Kurz wird es ernst: Der Mann mit schwarzer Arbeitshose und dunkler Mütze packt das Rentier am Vorderbein, hievt es in die Höhe. Einen Moment gerät es in Schieflage, sein Geweih scheppert gegen Metall – dann nimmt ein Mann auf einer Aluminiumleiter das Tier entgegen und reicht es an zwei Kollegen auf dem Dach weiter. Wenig später steht das lebensgroße Plastik-Tier an seinem Bestimmungsort. Vom Dach des Kartoffelpufferstandes kann es das emsige Treiben auf dem Marktplatz überblicken. Stimmengewirr mischt sich unter das helle Sirren von Akkuschraubern und Motorenlärm. Nur wenige Tage nach dem Ende des Freimarktes sind die Aufbauarbeiten für den Weihnachtsmarkt im vollen Gange.
Einige Meter weiter, bei der Feuerzangenbowle, packt der Geschäftsführer selbst mit an. Drei Lastwagen haben die Einzelteile der Bude auf den Marktplatz befördert, Simon Fischer schätzt ihr Gewicht auf 15 Tonnen. Noch blitzen die kupfernen Kessel für die Bowle hinter Transportdecken hervor, spätestens zum Start des Marktes am 21. November werden sich wieder mit Dutzenden Litern heißem Punsch füllen.
Sind die ersten Standbetreiber nicht etwas früh dran, gut eine Woche vor offizieller Eröffnung des Marktes? "Der Aufbau läuft gestaffelt ab, damit nicht alle geballt kommen", erklärt Geschäftsführer Fischer den Ablauf. "Normalerweise reisen die großen Stände zuerst an".
Im vergangenen Jahr war der Bowlestand noch auf dem Ansgarikirchhof zu finden. Neben 3G-Eintrittsbändchen hatte die Stadt eine räumliche Entzerrung des Weihnachtsmarktes veranlasst, um die Ansteckungsgefahr zu senken. Ein derber Rückschlag sei die Saison gewesen, sagt Fischer. Viele Kunden hätten sie an dem neuen Platz gar nicht erst entdeckt. "Wir sehen dem Weihnachtsmarkt in diesem Jahr aber sehr positiv entgegen. Von Kollegen auf der Hamburger Winterdom hört man nur Gutes", sagt Fischer. Er berichtet von "Top-Besucherzahlen". In Bremen starten die Weihnachtsmärkte ohne Auflagen, es gilt weder Maskenpflicht noch 3G-Regel. Falls sich die Pandemielage verschlechtert, könnte sich das ändern.
Dort, wo in einer Woche der "Schlachtezauber" beginnt, sieht es an diesem Montagnachmittag noch wenig weihnachtlich aus. Gelbes Herbstlaub weht über Kies, an einigen Bäumen hängen noch grüne Blätter. Etliche weiße Lieferwagen und Anhänger parken unter dem novembergrauen Himmel, dazwischen laufen geschäftig Männer mit Arbeitshandschuhen und Spanngurten umher.
Eine Bude, die vergangenes Jahr fehlte, ist in dieser Saison wieder mit dabei. "Letztes Jahr haben wir abgesagt, weil uns die Bedingungen unmöglich erschienen", sagt Klaus Reicheneder, der einen Flammkuchenstand betreibt. Auf diese Saison blickt er optimistisch. Er hofft auf gutes Weihnachtsmarktwetter: "Kühl und sonnig. Nicht unbedingt Schnee: Da fallen die Busse aus, und die Auswärtigen kommen nicht mehr in die Stadt".
Wo andere Stände mit einem ganzen Team an Mitarbeitern anrücken, arbeitet ein Mann mit schulterlangen, blonden Locken alleine an dem Aufbau seiner Weintaverne. Mit einem schnellen Griff zum Akkuschrauber zieht er ein Brett am Boden fest und dreht danach ein fehlendes Rohrstück unter das Waschbecken des Thekenpersonals. Michel Meyer hat den Mittelalterstand als gelernter Zimmermann und Architekt eigenhändig entworfen und gebaut, seine Fruchtweine erfreuten sich bei den Bremern großer Beliebtheit, berichtet er.
Nicht ohne Grund vermittelt seine Taverne eine gewisse Rustikalität. "Wenn Leute Alkohol trinken, werden sie anlehnungsbedürftig", sagt Meyer. "Deswegen muss es die Schänke auch abkönnen, wenn sich Menschen an ihr anlehnen". Die Abmessungen der Taverne passen sich zentimetergenau an die Treppenformation an der Schlachte an. "Man könnte sie nicht mal um zwei Zentimeter verschieben", sagt Meyer. Eine Baumwollplane schützt die Taverne vor Wind und Wetter, eine überdachte Terrasse ermöglicht mit runden Fenstern einen Blick auf die Weser.
Meyer fügt sich mit seinen zwei Silbercreolen in die mittelalterliche Umgebung – er steht in den nächsten Wochen selbst hinterm Tresen. Er könne von vielen interessanten und schönen Begegnungen erzählen, mit Menschen aus allen sozialen Schichten. "Wenn man Zeit hat, den Leuten nahe zu sein – das ist das Schöne am Beruf".