Frau Altenfelder, seit zweieinhalb Jahren leben Sie in Bremen und arbeiten als Vorständin der Diakonie. Was können Sie über Armut in Bremen sagen?
Armut hat hier wie anderswo viele Gesichter. Besonders betroffen sind alte Menschen, Familien, Alleinerziehende, Kinder und Frauen. In Bremen ist die Armut im Bundesdurchschnitt immer noch sehr hoch. Hier hat sich in den letzten Jahren nicht viel verändert. Zwei von fünf Kindern wachsen in Bremen in Armut auf. Jede vierte Familie lebt am Existenzminimum. Damit gehört Bremen weiterhin in diesem Bereich zu den Spitzenreitern. Und das sind nur die offiziellen Zahlen.
Sie sagen, Armut hat viele Gesichter. Was meinen Sie damit?
Viele Menschen verstecken ihre Armut. Es gibt Zahlen, die in Erhebungen stehen, doch die Dunkelziffer ist wahrscheinlich weitaus höher. In unseren Einrichtungen haben wir täglich mit Menschen zu tun, die arm sind. Zum Beispiel ältere Menschen, die mit ihrer Rente nicht auskommen. Oft schämen sie sich dafür und beantragen keine Unterstützung, die ihnen eigentlich zusteht. In unseren Treffpunkten in den Stadtteilen erleben wir so etwas oft. Auch in den Kitas erleben wir täglich Armut. Sie wird sichtbar, wenn Kinder im Winter in Sandalen in die Einrichtung kommen. Oder wir erleben, dass Kinder nach dem Wochenende regelrecht ausgehungert zu uns kommen. Daher haben wir uns in einigen Stadtteilen dazu entschlossen, montags immer mehr Portionen zu kochen, als Kinder da sind. Damit auch jedes Kind wirklich satt wird. In der Jugendarbeit der Diakonie erleben wir außerdem, dass Jugendliche unter anderem auch den Konfirmanden-Unterricht besuchen, weil es auch ein Essensangebot gibt.
Was kann Ihrer Meinung nach getan werden, um armen Menschen zu helfen?
Wichtig ist erst mal, dass arme Menschen nicht stigmatisiert werden. Vor allem bei Kindern wird dies oft deutlich, wenn sie durch Armut an Veranstaltungen nicht teilnehmen können oder sich "outen" müssen, dass sie arm sind. So etwas ist besonders schlimm. Außerdem sind verlässliche Strukturen wichtig, die durch uns, andere Organisationen aber auch durch die Stadt angeboten werden und auf die sich die Menschen verlassen können. Stadtteilcafés, soziale Treffpunkte, Beratungsstellen, Nachhilfeangebote, Kitas und Jugendarbeit sind wichtige Anlaufpunkte für arme Menschen in Bremen, um am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen und sich bei Bedarf Hilfe zu holen. An ihnen sollte nicht gespart werden. Solche Initiativen müssen wir strukturell weiter stärken.
Sehen Sie die Verlässlichkeit der Hilfsangebote in Gefahr?
Es ist doch so, dass zurzeit immer mehr – gerade auch im sozialen Bereich – gespart wird. Die Sozialkommission "Sozialleistungen" hat ihre Arbeit aufgenommen. Die Ergebnisse werden voraussichtlich großen Einfluss auf soziale Angebote haben. Das beobachte ich mit Sorgen. Ich denke, das Jahr 2025 werden wir noch irgendwie überstehen. Aber 2026 wird es schwer werden.
Inwiefern?
Es gab im letzten Jahr die Jobcenter-Krise. Plötzlich fiel auf, dass der Etat für Unterstützung bei der Integration auf dem Arbeitsmarkt bereits im Frühjahr aufgebraucht war. Viele Menschen, die von Armut betroffen sind und neuen Mut durch ihre Arbeitsstellen gefunden hatten, standen plötzlich vor dem Aus. Die Maßnahmen wurden nicht weiter finanziert. Irgendwie hat man dann doch noch Lösungen gefunden, dennoch rechne ich für den nächsten Doppelhaushalt mit erheblichen Kürzungen im Sozialbereich.Menschen, die arm und damit auf diese Unterstützung angewiesen sind, fühlen sich dann oft nicht mehr gesehen und könnten so das Vertrauen in die Demokratie verlieren.
Wird Ihrer Meinung nach am falschen Ende gespart?
Die Sparpolitik in Bremen ist schon dramatisch. Ich wundere mich manchmal, für welche Vorhaben Gelder vorhanden sind, wenn zum Beispiel Objekte von der Stadt gekauft werden. Auf der anderen Seite werden in meiner Wahrnehmung soziale Projekte vernachlässigt. Man kann auch nicht 2018 sagen, in allen Kita-Küchen muss jetzt Bio angeboten werden und jetzt kürzt man so sehr, dass die neu angeschafften Küchen wieder geschlossen werden müssen. Da steckt für mich kein Konzept dahinter.
Was wünschen Sie sich von der Politik?
Es geht nicht immer mit schnellen Lösungen. Wichtig ist doch, sich einen Gesamtüberblick zu verschaffen und die Personen mit einzubeziehen, die an der Basis über hinreichende Erfahrungen verfügen. Wir denken hier gerne an einem Gesamtkonzept mit.Wenn weiter gekürzt wird, wird sich die prekäre Lebenslage von vielen Menschen im Land Bremen noch weiter verschärfen.