Es ist ein erstes Fazit, wenn auch nur ein vorläufiges: Die Verkehrsbehörde hat die Bewohner des sogenannten "Sunrise"-Quartiers in der Östlichen Vorstadt befragt, wie die umfangreichen Eingriffe in den Parkraum dort angekommen sind. Von 3000 angeschriebenen Haushalten antworteten gut 600. Das Meinungsbild, das sich nach Auswertung der Fragebögen ergibt, ist jedoch zwiespältig, eine klare Botschaft der Betroffenen gibt es nicht.
Vor rund einem Jahr hatte das Haus von Senatorin Maike Schaefer (Grüne) in einem Teil des "Sunrise"-Gebiets zwischen Horner Straße, Bismarckstraße, Sankt-Jürgen-Straße und Vor dem Steintor eine Bewohnerparkregelung in Kraft gesetzt. Verkehrsrechtlich ist die Zone so ausgestaltet, dass nur noch Anwohner gegen eine Jahresgebühr eine Parkberechtigung für ihren Wagen erhalten, Fremdparker müssen an neu aufgestellten Automaten ein Ticket ziehen. Außerdem reduzierte die Behörde die Zahl der Parkplätze, indem die lange tolerierte Praxis des aufgesetzten Parkens beendet wurde. Wie viele Stellplätze dadurch verloren gingen, ist strittig – die Zahlen schwanken zwischen 120 und 200.
Was hat's gebracht? Die Antworten auf den behördlichen Fragebogen wurden bereits im Juli ausgewertet, den Ortspolitikern im Beirat sollen sie allerdings erst im Februar 2022 vorgestellt werden. Das Material liegt dem WESER-KURIER vor. Befragt wurden die Haushalte unter anderem danach, wie die Veränderungen im Straßenraum zu bewerten seien. Dabei zeigte sich das erwartbare Bild: Auf einer Skala zwischen eins (viel schlechter) bis fünf (viel besser) vermerkte eine Mehrheit der Befragten die verbesserte Begehbarkeit der Fußwege.
Auch Müllfahrzeuge und andere große Vehikel könnten die engen Viertel-Straßen neuerdings einfacher passieren. Zudem sei die Querung der Straßen sicherer geworden. Beim Verkehrsaufkommen an sich nahmen die Befragten nur eine marginale Minderung wahr. Als klar verschlechtert wurden die Parkmöglichkeiten für Quartierbewohner und -besucher bewertet. Die Suche nach einem Parkplatz nehme jetzt mehr Zeit in Anspruch, der Weg zwischen Auto und Abstellplatz sei länger geworden. Nicht unbedingt erwartbar war dieser Einzelbefund: Bei der Frage, was den Quartierbewohnern bei der Nutzung des Straßenraums besonders wichtig sei, rangierten ausreichende Parkmöglichkeiten vor der Begehbarkeit der Fußwege.
Mehrheit ist für Beteiligungs-Projekte
Führt nun die verschärfte Konkurrenz um Parkplätze dazu, dass sich Anwohner in größerer Zahl vom Privat-Kfz abwenden und auf Carsharing oder Bus und Straßenbahn ausweichen? Bisher nur in sehr bescheidenem Umfang. Aus 19 der gut 600 ausgefüllten Fragebögen ging hervor, dass die Betroffenen sich zwischenzeitlich von ihrem Auto getrennt haben. 24 weitere gaben an, einen solchen Schritt zu erwägen. Für über 90 Prozent der Anwohner kommt das demnach nicht infrage.
Ein eher diffuses Bild gab es bei der generellen Bewertung von "Sunrise". So bekannte eine Mehrheit der Befragten, das Projekt entweder kaum zu kennen oder nicht gut darüber informiert zu sein. Eine relative Mehrheit der Befragten gab zu Protokoll, die Beteiligungsmöglichkeiten seien nicht ausreichend gewesen. Gleichwohl bejahten die meisten Teilnehmer die Frage: "Sollte es mehr Projekte wie Sunrise geben, in denen AnwohnerInnen die Möglichkeit haben, sich zur Weiterentwicklung des eigenen Straßenraums einzubringen?"
Die teils widersprüchlichen Resultate der Anwohnerbefragung lassen viel Raum für Interpretationen – und so verwundert es nicht, dass die Verkehrsbehörde und unzufriedene Bürger zu ganz unterschiedlichen Sichtweisen kommen. "Veränderungen rufen manchmal Unverständnis hervor, aber so wie bisher konnte es in dem Quartier nicht weitergehen", sagt Ressortsprecherin Linda Neddermann. Sie verweist zudem auf rechtliche Verpflichtungen, denen die Stadt nachkommen müsse, wie etwa Barrierefreiheit für Fußgänger. Dieser Vorgabe hätten die Bürgersteige wegen des aufgesetzten Parkens oft nicht entsprochen. Mit dem weiteren Ausbau eines attraktiven Nahverkehrs und von Carsharing-Angeboten werde es vielen Menschen nach und nach leichter fallen, auf das eigene Auto zu verzichten.
Ganz anders bewertet Klaus Kellner die Ergebnisse der "Sunrise"-Umfrage. Er ist Sprecher der Bürgerinitiative "Mobilitätsfrieden für Bremen". Durch die Verschärfung der Parkplatz-Konkurrenz habe die Behörde die Verkehrsteilnehmer im Quartier ohne Not gegeneinander aufgehetzt, kritisiert Kellner. Dem Haus von Senatorin Schaefer gehe es erkennbar nur darum, Bremen überregional als "Ikone des Fuß- und Radverkehrs zu profilieren". Das "Sunrise"-Projekt sei ideologisch inspiriert und gerade nicht daran ausgerichtet, die Verkehrsprobleme im Quartier pragmatisch im Sinne der Bewohner zu lösen.