Herr Otten, die Verkehrswende ist eines der wichtigsten Vorhaben der rot-grün-roten Koalition. Ein im Grundsatz richtiges Projekt?
Markus Otten: Ja, das Ziel ist richtig. Die Frage ist halt, wie man die Prioritäten setzt. Ich selbst bin der Meinung, dass man in Bremen eher die Stärken stärken müsste, und die Stärke ist hier der Radverkehr. Der ÖPNV hat einen Anteil von etwa 15 Prozent am gesamten Personenverkehrsaufkommen. Da kann man sich fragen, ob es für das Ziel, schnell und nachhaltig CO2 einzusparen, angemessen ist, bis zu 180 Millionen Euro jährlich zusätzlich in Busse und Straßenbahnen zu stecken, wie es die Grünen jetzt anregen. Gemessen an solchen Beträgen ist das Budget für den Radverkehr, der sich gerade technisch mit den E-Bikes sprunghaft nach vorne entwickelt hat, verschwindend gering. Dort haben wir im Grunde immer noch die Infrastruktur der 1990er-Jahre.
Die Idee, Busse und Straßenbahn kostenlos nutzen zu können, trifft nicht auf Ihre Zustimmung?
Selbst die Studierenden zahlen gegenwärtig für ihr Semesterticket. Da geht es um etwa einen Euro pro Tag. Das ist eine Größenordnung, die die Grünen für ÖPNV-Jahreskarten früher selbst befürwortet haben, und die finde ich auch realistisch. Natürlich kann man über Formen einer Umlage diskutieren, zu der dann alle Bürger oder alle Arbeitnehmer mit Arbeitsplatz in Bremen beitragen. Aber den ÖPNV für die Nutzer gänzlich kostenlos zu machen, halte ich nicht für das richtige Signal. Ein starkes Signal wäre es, mit einem 365-Euro-Ticket im gesamten Kommunalverbund fahren zu können, nicht nur in Bremen.
Wie steht es um das praktische Management der Verkehrswende in Bremen, zum Beispiel beim ruhenden Verkehr? Geplant ist unter anderem eine stärkere Reglementierung des Parkens. Legale Abstellflächen im öffentlichen Straßenraum sollen deutlich knapper werden.
Im Grundsatz sehe ich das positiv, und wir haben uns ja auch mit unserem Planungsbüro gutachterlich an diesen Entwicklungen beteiligt. Im sogenannten Sunrise-Quartier in der Nachbarschaft des Klinikums Mitte haben wir neben der Regulierung des Pkw-Parkens einige innovative Ansätze verwirklicht, unter anderem durch intensivere Nutzung des Straßenraums – mit Längsfahrradständern und anderen gestaltenden Elementen, die den Straßenraum schmaler machen und dadurch auch für eine Temporeduzierung sorgen. Das sind positive, beispielgebende Elemente, die auch auf andere Stadtteile übertragbar sind.
Die Verkehrsbehörde will aber auch mit dem aufgesetzten Parken aufräumen, einer Praxis, die in vielen Seitenstraßen der innenstadtnahen Quartiere gängig ist. Wird das verboten, wissen bald viele Autobesitzer nicht mehr, wohin mit ihrem Fahrzeug. Mittelfristig werden Tausende bisher geduldete Parkplätze wegfallen.
Es ist logisch, dass man jemandem auf die Füße tritt, wenn man im Stadtraum Flächen umsortiert. Man darf aber die Nachfrageseite, also die Interessen der Autofahrer, nicht ausblenden. Ich nenne Ihnen ein Beispiel: In Findorff gibt es diverse schmale Straßen, in denen das aufgesetzte Parken bisher gestattet ist. Dort ist es aber viel zu eng, sowohl auf dem Bürgersteig als auch in der Fahrgasse. Dort muss man mehr Verkehrssicherheit schaffen, etwa durch markierte Parkflächen. Aber die Parkplätze, die dadurch wegfallen, müssen zumindest teilweise kompensiert werden, etwa durch Quartiersgaragen oder Quartiersparkplätze. Die Stadt müsste zu diesem Zweck Grundstücke suchen und gegebenenfalls ankaufen, jedenfalls lenkend eingreifen. Es braucht gegebenenfalls auch Übergangsphasen, in denen das aufgesetzte Parken mit präzisen räumlichen Vorgaben, also Markierungen, für einen gewissen Zeitraum noch geduldet, aber eben besser organisiert wird. Wir können nicht nur mit der Keule des Ordnungsrechts hantieren und die Autofahrer einfach aus den Quartieren herausscheuchen.
