Mit 500 Bildern pro Sekunde hat die Videokamera aufgezeichnet, wie sich die winzigen Partikel im 106 Meter tiefen freien Fall bewegen: Staub aus dem 619 Jahre alten Bremer Rathaus. Das Ergebnis, der Film, ist Teil der Ausstellung "Wir wirbeln Staub auf – Von der Gotik in die Schwerelosigkeit". Die Schau in der Unteren Rathaushalle soll neugierig machen auf den Mikrokosmos Welterbe.
Den haben 15 Schülerinnen und Schüler der vier Unesco-Projektschulen in Bremen und Bremerhaven gemeinsam mit dem Fotografen und ehemaligen Staatsrat Matthias Stauch und dem Kölner Künstler Wolfgang Stöcker im Rathaus erkundet. Stöcker leitet das Internationale Staubarchiv in Köln, das unter anderem filigrane Exponate aus der Akropolis, dem Kolosseum und vom Drachenfels in Königswinter birgt. Und natürlich aus dem Dom zu Köln.

Matthias Stauch mit einem Foto aus dem Rose-Keller. Belichtungszeit: 20 Minuten.
Dort sind sich der Künstler und Birgitt Rambalski, die Vorsitzende des Vereins zur Förderung des Welterbes Rathaus und Roland in Bremen, dessen erstes großes Projekt die Schau ist, zum ersten Mal begegnet. Die Bremerin empfahl dem Kunsthistoriker hansestädtischen Rathausstaub – und erfuhr: Den gibt es bereits seit mehr als zehn Jahren in Stöckers Sammlung hauchfeiner Archivalien. Schon vor Jahren hatte der Kölner Stäube aus den Rathäusern der zehn größten deutschen Städte erbeten und aus dem Bremer Prachtbau eine Probe erhalten.
Jetzt durfte er selbst sammeln. Wolfgang Stöcker schwärmt von vermutlich 600 Jahre alten "Partikeln von der gotischen Holzrinne", die er im Beisein von Zeugen am 7. März entnommen hat. "Das hat für mich etwas Poetisches. Das schläft da so vor sich hin, und im Stockwerk darunter wird Politik gemacht, werden die Weltläufe bestimmt." Die Witterungsbedingungen um 13.09 Uhr sind auf der Archivkarte mit dem Staubtütchen vermerkt: "kühl, trocken, leichte Bewölkung, gerade sehr sonnig". Auch die Kategorie ist auf der gelben Karte vermerkt: "Politischer Staub Nr. 51." Weitere Sparten unterscheiden sakrale, kulturelle naturräumliche, musikalische und kulinarische Stäube. Letztere "vorzugsweise aus Weinkellern".

Fotos von Details, wie den Holzschnitzereien aus der Oberen Rathaushalle, zeigt Matthias Stauch.
"Dem Kleinen Aufmerksamkeit schenken und es mit dem Instrumentarium des Großen betrachten", beschreibt Wolfgang Stöcker die Idee der Ausstellung. "Den unscheinbaren Staub, der sich über Jahrhunderte in versteckten Winkeln des Rathauses angesammelt hat, als ein Medium für die Erforschung der Vergangenheit zu nutzen, neu zu interpretieren und einen Zugang zum Welterbe zu schaffen", wirbt die Senatskanzlei für die Ausstellung.
Winzige Objekte, große Bildformate
Außer dem Video aus dem Fallturm des Zentrums für angewandte Raumfahrttechnologie und Mikrogravitation der Universität Bremen sind viele Staubarchivalien und Informationen zur Schau und ihrem Entstehen zu sehen. Spektakuläre Fotos auf PVC-Planen im Format drei mal vier Meter zeigen der Öffentlichkeit sonst verborgene Winkel des Rose-Kellers und des Rathausdachstuhls, die Fotograf Matthias Stauch über abenteuerliche, jahrhundertealte Holzstiegen oder verborgene Wendeltreppen erreicht hat.
"Es geht darum, Interesse zu wecken", sagt Stauch. Das ist ihm schon während des Aufbaus der Ausstellung gelungen, wie Birgitt Rambalski erzählt: Tatsächlich habe jemand versucht, Staub von einem Foto zu wischen – das eine offenbar täuschend realistische Aufnahme des Staubes ist. Die Großformate, kündigt Rambalski an, sollen am letzten Ausstellungstag zugunsten des Welterbes versteigert werden. Finde sich niemand mit ausreichend repräsentativen Räumen, werde der Martinshof, einer der vielen Kooperationspartner der Ausstellung, Taschen aus den Planen schneidern.
Dem Stoff, aus dem die Wollmäuse sind, huldigt Stöcker unter anderem mit der ebenfalls quadratmetergroßen Abbildung einer Fluse: Sie stammt von der mittlerweile dritten Auflage des von Rudolf Alexander Schröder, Dichter, Multitalent und Ehrenbürger Bremens, gestalteten Teppichs im Senatssaal. Ein Bremer Original.