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Prozessauftakt in Bremen Die Millionenbeute ist verschwunden: Angeklagte schildert Flucht

Beim Auftakt im Prozess um den Millionendiebstahl bei der Bremer Geldtransportfirma Loomis hat die Angeklagte die Tat gestanden. Und ausführlich von kriminellen Strukturen in der Türkei erzählt.
12.11.2024, 18:55 Uhr
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Die Millionenbeute ist verschwunden: Angeklagte schildert Flucht
Von Ralf Michel

Seine Mandantin werde sich vollumfänglich zu den Vorwürfen äußern, kündigt der Anwalt der Millionendiebin an. Und das tut die 32-Jährige am Dienstag zum Prozessauftakt vor dem Landgericht dann auch. Erzählt von der Vorbereitung des Millionendiebstahls bei der Geldtransportfirma Loomis, der Ausführung der Tat und ihrer anschließenden Flucht kreuz und quer durch die Türkei. Dabei gewährt sie immer wieder Einblicke in dortige kriminelle Strukturen. Erstaunlich oft gibt es Bezüge nach Bremen. Eines wird schnell klar an diesem ersten Verhandlungstag: Das unbeschwerte Luxusleben, das sie sich nach dem Millionen-Coup vielleicht erträumt hatte, hat es nie gegeben.

Da ist sie nun also, die Frau, die am Freitag vor Pfingsten 2021 auf verblüffend einfache Art und Weise rund 8,2 Millionen Euro aus der Geldtransportfirma Loomis herausgeschmuggelt hat. Eine kleine, eher zierliche Person wird in Handschellen in den Gerichtssaal geführt. Edle schwarze Jacke, weiße Bluse, Jeans, modische Hornbrille. "Diebstahl im besonders schweren Fall" lautet die Anklage. Bis zu zehn Jahre könnte sie dafür ins Gefängnis gehen.

Dank eines früheren Prozesses gegen eine Komplizin ist der Tatablauf weitgehend bekannt. Die Loomis-Angestellte hatte die Aufgabe, Bargeld in Kassetten für Geldautomaten zu packen. Tatsächlich legte sie nur einen Teil des Geldes in die davor vorgesehenen Behälter. Den anderen Teil – laut Loomis exakt 8.196.925 Euro – verstaute sie in einem Altpapiercontainer, den sie abends wie selbstverständlich auf den Firmenhof rollte, wo ihre Komplizen mit einem Transporter auf sie warteten.

Eine gewichtige Rolle für das Gelingen des Coups dürfte gespielt haben, dass das sogenannte Vier-Augen-Prinzip beim Verpacken des Geldes zumindest an diesem Tag bei Loomis nicht praktiziert wurde. Und hilfreich dürfte auch gewesen sein, dass der Mann an der Sicherheitsschleuse, der sie ohne Kontrolle passieren ließ, eine gewisse Schwäche für die junge Frau hatte. "Er stand auf mich", erzählt die Angeklagte. Und dass sie ihm schöne Augen gemacht habe.

Aber diese Details werden erst später im Prozess erörtert. Am ersten Verhandlungstag interessiert das Gericht vor allem, wie es überhaupt zu der Tat kam, wie ihre Flucht vonstattenging, ob sie etwas über ihre Hintermänner sagen könne und natürlich zum Verbleib der 8,2 Millionen Euro.

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Drei Stunden lang erzählt die Frau, anfangs sichtbar nervös, mit leiser, trotz Mikrofon kaum zu hörender Stimme. Von skrupellosen Verbrechern aus Berlin, einer Flucht über Wien nach Istanbul und dem ständigen Wechsel der Wohnungen in unterschiedlichen Städten der Türkei – Istanbul, Izmir, Antalya, Belek, Bodrum... Von kriminellen Strukturen in der Türkei, von verbrecherischen Paten, die Angeklagte nennt sie "hohe Herren", zu denen man nur vorgelassen wird, wenn man vorher hohe Geldsummen dafür bezahlt, von anderen Kriminellen, die sie trifft, auch Bekannte aus Bremen, die von Call-Centern aus ältere Menschen betrügen.

Ein Leben auf der Flucht ist nicht schön. Und ohne Geld erst recht nicht.
Angeklagte Millionendiebin

Die Geschichte endet brutal: Als ein Freund von ihr zu viele Fragen nach dem zentralen Hintermann des Diebstahls in Bremen stellt, wird vom Motorrad auf ihn und die Angeklagte geschossen. Spätestens hier reift bei ihr der Gedanke, sich in Deutschland zu stellen, was sie letztlich im März dieses Jahres tut. Nachgedacht habe sie darüber aber auch schon vorher. "Ein Leben auf der Flucht ist nicht schön. Und ohne Geld erst recht nicht. Das Leben in Istanbul ist teuer."

Zentrale Figur bei der Tat war nach Angaben der Angeklagten der Freund ihrer besten Freundin. Von ihm stamme der Plan, Loomis zu bestehlen. Er sei es auch gewesen, der sie mit vier Männern aus Berlin in Kontakt brachte, die anderen Tatbeteiligten. Das seien Typen gewesen, "die machen alles für Geld, auch mit Waffen, egal, ob dabei Menschen zu Schaden kommen", beschreibt die 32-Jährige diese Hintermänner. So sei zunächst auch von andern Tatausführungen die Rede gewesen. Von einem Einbruch und der Idee, einen Tunnel zu graben, bis hin zu einer Geiselnahme. Letztlich habe sie aber bestimmt, wie sie den Coup durchziehen wolle. Altpapiercontainer statt Gewalt. "Ich kannte mich ja aus. Es war mein Arbeitsplatz, ich wusste, wie es dort lief."

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Über die Aufteilung der Beute habe man nie konkret gesprochen, beantwortet die Angeklagte die Frage der Richterin. Sie sei aber davon ausgegangen, den Löwenanteil zu bekommen, sechs oder sieben Millionen. Schließlich habe sie ja alles riskiert. Tatsächlich habe sie in der Türkei aber nur etwa 20.000 bis 25.000 Euro bekommen, mehr nicht. Wo der Rest des Geldes geblieben sei, hakt die Richterin nach. Da müsse sie den Freund ihrer besten Freundin fragen, antwortet die Angeklagte.

Wo genau das Geld sei, könne sie nicht sagen, wohl aber Tipps geben, wo in der Türkei sich besagter Freund aufhalte. Allerdings nur bei einem entsprechenden Entgegenkommen des Gerichts, was die Höhe ihrer Strafe angehe, deutet die 32-Jährige am Ende des ersten Prozesstages an, die nach drei Stunden Verhandlung ihre anfängliche Schüchternheit überwunden hat. Und macht dann sogar einen Scherz. Wie sie sich ihr Leben nach der Haft vorstelle? "Wenn ich aus dem Gefängnis rauskomme, suche ich mir Arbeit. Die finde ich, ich habe zwei gesunde Hände. Nur vielleicht nicht in einer Bank."

Der Prozess wird diesen Mittwoch fortgesetzt.

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