Der Bremer Jurist Ruprecht Großmann hat sich im Ruhestand eingehend mit der „Entwicklung und Verfassungsmäßigkeit des bremischen Beiräterechts“ befasst und eine gut 100 Seiten starke Abhandlung dazu erarbeitet. Sie stößt bei Beiratsmitgliedern auf großes Interesse. Denn Großmann kommt zu dem Ergebnis, dass die Beiräte inzwischen als Bezirksvertretungen im Sinne der Bremer Landesverfassung gelten müssten. Detlev Scheil hat mit Ruprecht Großmann darüber gesprochen, wie er zu dieser Einschätzung kommt und was sie für die Beiräte bedeutet.
In der Bremer Landesverfassung von 1947 kommen Ortsbeiräte gar nicht vor. Statt dessen heißt es im Artikel 145: „Die Gemeinden können für die Verwaltung örtlicher Angelegenheiten bestimmter Stadtteile, insbesondere der stadtbremischen Außenbezirke, durch Gemeindegesetz örtlich gewählte Bezirksvertretungen einrichten.“ Welche Absicht der Verfassungsgeber steckte dahinter?
Ruprecht Großmann
: Die Verfassungsväter – Frauen waren damals nicht dabei – haben sich an den Bezirken in Berlin orientiert, aber nicht in der Sache, sondern nur am Namen. Es ist wichtig, die historische Entwicklung zu betrachten. Bremen musste die Sonderrolle als Stadtstaat absichern. Hier gab es aber eine ganz andere regionale und geografische Situation als in Berlin oder Hamburg.
Wie stellte sich die historische Entwicklung in Bremen dar?
Es gab mehrere Städte – Bremen, Bremerhaven und bis 1939 auch noch Vegesack – und das umliegende Landgebiet. Letztlich hat sich das Land Bremen neben diesen Städten auch die angrenzenden Dörfer einverleibt. Um ein demokratisches Element einzuführen, brauchte man neben dekonzentrierten Verwaltungseinheiten auch eine gewisse politische Dezentralisation. Das war 1947 von Anfang an beabsichtigt. Selbst Bürgermeister Theodor Spitta hatte schon für eine dezentrale Organisation argumentiert.
Die 22 Beiräte Bremens sind in dieser Form in der Bundesrepublik einmalig. Lange hatten sie aber nur den Status von Verwaltungsgremien. Wie kommen Sie darauf, dass sie heute als Bezirksvertretungen gelten müssen?
Die Entscheidungsrechte der Beiräte sind im Laufe der Zeit durch Ortsgesetze immer weiter gefasst worden, die Beiräte sind also deutlich stärker geworden. Ein wichtiger Zwischenschritt war die Einführung der Direktwahl der Beiratsmitglieder 1989. Zuvor wurden sie von der Stadtbürgerschaft berufen. Schließlich wurden auch der Grundsatz der Öffentlichkeit für alle Ausschüsse der Beiräte und weitere demokratische Elemente eingeführt. Durch das Beirätegesetz von 2010 sind unter anderem die Planungskonferenzen hinzugekommen. In meinen Augen ist nun der Status erreicht, den sich die Verfassungsgeber vorgestellt hatten. Sie sind Bezirksvertretungen.
Nur, was folgt daraus? Einige Beiratsmitglieder in Schwachhausen sind fast euphorisch und glauben, daraus ließen sich erhebliche Verbesserungen hinsichtlich der Ausstattung mit Geld und Personal ableiten.
Zunächst einmal hat die Weiterentwicklung der Befugnisse eine verfassungsrechtliche Anerkennung bewirkt. Die Beiräte haben den Status eines von der Verfassung geschützten Organs bekommen, obwohl sie eigentlich dem Kommunalrecht zuzurechnen sind. Was sich hinsichtlich der Budget- und Personalausstattung konkret daraus ableiten lässt, ist schwierig zu beantworten.
In der Studie des Politikwissenschaftlers Lothar Probst zu den Beiräten heißt es, in den Stadtteilen werde unisono über zu wenig Personal in den Ortsämtern gestöhnt.