Sie empfinden den Stil, mit dem die Verkehrsbehörde das Thema Parken angeht, als zu konfrontativ?
Ja, ich würde sogar sagen: unbremisch. Man bricht mit Traditionen des Umgangs mit den Bürgern in den Quartieren. Natürlich muss einerseits Schluss sein mit dem Laissez-faire beim Parken, davon kann man sich jeden Tag in den Quartieren überzeugen. Man muss aber auch Alternativen bereithalten, wo der vorhandene Fahrzeugbestand untergebracht werden kann. Der löst sich ja nicht plötzlich in Luft auf. Es braucht begleitende Angebote, die nicht mit einem abstrakten Verweis auf öffentliche Verkehrsmittel oder das Fahrrad oder Carsharing abgehandelt sind. Die intensiven Untersuchungen aus dem Sunrise-Quartier zeigen ja auch: Der Großteil der Menschen nutzt den Pkw für den Weg zur Arbeit. Das geht nicht mit Carsharing. Und mit den anderen Verkehrsmitteln müssen die Menschen den Tag auch erst einmal organisiert bekommen.
Gibt es andere deutsche Städte, in denen die Politik geschickter vorgeht?
In Kiel gibt es seit einigen Jahren eine richtig gute Radverkehrsplanung, die in einer vom Auto geprägten Stadt ganz viel nachholt, was lange versäumt wurde. Dort fahren beim größten Arbeitgeber der Stadt, dem Uni-Klinikum, 55 Prozent der Menschen mit dem Rad zur Arbeit. Das ist eine Quote, die man in Kernstädten tatsächlich erreichen kann. In Köln funktioniert verkehrlich bestimmt auch vieles nicht, aber dort hat man immerhin daran gedacht, Garagen zu bauen und somit Ersatz für Stellflächen im öffentlichen Raum zu schaffen. In Bremen scheint man dagegen eher Angst zu haben, Autobesitz zu zementieren, wenn man neue Infrastrukturangebote macht. Aber einfach nur den Druck auf die Autofahrer zu erhöhen, wird mittelfristig nicht gut gehen. Es brodelt jetzt schon mächtig. Man kann individuelle, motorisierte Mobilität nicht wegzaubern.
Ein wesentliches Element der Verkehrswende ist die autoarme, später dann autofreie Innenstadt. Auf der Martinistraße finden bis ins nächste Jahr mehrere Verkehrsversuche zur Erprobung unterschiedlicher Konzepte statt. Wie bewerten Sie das?
Man kann nicht ernsthaft in den Sommerferien eine Hauptverkehrsstraße sperren und das dann einen Verkehrsversuch nennen. Die Ergebnisse, die man da bekommt, sind überhaupt nicht belastbar. Was auf der Martinistraße zurzeit stattfindet, ist ein Happening, kein Verkehrsversuch. Es braucht auch keine neuen Erkenntnisse mehr, um zu wissen, dass der Verkehr in der Martinistraße auf je einer Spur pro Fahrtrichtung abgewickelt werden kann. Das Maßgebliche für die Leistungsfähigkeit des Straßennetzes sind die Knotenpunkte. Man könnte also die Martinistraße sofort entsprechend reduzieren. Es braucht Traute, keine Festivals.
Nehmen wir für einen Moment an, es gäbe einen Verkehrssenator Markus Otten – mit Traute. Wie würden Sie die Verkehrswende angehen?
Ich würde jedes verfügbare Potenzial sofort für den Radverkehr aktivieren. Zum Beispiel, indem man auf größeren Straßen, die über mehrere Spuren verfügen, eine für Radfahrer reserviert. Etwa auf der Parkallee. Dort ließe sich nebenbei zum Teil sogar das Problem des ruhenden Verkehrs elegant lösen. Auf der äußeren Spur zur Bebauung hin könnte geparkt werden, auf der äußeren Spur zur Bürgerparkseite wären die Radfahrer unterwegs, und in der Mitte gäbe es jeweils eine Spur pro Fahrtrichtung für den Kfz-Verkehr. Damit wäre allen gedient. Solche Potenziale ließen sich von einem Tag auf den anderen nutzen.
Das Gespräch führte Jürgen Theiner.

Verkehrsplaner Markus Otten begrüßt die Verkehrswende, kritisiert aber handwerkliche Fehler.