Wer derzeit in Bremen einen Pass beantragen will, seinen Wohnsitz ummelden muss oder andere Behördengänge zu erledigen hat, wird vor enorme Herausforderungen gestellt. Wie bereits Anfang August berichtet, ist die Lage in den drei Bürgerservice-Centern (BSC) Mitte, Stresemannstraße und Bremen-Nord angespannt. Termine sind Wochen, teils Monate, im Voraus ausgebucht oder gar nicht verfügbar. "So darf es nicht weitergehen, weder für die Bürgerinnen und Bürger noch für die Mitarbeitenden", kommentiert Bremens Innensenator Ulrich Mäurer (SPD) die derzeitige Lage.
Um die Situation in den Griff zu bekommen, holt sich das Innenressort nun personelle Unterstützung – dabei handelt es sich um keinen Unbekannten. Der ehemalige Finanzstaatsrat und IT-Verwaltungsexperte Henning Lühr soll in den kommenden Wochen und Monaten als Berater dabei helfen, Verwaltungsprozesse effizienter zu gestalten und digitale Abläufe umzubauen.
Vielzahl von Herausforderungen
Leicht dürfte das nicht werden. Das Bürgeramt steht nach Angaben der Innenbehörde vor einer Vielzahl von Herausforderungen: Tausende zusätzliche Terminwünsche würden die Ämter derzeit belasten. Schuld daran seien unter anderem bundesgesetzliche Änderungen, darunter etwa der Pflichtumtausch für Führerscheine und eine Änderung bei Kinderreisepässen, die nun nicht mehr alle sechs Jahre, sondern jährlich verlängert werden müssen. Hinzu kommen nach Behördenangaben Anliegen nach Bremen geflüchteter Ukrainer und eine gestiegene Nachfrage nach Ausweisen und Pässen. Personell habe das Amt zudem mit Ausfällen zu kämpfen gehabt – urlaubsbedingt, aber auch durch Corona.
Mit einem Umbau im Digitalbereich soll nun alles besser werden, erhofft sich das Innenressort. Einer der zentralen Schlüssel für die Behebung der aktuellen Terminnot liege in einer massiven Digitalisierung der Dienstleistungen und Optimierung des Terminmanagements und der Prozesse. "Auch ein schnellerer Ausbau des digitalen Service-Angebotes ist wichtig", sagt Mäurer. Von Henning Lühr, der 2019 als Vorsitzender des IT-Planungsrates des Bundes und der Länder fungierte, verspricht sich der Innensenator "kreative und rasch umsetzbare Lösungen". Er soll den Prozess zusammen mit Amtsleiterin Dagmar Gattow und dem Personalrat vorantreiben. Lühr steigt nach eigenen Angaben direkt ein – seine Beratertätigkeit soll bis Ende des Jahres andauern.
Lühr kennt sich mit Notfalleinsätzen aus
Der Ex-Staatsrat kennt Bürgerservice aus eigener Erfahrung. Zu Beginn seiner rund 50 Jahre währenden Verwaltungslaufbahn hatte der Jurist und Diplomverwaltungswirt einst als Sachbearbeiter im Meldeamt begonnen. Aktuell bildet er den Verwaltungsnachwuchs an der Hochschule aus. Auch mit Notfalleinsätzen kennt sich Lühr aus. Als im vergangenen Jahr die städtische Wohnungsbaugesellschaft Brebau durch Rassismusvorwürfe in die Schlagzeilen geriet, sprang Lühr als Interimsgeschäftsführer ein.

Der ehemalige Finanzstaatsrat Henning Lühr.
Einige Maßnahmen seien bereits geplant: Wer in nächster Zeit einen Termin im Bürgeramt wahrnehmen will, soll künftig am Vortag nicht nur wie bislang eine E-Mail, sondern auch eine SMS vom Bürgeramt erhalten – das soll Erinnerung und Rückversicherung zugleich sein. "Wir haben festgestellt, dass an manchen Tagen bis zu einem Viertel der fest vergebenen Termine nicht wahrgenommen werden", sagt Amtsleiterin Gattow. "Wir hoffen, auf diesem Weg künftig zu erfahren, ob die Bürgerinnen und Bürger auch tatsächlich beabsichtigen zu kommen, oder ob wir die Zeitfenster für andere freigeben können."
Bei der gesetzlichen Änderung im Zusammenhang mit Kinderreisepässen erwartet das Bürgeramt bis zum Jahr 2027 25.000 bis 30.000 mehr Vorsprachen jährlich. "Auch hierbei kann die Lösung nur darin liegen, dass auch Passangelegenheiten noch einfacher digital von zu Hause aus auf den Weg gebracht werden können", sagt Lühr.
Ob Maßnahmen wie diese ausreichen werden, bleibt nach Meinung der Bremer Oppositionsparteien jedoch fraglich. "Der Senat hat es bis heute nicht geschafft, eine Kehrtwende einzuleiten. Henning Lühr steht vor einer großen Herausforderung", sagt Thore Schäck, Landesvorsitzender der FDP. Zweifel gibt es auch bei der CDU-Fraktion. "Ich finde es irritierend, wie den Bürgern eine Mitschuld an der Situation gegeben wird. Bei der jetzigen Lage müssen auch interne Prozesse nicht richtig laufen und es fehlt an Personal. Erinnerungs-SMS werden nicht ausreichen.", sagt Marco Lübke, innenpolitischer Sprecher der CDU-Fraktion. Die CDU will das Thema am Mittwoch in der Innendeputation noch einmal aufgreifen, die Fraktion hatte zuvor eine Berichtsbitte zu den Bürgerservice-Centern eingereicht.
Nach Angaben der Innenbehörde wurden zuletzt drei Zeitarbeiter eingestellt, um das Personal in der Führerscheinstelle und im BSC Mitte zu entlasten. Das Ressort habe Bestrebungen weitere Personen einzustellen, habe jedoch Probleme, geeignete Fachkräfte zu finden.
Mäurer setzt nicht zum ersten Mal auf Ruheständler
Für Innensenator Ulrich Mäurer ist es indes nicht das erste Mal, dass er einen Kollegen aus dem Ruhestand zurückholt, beziehungsweise gar nicht erst ziehen lässt, um eine Schieflage im Bürgerservice-Center wieder geradezubiegen. Als 2016 die Beschwerden über diverse Ämter in der Stadt zunahmen, engagierte Mäurer kurzerhand den damaligen Geschäftsleiter des Bremer Amtsgerichts, Heinz-Jürgen Nagel, obwohl der sich gerade zur Ruhe setzen wollte. Er wurde erst Sonderbeauftragter für das damals angeschlagene Standesamt, später baute er das neue Bürgeramt mit auf.