Ja, demnach sind die Beiräte durchweg der Meinung, dass die Ortsämter nicht genügend ausgestattet sind. Im Grunde ist die Sache einfach: Wenn durch ein Gesetz jemand bestimmte Rechte bekommt und diese auch auszuüben hat, dann muss auch das Geld dafür bereitgestellt werden. Werden die Mittel nicht bereitgestellt, kann man klagen.
Im Moment läuft gerade eine Klage des Beirats Schwachhausen gegen den Senator für Umwelt, Bau und Verkehr, weil es die im Beirätegesetz verankerten Stadtteilbudgets in der Realität nicht gibt.
Wenn die im Beirätegesetz vorgesehene Budgets nicht gewährt werden, muss geklagt werden – so sehe ich das auch.
In der Vergangenheit waren auch immer wieder Beschwerden von Beiräten zu hören, dass Behörden ihre Fragen gar nicht beantworten. Sollten die Beiräte dagegen auch gerichtlich vorgehen?
Natürlich! Es gab ja auch schon einige ähnlich gelagerte Verfahren beim Verwaltungsgericht. Jeder Beirat kann zum Verwaltungsgericht gehen und argumentieren: „Diese und jene Bestimmung des Gesetzes wird nicht eingehalten, dadurch kann ich kann meine Arbeit nicht ausüben.“ Dann muss das vom Gericht entschieden werden.
Es gibt Stimmen, die meinen, wenn den Beiräten immer mehr Rechte zugeschrieben würden, werde irgendwann die Stadtbürgerschaft überflüssig.
Ja, Bürgerschaftspräsident Christian Weber hat so argumentiert. Ich sehe das nicht so. Der Katalog der Beiratsrechte ist erweitert worden, aber immer noch begrenzt. Viele Angelegenheiten des Sozialbereichs und der Inneren Sicherheit fallen heraus. So weit sind wir noch lange nicht, dass die Stadtbürgerschaft überflüssig wird.
Glauben Sie, dass der Bremer Staatsgerichtshof, dem Sie einige Jahre angehörten, Ihre Auffassung über den Status der Beiräte als Bezirksvertretungen teilt?
Das weiß ich natürlich nicht, aber einiges spricht dafür. In seiner Entscheidung von 1991 kam der Staatsgerichtshof zu dem Ergebnis, dass die Beiräte Staatsgewalt ausüben. Der Status von Bezirksvertretungen wurde ihnen aber noch nicht zuerkannt. Mittlerweile ist es aber wie gesagt zu einer starken Erweiterung der Beiratsrechte gekommen. Die renommierten Bremer Juristen Andreas Bovenschulte und Dian Schefold, die derzeit an einem Kommentar zur Landesverfassung mitarbeiten, haben im Übrigen schon vor zehn Jahren gesagt, dass die Beiräte Bezirksvertretungen seien.
Zur Person
Ruprecht Großmann, Jahrgang 1934, war von 1973 bis 1995 Richter und Präsident des Landessozialgerichts Bremen. Außerdem gehörte er von 1978 bis 1991 dem Staatsgerichtshof Bremen an.
Die Ortsbeiräte
◼ In Bremen gibt es 22 Ortsbeiräte, deren Mitglieder in den Stadt- und Ortsteilen direkt gewählt werden. Die Zahl der Sitze in einem Beirat hängt von der Einwohnerzahl des Stadt- oder Ortsteils ab. So sind zum Beispiel in Blockland oder Seehausen jeweils sieben, in der Neustadt oder Schwachhausen hingegen 19 Beiratsmandate zu vergeben. Die Beiräte sind vor allem ein Sprachrohr der Bürger im Stadtteil gegenüber der Bürgerschaft, dem Rathaus und den senatorischen Behörden. Ihre Aufgaben liegen im Stadtteil. So will es das Ortsgesetz über die Beiräte. Das ist mehrfach novelliert worden, um die Rechte der Kommunalparlamente zu stärken – zuletzt 2010. Seit Mitte 2014 liegt eine vom Senat beauftragte Studie des Politologen Lothar Probst vor, der die Wirksamkeit der Gesetzesänderung überprüft hat und einige Schwachstellen entdeckte. Dazu gehören die im Gesetz verankerten Stadtteilbudgets, die es aber zum Beispiel im Verkehrsbereich bisher nicht gibt. Deshalb klagt der Beirat Schwachhausen derzeit vor dem Verwaltungsgericht.