Zwei Freunde, beide knapp über 50, stehen beim Bier in der Kneipe. Der eine erzählt von seiner Darmspiegelung: „Die stecken den Schlauch nicht einfach nur rein, nee. Da kriegst du erst ein Medikament, und dann kannst du alles live verfolgen. Weißt du, das geht links, das geht rechts, das geht hoch. An meiner Darmwand gibt es nichts auszusetzen.“ Mit solchen und ähnlichen Spots wirbt zurzeit die AOK bundesweit für die Krebsvorsorge. Die Clips sind Teil der Kampagne „Deutschland, wir müssen über Gesundheit reden“.
Jörg Gröticke kennt die Werbung, er ist Leitender Oberarzt und Onkologe am Klinikum Mitte in Bremen. Gröticke findet die Idee gut und wichtig, gerade jetzt, da die Pandemie in ihr drittes Jahr geht. Corona hat dafür gesorgt, dass es in den vergangenen zwei Jahren mehrere Phasen gegeben hat, in denen Menschen nicht zur Krebsvorsorge gegangen sind. Das Ergebnis sehen Gröticke und seine Kollegen jetzt. „Der Anteil an Patienten, die mit einer fortgeschrittenen Tumorerkrankung zu uns kommen, ist größer geworden. Es gibt mehr Fälle, bei denen man mit einer Vorsorgeuntersuchung die Erkrankung in einem früheren Stadium erkannt hätte.“
Aber es gibt auch eine gute Nachricht: Inzwischen hat die Zahl der Krebsvorsorgeuntersuchungen fast das Niveau der Vor-Corona-Zeit erreicht. Dem WESER-KURIER liegt eine aktuelle Auswertung des Zentralinstituts für die kassenärztliche Versorgung in Deutschland (ZI) vor, die zu diesem Ergebnis kommt. Demnach hat es im Jahr 2020 Phasen mit schweren Einbrüchen gegeben, zum ersten Mal bei der ersten Corona-Welle im Frühjahr 2020, zum zweiten Mal, dann aber schon schwächer, in der zweiten Welle von November 2020 bis Februar 2021. „Über das gesamte erste Halbjahr 2021 betrachtet, ist es aber nicht zu Rückgängen im Vergleich zu 2019 gekommen“, sagt Sandra Mangiapane, wissenschaftliche Leiterin beim ZI.
Uwe Schwichtenberg kann diese Wellenbewegungen aus seinem Berufsalltag bestätigen. Schwichtenberg ist Hautarzt mit zwei Praxen in Bremen-Nord. „Im März und April 2020 haben wir selbst unser Angebot heruntergefahren“, sagt er, „alle im naiven Glauben, dass das Thema Corona vielleicht in zwei, drei Monaten durch sein könnte.“ Als dem nicht so war, habe man im Sommer 2020 das Vorsorgeangebot zurück auf den Normalbetrieb gefahren. Trotzdem seien eine Zeit lang weniger Patienten zur Vor- und Nachsorge gekommen.
Vielleicht hätten Patienten nach wie vor Angst gehabt, in Corona-Zeiten eine Praxis zu betreten. „Vielleicht hat der eine oder andere Corona aber auch als willkommene Ausrede benutzt“, sagt Schwichtenberg. Denn nicht jede Untersuchung ist angenehm – aber trotzdem wichtig. Wie groß die Heilungschancen bei einer Krebserkrankung sind, hängt maßgeblich davon ab, wann der Krebs festgestellt wird und eine Therapie beginnt. Manche Erkrankungen können sogar verhindert werden, wenn bei einer Früherkennungsuntersuchung zunächst harmlose Vorstufen entdeckt werden.
Deshalb sind mehrere Vorsorgeuntersuchungen seit einigen Jahren fester Bestandteil der Leistungen, die Krankenkassen übernehmen, beispielsweise bei der Darmkrebsvorsorge für Männer und Frauen ab 50, beim Brustkrebs für Frauen ab 30 oder beim Hautkrebsscreening für Männer und Frauen ab 35. Auch für Untersuchungen zur Früherkennung von Prostatakrebs und Gebärmutterhalskrebs zahlt die Kasse.
Laut Krebsregister erkranken in Bremen jedes Jahr 4200 Menschen an Krebs; bei den Männern am häufigsten an Prostatakrebs, bei den Frauen an Brustkrebs. Laut Kassenärztlicher Vereinigung Bremen gab es 2020 einen moderaten Rückgang bei der Krebsfrüherkennung bei Frauen, von 150.000 Untersuchungen 2019 auf 140.000 ein Jahr später. Tendenziell steigen die Zahlen in diesem Jahr aber wieder an, bis Ende Juni ließen sich fast 76.000 Frauen untersuchen. Ähnlich sieht es bei den Männern aus, dort sank die Zahl von 43.600 (2019) auf 40.310 (2020) und holt jetzt wieder auf.
Tatsächlich deutlich und anhaltend sind die Zahlen nur beim Hautkrebs-Screening zurückgegangen. „Das überrascht mich jetzt“, sagt Hautarzt Schwichtenberg. Eine überzeugende Erklärung hat er dafür nicht. Vielleicht werde Hautkrebs im Vergleich zu anderen Krebserkrankungen unterschätzt. Aber das wäre „ein Fehler“, wie der Arzt sagt.
Das sieht auch die AOK so. Sie hat auch fürs Hautkrebs-Screening einen Werbefilm gedreht. Zwei Freundinnen entspannen sich im Wellness-Bereich. Die eine erzählt mit stolzer Gewissheit: „Ich habe 38 Leberflecke – alle unauffällig, auch der haarige.“