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11. Etappe des Grenzgängers Auf dem Gipfel

Heute geht es für Jürgen Hinrichs von Leuchtenburg zur Lesum. Dabei stieg er auf die höchste natürliche Erhebung in Bremen.
21.09.2015, 00:00 Uhr
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Auf dem Gipfel
Von Jürgen Hinrichs

Heute geht es für Jürgen Hinrichs von Leuchtenburg zur Lesum. Dabei ging es auf die höchste natürliche Erhebung in Bremen.

Ich bin an der Spitze angekommen, höher geht es nicht, jedenfalls nicht in Bremen. Es sind exakt 33 Meter und 51 Zentimeter, der Gipfel im sonst so platten Stadtgebiet. „Schaffen Sie das ohne Sauerstoff?“, hatte mein Begleiter mich scherzhaft gefragt und prompt eine Antwort bekommen: „Da bin ich wie Reinhold Messner, der hat jeden Berg ohne künstlichen Sauerstoff bestiegen.“ Und nun stehen wir also ganz oben, pusten einmal durch und steigen wieder hinunter. Wir gehen, um ehrlich zu sein, und das Hinunter, nun ja, das merkt man gar nicht.

Dass es die höchste natürliche Erhebung in Bremen ist (der Müllberg in Walle hat noch ein paar Meter mehr), wird von niemandem bezweifelt. Wohl aber, wie hoch der Punkt genau ist. Stefan Villena-Kirschner, der mich durch den Friedehorstpark führt, hat sich festgelegt und pocht auf den Eintrag in einem alten Plan, den der Landschaftsarchitekt bei seinen Recherchen zur Geschichte des Parks gefunden hat. Für ihn sind es 33 Meter und 51 Zentimeter, basta.

Offiziell werden von den Statistikern allerdings nur 32,5 Meter angegeben. Glatt einen Meter weniger, und wer nicht weiß, was so ein Unterschied bedeuten kann, sollte sich einen Film anschauen, er trägt den schönen Titel „Der Engländer, der auf einen Hügel stieg und von einem Berg herunterkam.“ Dort ging es um ein paar Fuß. Fuß, nicht Meter, weil der Film in Wales spielt. Es wurde gemessen, nachgeholfen, und wieder gemessen, bis es war, wie es sein sollte: Der Hügel war zur großen Genugtuung der Bevölkerung zu einem Berg geworden.

Der Friedehorstpark liegt auf meinem Weg von Leuchtenburg zur Lesum, eine sehr lange Etappe dieses Mal. Villena-Kirschner erwartet mich am Eingang zu einer Sackgasse, die am Rande des Parks in die Lehnhofsiedlung führt. Die 13 Häuser dort haben alle denselben Stil: gediegen und detailverliebt. Die weit heruntergezogenen Dächer sind mit Reet gedeckt. Drumherum teils weite, offene Flächen. Wiesen sind das, und manchmal weiß man gar nicht, was privat ist und was öffentlich.

Überhaupt ist das in der Siedlung ein Gefühl, als wäre man ein Eindringling, ein Störfaktor in diesem abgeschotteten Reich. Einmal gehen wir schnurstracks über das Pflaster einer Garageneinfahrt, um in den Park zu gelangen. Wäre mir nie eingefallen. „Das ist ein öffentlicher Weg“, erklärt Villena-Kirschner, er wird das wissen.

Entworfen und gebaut wurde die Siedlung Anfang der 1950er-Jahre vom Bremer Architekten Eberhard Gildemeister. „Ein verschrobener und sehr pedantischer Mensch“, sagt mein Begleiter. Wehe, es zog jemand einen Zaun um sein Grundstück oder baute ein Fenster ins Reetdach. Das war ein Frevel und wurde geahndet. Strenge Regeln. Gestaltungssatzung! Gildemeister war für damalige Verhältnisse ein Großer in seinem Fach, er hat auch die Pläne für das Haus des Reichs gezeichnet, dem heutigen Sitz der Finanzbehörde.

Ein anderer, der in Bremen Berühmtheit erlangt hat, ist Wilhelm Benque. Er hat den Bürgerpark gestaltet und möglicherweise, man weiß es nicht, auch den Friedehorstpark. „Es gibt Indizien“, sagt Villena-Kirschner. Die Blickachsen, die Teiche, könnte sein, meint er. Eigentlich ist er sich sicher, nur dass die letzten Beweise fehlen.

Wie auch immer, Benque mag der Architekt gewesen sein, Motor des Parks war im 19. Jahrhundert aber die Familie Lürmann, die sich auf ihrem Landgut ein Paradies nach Schweizer Vorbild schuf, mit einem Schweizer Haus, Schweizer Kühen und Schweizer Gewächsen.

Heute gehört der Park der Stiftung Friedehorst. Viel macht sie nicht daraus, zu wenig. Die Teiche zum Beispiel wachsen langsam zu, ein Jammer, wahrscheinlich ist kein Geld da.

Ohne Begleitung geht es weiter, mit strammem Schritt, aber unstetem Ziel, weil da was lockt, was jeden Umweg wert ist: Die Currywurst von Warnckes Holzkohlegrill, so würzig und bissfest bekommt man sie nirgends. Während ich schlemme, kommt ein alter Mann in den Grill. Ein Stammkunde, wie’s scheint, er duzt sich mit der Bedienung. „Hab‘ einen dicken Quanten“, erzählt der Mann. Am Morgen in den Schuh geschlüpft und von einer Wespe gestochen, die es sich darin bequem gemacht hatte. So’n Schiet auch.

Es ist nicht schön jetzt, Strecke machen, sonst gar nichts, und ewig die Karte in der Hand, weil es so kompliziert ist, der Grenze zu folgen. An einer Stelle wird es aber doch noch einmal interessant, das Ruschdahlmoor, ein Landschaftsschutzgebiet mit so dicker Moorschicht wie nirgendwo sonst in Europa. Die Fläche ist nur knapp fünf Hektar groß und von Siedlungen umgeben, kurios, wie ein Loch dazwischen. Tatsächlich sind es zwei Löcher, steht auf der Infotafel im Gelände. Zwei kreisrunde Erdfalltrichter als Folge von sogenannten Hohlraumbrüchen im 150 Meter tief gelegenen Salzstock „Lesum“.

Irgendwann bin ich an der Ihle, einem vier Kilometer langen Rinnsal, das sich in Ihlpohl unbeirrt seinen Weg sucht. Kreisel hin, wie’s früher dort war, Kreuzung her, wie’s heute ist. Der Bach unterquert die A 27 und die A 270. Ein Autobahn-Gewässer. Manchmal schwillt die Ihle an, man traut ihr das gar nicht zu, und dann müssen die Leute aufpassen, dass ihre Keller nicht volllaufen.

Bei Real rüber, und dann noch einmal eine Straße überquert, bis ich den Ihlpohler Knoten endlich hinter mir habe. Der Weg führt weiter nach Marßel, durch Schweden, könnte man sagen, weil die Straßen so heißen: Stockholm, Uppsala, Malmö, es gibt auch einen Olof-Palme-Weg.

An einem Gestüt vorbei, unter der Eisenbahnbrücke hindurch, dann ist es geschafft. Über die Wiesen hinweg, auf denen Pferde grasen, sehe ich den Deich. Es ist die Lesum dahinter, die zur Wümme wird. Und auf der Wümme geht es weiter.

Die nächste Etappe wird mit dem Boot bewältigt: Paddeln auf der Wümme. Die Truppe ist trotz mangelnder Übung überraschend schnell unterwegs.

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