ist das Viertel Canary Wharf im Osten der Stadt, das in den 1990er-Jahren entstanden ist. Unser Büro hat damals den Plan entworfen. Trotz vieler Widrigkeiten ist er am Ende aufgegangen. Es gibt neben den Bürobauten die Restaurants am Wasser, unzählige Freiflächen und Gärten. Der Fluss ist als Lebensader wieder erlebbar.
Das Gespräch führte Jürgen Hinrichs.