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Wege aus der psychischen Krise Bremen bekommt ein nächtliches Nottelefon

Das Krisentelefon ist wieder da. Fast ein Jahr lang haben sich Bremer mit psychischen Erkrankungen dafür eingesetzt, dass sie nachts eine Nummer haben, die sie anrufen können. Am Montag ist es so weit.
07.12.2016, 19:40 Uhr
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Bremen bekommt ein nächtliches Nottelefon
Von Antje Stürmann

Das Krisentelefon ist wieder da. Fast ein Jahr lang haben sich Menschen mit psychischen Erkrankungen hartnäckig dafür eingesetzt, dass sie nachts eine Nummer haben, die sie anrufen können, wenn nichts mehr geht.

Ihre Mühen haben sich gelohnt. Die Gesundheitssenatorin hat von der Gesellschaft für ambulante psychiatrische Dienste (Gapsy) ein Krisentelefon einrichten lassen – und zwar für ganz Bremen und nicht nur für zwei Stadtteile, wie angekündigt. Ab Montag sind die Sozialarbeiter und erfahrenen Krankenschwestern erreichbar.

Zur Erinnerung: Im April hatte die Gesundheitsbehörde den nächtlichen aufsuchenden Krisendienst des Sozialpsychiatrischen Dienstes aus Spargründen eingestellt. Zuletzt gab es dort zu wenig Personal, um Tages- und Nachtdienste gleichermaßen abdecken zu können. Ehemalige Nutzer, psychisch Kranke und Angehörige hatten einen adäquaten Ersatz gefordert.

Das neue Krisentelefon ist Teil jener ambulanten Strukturen, die derzeit im Rahmen der Psychiatrie-Reform geschaffen werden – und eines der ersten Modellprojekte, die umgesetzt werden. Ziel der Psychiatrie-Reform ist es, Zwangseinweisungen in die Kliniken zu vermeiden. Menschen in psychischen Krisen sollen künftig frühzeitig und individueller unterstützt werden. Dazu soll es mehr ambulante Angebote geben, die Beteiligten wollen auf struktureller und finanzieller Ebene besser zusammenarbeiten. Für alle Modellprojekte zusammen hat der Senat bis Ende nächsten Jahres 1,2 Millionen Euro zur Verfügung gestellt.

Nachtcafé startet im Januar

Wie viel Geld davon in die Ausstattung der Krisenversorgung fließt, möchten die beiden Geschäftsführer der Gapsy, Katrin Scherer und Helmut Thiede nicht sagen. Thiede: „Wir bieten ab 12. Dezember eine telefonische Bereitschaft für gesamt Bremen von 21 bis 8.30 Uhr an.“ Ab Januar soll es in Mitte und West zusätzlich von 21 bis 3 Uhr einen aufsuchenden Krisendienst geben und im ehemaligen Café Klatsch an der Helgolander Straße ein Nachtcafé hinzukommen. Im dortigen Rückzugshaus ist dann auch ein Bett für den Notfall reserviert.

Das Krisentelefon funktioniert so: „Geraten Menschen nachts in eine Krise, bieten unsere neun ausgebildeten Fachpflegekräfte und Sozialarbeiter aus der Psychiatrie Gespräche und Rat an“, sagt Scherer. „Sie helfen ihnen, über die Nacht zu kommen.“ Wichtig: „Das Krisentelefon ersetzt nicht den ehemaligen Krisendienst“, betont Helmut Thiede. „Die Mitarbeiter sind keine Ansprechpartner für die Polizei und wir können auch keine Zwangseinweisungen vornehmen.“ Falls ab Januar in der Modellregion Mitte und West ein Patient ärztliche Hilfe oder Medikamente benötige, könnte ihn ein Mitarbeiter des Krisentelefons zur Klinik oder zum normalen ärztlichen Notfalldienst begleiten. In den übrigen Stadtteilen kommt im Notfall die Polizei.

"Krisentelefon ist erster wichtiger Schritt"

Die Gapsy will bis Ende 2017 abwarten, wie groß die Nachfrage ist und ob die Anzahl der Mitarbeiter ausreicht. Gern würde Katrin Scherer auch Nervenärzte und Psychotherapeuten einsetzen. Wichtig sei es, das ambulante System weiter auszubauen: „Das Krisentelefon ist ein erster, ganz wichtiger Schritt zu einer guten psychiatrischen Versorgung in Bremen“, glaubt sie.

Auch Gerlinde Tobias vom Landesverband der Psychiatrie-Erfahrenen fordert Psychiater im Bereitschaftsdienst. „Sonst sind doch wieder die Kliniken zuständig und das ist belastend für die Patienten“, sagt sie. Sven Bechtolf vom Bremer Landesverband der „Deutschen Gesellschaft für Soziale Psychiatrie“ (DGSP) findet es bedauerlich, dass es den Krisendienst nicht mehr rund um die Uhr gibt und dass der nächtliche aufsuchende Dienst nur jene erreicht, die noch in der Lage sind, anzurufen.

„Zu Leuten, die zwangsbehandelt werden müssen, kommt nach wie vor die Polizei.“ Der Psychologe und Jurist Jürgen Busch kritisiert: „Es gibt einen Rechtsanspruch auf Krisenversorgung die ganze Nacht – und das nicht nur in zwei Stadtteilen.“ Außerdem wisse man nicht, ob es das Krisentelefon 2018 noch geben wird, wenn die einmalig zugesagten Projektmittel verbraucht sind. „Es müssen weiterhin jedes Jahr zwei Prozent der Ausgaben eingespart werden. Wo soll das Geld herkommen“, fragt er. Das Krisentelefon ist erreichbar unter 0421/95700310.

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