Es klingt ein bisschen idealistisch, sagt die Frau, als sie beschreibt, was eine gute Schule für sie ausmacht. Es geht ihr um Chancengleichheit. Darum, nach den ersten vier Schuljahren nicht so viele Analphabeten aus den Klassen zu entlassen, wie es jetzt der Fall ist. Genau das wollte sie mit ihrem Beruf doch eigentlich verhindern und möglich machen, dass jedes Kind ausreichend Zugang zu Bildung bekommt – egal aus was für einem Elternhaus er oder sie kommt.
Doch so ist es in der Grundschule an der Wigmodistraße in Bremen-Nord schon lange nicht mehr, sagt die Lehrerin, die dort arbeitet, aber ihren Namen aus Angst vor den Konsequenzen lieber nicht öffentlich machen möchte. „Größtenteils werden die Kinder hier nur noch aufbewahrt. Fachunterricht findet kaum noch statt. Es wird gebastelt oder aufgeräumt“, sagt sie.
Die Schule in Blumenthal steht schon seit einiger Zeit in der Kritik. Wie an vielen anderen Schulen in Bremen-Nord und im gesamten Stadtgebiet fehlen dort ausgebildete Fachkräfte. Doch in den vergangenen zwei Monaten habe sich die Situation noch einmal zugespitzt, so die Pädagogin.
Personal ohne Fachausbildung
Viele ihrer Kolleginnen hätten sich mittlerweile krank gemeldet oder aufgrund der hohen Belastung Gefährdungsanzeigen geschrieben. Vier Kolleginnen haben bei der Behörde sogar einen Versetzungsantrag gestellt. Die Lehrerin erhebt schwere Vorwürfe. An der Schule werde zum Teil Personal eingesetzt, dass über keine Fachausbildung verfüge.
Eine der Vertretungskräfte sei eigentlich Krankenschwester und anderen Frauen sei die Leitung einer Klasse übertragen worden, obwohl ihnen bisher das Referendariat fehle. Unerträglich findet die Lehrerin auch den Einsatz der Sozialpädagoginnen. „Inklusion findet bei uns nur auf dem Papier statt, denn drei der vier Sonderpädagogen sind entweder in der Vertretung oder als Fachlehrer eingesetzt“, sagt sie.
Eine typische Klasse an der Grundschule bestehe durchschnittlich aus 20 Kindern. Die Mehrzahl davon habe einen Migrationshintergrund und lebe von staatlichen Hilfen zum Lebensunterhalt. „In jeder Klasse sind drei bis vier Schüler, die einen sonderpädagogischen Förderbedarf haben, aber ihnen kann man momentan einfach nicht die erforderliche Aufmerksamkeit entgegenbringen“, sagt sie. Genauso wenig wie den Sprachanfängern.
Unterstützung von einigen Eltern
Sie würden nach der vierten Klasse teilweise nicht alphabetisiert die Grundschule verlassen. Die angespannte Personalsituation habe zudem zur Folge, dass Streitigkeiten zwischen den Schülern eskalierten. „Es bleibt keine Zeit, Konflikte aufzuarbeiten, da die Kinder keinen Ansprechpartner haben“, sagt die Lehrerin. „Dadurch bricht uns natürlich auch das Vertrauen der Kinder weg.“
Unterstützung bekommt die Lehrerin von einigen Eltern, die aufgrund der schwierigen Situation selbst aktiv geworden sind. Bereits im vergangenen Jahr haben sie eine „AG Notstand“ gegründet und sich mit mehreren Briefen an die Politik gewendet. Den letzten dieser Brandbriefe hat der Elternsprecher Jens Raczkowski zu Beginn der Woche an die Bildungssenatorin Claudia Bogedan (SPD) geschrieben.
„Es findet eigentlich nur noch eine Betreuung in den Klassen statt“, schreibt der Elternsprecher darin. Die Schulleitung schleppe sich krank zur Arbeit, obwohl sie selber ins Bett gehöre. Die Inklusion an der Grundschule sei mit der aktuellen Personalausstattung gescheitert. „Es wird zur Zeit ja noch nicht mal mehr geschafft, pro Klasse eine fertig ausgebildete Lehrkraft einzusetzen“, so Raczkowski und die anderen Eltern.
Wenn es nach ihm ginge, müsste die Bildungsbehörde Lehrer dazu verpflichten, in Bremen-Nord zu arbeiten, wenn sie sich nicht freiwillig für die dortigen Schulen interessierten. „Das gibt es in der freien Wirtschaft schließlich auch.“ Im zuständigen Ressort von Claudia Bogedan weiß man um die Probleme in der Wigmodistraße.
Auch andere Schulen klagen
Nach Angaben der Behörde sind in der Grundschule etwa 60 Unterrichtsstunden nicht besetzt und müssen anders aufgefangen werden. Hinzu kommen Vertretungen von Fachkräften, die sich aktuell in Elternzeit befinden. Vier Klassen werden von Lehrkräften unterrichtet, die nicht voll ausgebildet sind, also nicht das zweite Staatsexamen absolviert haben.
Allgemein sei es sehr schwierig, Personal für die Schulen in Bremen-Nord zu finden. Neben der Grundschule an der Wigmodistraße klagen dort auch andere Schulen über ähnliche Probleme. Blumenthal sei besonders betroffen. „Für einige Bewerber ist entweder der Weg zu weit oder das Umfeld zu herausfordernd“, erklärt Annette Kemp, Sprecherin der Bildungsbehörde.
Ein Weg, um die vakanten Stellen zu besetzen, sei die Einführung eines zentralen Pools für die Einstellung von Lehrkräften, um die Unterversorgung zu bekämpfen. Ab Anfang 2018 soll immer dann, wenn Bewerber noch keine Absprache mit einer Schule getroffen haben, die Einstellung zentral bei der Behörde vorgenommen werden. Die Lehrkräfte sollen dann vordringlich an Schulen mit besonders hohem Bedarf entsandt werden.