Viertel nach ist in der Überseestadt so gut wie viertel vor. 25 Jahre her, dass der Senat beschlossen hat, das Hafenrevier neu zu entwickeln. Dann gab es einen Masterplan und am Ende eine Dynamik, mit der kaum jemand gerechnet hatte. Erlahmt ist sie bis heute nicht, es geht weiter und weiter, ganz sicher bis tief ins nächste Vierteljahrhundert hinein.
Vor ein paar Wochen erst wurde wieder ein Grundstück ausgeschrieben. Es liegt an der Cuxhavener Straße und ist knapp 2000 Quadratmeter groß. Die Wirtschaftsförderung Bremen (WFB), zuständig für die Vermarktung der Flächen in der Überseestadt, verkauft in diesem Fall nicht, sondern vergibt ein Erbbaurecht für die Dauer von 99 Jahren. Die Halle auf dem Grundstück wird abgerissen. Genutzt werden soll es für Gewerbe, Industrie oder soziokulturelle Angebote.

Der Überseehafen, nachdem er zugeschüttet wurde.
Die Ausschreibung ist ein Beispiel dafür, wie die Überseestadt langsam vollläuft. Der Ortsteile von Walle breitet sich auf insgesamt 288 Hektar aus und ist damit eines der größten städtebaulichen Projekte Europas. Weil die Schuppen und Speicher meist stehen geblieben sind und weiterhin viel Hafengeschäft abgewickelt wird, wirkt der Ortsteil nicht wie aus dem Boden gestampft. Alt und neu wechseln sich ab. Die WFB spricht von einem "Standort der Möglichkeiten" mit Logistikunternehmen, Werbeagenturen, die Hochschule für Künste in Speicher XI, diversen Restaurants, Gewerbe, Büros, Wohnungen, Freizeit, Kultur und Betrieben wie die Rolandmühle.
Rund 120 Hektar der gesamten Fläche waren für die Vermarktung verfügbar. Das meiste davon ist weg, demnächst voraussichtlich auch das Grundstück in der Cuxhavener Straße. Doch ein großes zusammenhängendes Areal gibt es noch. Es zieht sich wie ein langes schmales Handtuch vom Waller Sand bis zum Überseepark und umfasst etwa 16 Hektar. Der Bereich in der Nähe des Holz- und Fabrikenhafens ist dezidiert als Wirtschaftsstandort ausgewiesen, wird also keinen Wohnungsbau aufnehmen. Das bislang nur grob geplante Projekt heißt "Piek 17".

Das alte Kühlhaus soll zu einer Energiezentrale umgebaut werden.
"Piek 17 wird nicht als anonymes Gewerbegebiet gedacht", versichert WFB-Mitarbeiterin Valerie Hoberg. Sie erhoffe sich vielmehr einen Ort mit Charakter. Die Voraussetzungen sind da: Allein das alte Kühlhaus neben dem Waller Sand – ein Gebäude wie ein Wahrzeichen der Industrie, unbedingt erhaltenswert, auch wenn es noch voller hochgiftiger Altlasten steckt. Dazu die Schuppen, alte Eisenbahngleise und Reste einer Kaje des früheren Überseehafens, der 1998 mit Sand verfüllt wurde. "Soweit möglich, werden diese Elemente erhalten und prägen den Ort mit ihrer erlebbaren Geschichte", sagt Hoberg.
Die Rede ist von einem "Zukunftsquartier", was sich in einer klimaneutralen Energieversorgung und einem besonderen Mobilitätskonzept ausdrücken soll. Dabei kommt das alte Kühlhaus ins Spiel. Es soll zu einer ultramodernen Energiezentrale weiterentwickelt werden. "Wir wollen einen experimentellen und emotionalen Ort schaffen", hatte Wirtschaftssenatorin Kristina Vogt (Linke) bei der Vorstellung des Projekts gesagt. Das Stichwort heißt Abwärme, die bei den bereits bestehenden Unternehmen in der näheren Umgebung entsteht. Sie soll die Versorgung mit Erdgas weitgehend ersetzen. Im alten Kühlhaus könnte diese Energie gespeichert werden.

Die neue Zech-Zentrale am Kopf des Europahafens.
Das sind Pläne, die ins neue Jahrzehnt und darüber hinaus reichen. Viertel vor also. Viertel nach, die ersten 25 Jahre – sie fingen mit der politischen Weichenstellung an. Harte Kämpfe waren das, denn die ansässigen Hafenbetriebe hatten Sorge, verdrängt zu werden. Viel Misstrauen, auch Klagen vor den Gerichten, doch das hat sich einigermaßen beruhigt.
Als der Überseehafen verfüllt war, kam 2002 der Großmarkt auf die Fläche. Ein Jahr später wurde der Masterplan für die Überseestadt verabschiedet. In dasselbe Jahr fällt die Entwicklung von Speicher XI und Alter Feuerwache. Dann kam in großem Stil der Bremer Projektentwickler Justus Grosse mit seinen Wohn- und Bürobauten. 2010 war der Weser Tower am Eingang des Gebiets fertig, eine Investition der Familie Schopf (Eduscho) und ihres Unternehmens Siedentopf. Im gleichen Jahr wurde fast am anderen Ende des Hafens auch der Landmark-Tower von Justus Grosse eingeweiht. Der Ausbau von Speicher I war damals bereits vollendet, später reihte sich der sanierte Schuppen 1 ein. "Waller Sand" und Überseepark sind geschaffen worden. Am Kopf des Europahafens hat sich mit monumentalen Bauten der Bremer Unternehmer Kurt Zech verewigt. Und nun geht es auf dem ehemaligen Kellogg-Areal so richtig zur Sache – einem Teil der sogenannten Überseeinsel.
Das waren die ersten 25 Jahre. Noch einmal so viel, und die Überseestadt ist fertig – sofern man so etwas sagen kann, denn Veränderung gibt es immer.