Gleich zu Beginn der Pandemie ist ein neues ehrenamtliches Online-Projekt gestartet: Über die Plattform „Haydee“ bieten Studierende und junge Berufstätige Schülerinnen und Schülern aus Familien, die nur unter erschwerten Bedingungen Zugang zu Bildung haben, digitale Eins-zu-Eins-Nachhilfe an – und zwar kostenfrei.
„Haydee“ ist ein türkisches Wort und bedeutet sinngemäß übersetzt „Auf geht‘s!“ Mit diesen Worten möchte Madina Arify gerne noch viel mehr Bremer Schülerinnen und Schüler, die aus wirtschaftlich schwächeren Familien, Nichtakademiker-Haushalten oder Familien mit Migrationshintergrund kommen, dazu ermuntern, dieses Angebot anzunehmen.
Durch Schulschließungen, mögliche Sprachdefizite und verkürzte Unterrichtszeiten während der Pandemie hätten sie es schwerer, wenn sie den Anschluss nicht verpassen wollten, sagt die Bremer Lehrerin. „Sie sind mit der Situation überfordert“, sagt Arify. Sie unterrichtet über den Verein „Stadtteilschule“ Mathematik an der Schule Julius-Brecht-Allee. Für viele sei Home-Schooling mit Hindernissen und Herausforderungen verbunden, sagt die 27-Jährige.
Aufgrund ihrer eigenen Biografie war Arify nach eigenen Angaben „sofort Feuer und Flamme“ für die Idee hinter „Haydee“. Sie hat einen afghanischen Vater und eine ukrainische Mutter, einen älteren Bruder sowie eine jüngere Schwester und ist interkulturell aufgewachsen. „Bildung stand bei meinen Eltern immer an erster Stelle“, sagt die Schwachhauserin – und lässt im Rückblick Dankbarkeit erkennen. Ihre Mutter sei stets ein Vorbild gewesen und habe sie gefördert, vor allem sprachlich. Russisch ist Arifys Muttersprache.
Als sie von Lizge Yikmis aus Berlin von deren Idee für eine kostenfreie Nachhilfe-Plattform für benachteiligte Schülerinnen und Schüler erfahren habe, habe für sie sofort festgestanden: „Da mache ich mit.“ Die beiden Frauen sind „Geh Deinen Weg“-Stipendiatinnen der Deutschlandstiftung Integration. Auch die sechs anderen Studentinnen und jungen berufstätigen Frauen, mit denen sie gemeinsam deutschlandweit das ehrenamtliche Online-Projekt „Haydee“ umsetzen, haben den Angaben zufolge unterschiedliche kulturelle Wurzeln und sich über die Deutschlandstiftung Integration kennengelernt. „Bis jetzt läuft es sehr gut“, sagt Arify.
Im Moment bekommen demnach etwa 180 Kinder und Jugendliche aus prekären Verhältnissen deutschlandweit die Online-Nachhilfe zum Nulltarif. „Aus Bremen sind es mittlerweile 20“, sagt die 27-Jährige, die sich vor allem im Mentee-Bereich engagiert. „Damit ist Bremen eher unterrepräsentiert.“
Der Ehrgeiz der „Haydees“ ist es, dass für jeden Mentee eine passende Mentorin oder ein passender Mentor gefunden wird. Die Lernpaare tauschen sich den Angaben zufolge bedarfsorientiert, aber mindestens einmal in der Woche für 60 Minuten aus – online über ein Smartphone, Laptop oder Tablet. Dann würden anstehende Schulaufgaben erarbeitet, sagt Arify, oder auch Aufgaben zur Vorbereitung auf anstehende Prüfungen erledigt.
„Wir wollen die Funktion von Leuchttürmen einnehmen“, heißt es dazu auf der Website. „Gleichzeitig sollen sich die Mentees mit uns und ihren Mentorinnen und Mentoren identifizieren können.“ Das bedeutet, dass die Mentoren auch über das Lösen von schulischen Aufgaben hinaus Ansprechpartner bei persönlichen Sorgen sein wollen und Verständnis für Mutlosigkeit haben. Die Schülerinnen und Schüler sollen sich demnach mit ihrem Lernpartner wohlfühlen und brauchen keine Angst zu haben, dass sie aufgrund von kulturellen Missverständnissen auf Unverständnis für ihre Situation stoßen.
Augenblicklich bekämen Schülerinnen und Schüler ab Klassenstufe drei bis zum Abitur Online-Nachhilfe, sagt Arify. Wenn sich zum Beispiel ein Abiturient für Ingenieurwesen interessiere, aber Probleme in Mathe habe, würden die „Haydees“ auch versuchen, ihn zu unterstützen und an einen Studierenden aus dem Bereich zu vermitteln.
Inzwischen ist das „Haydee“-Team nach Arifys Aussage auf 16 Mentorinnen und Mentoren gewachsen. Deshalb wurden kleine Gruppen gebildet, die sich täglich über das Internet treffenn. „Einmal in der Woche kommen wir alle zum Gruppencall zusammen, um Themen zu besprechen“, sagt die Bremer Pädagogin. Gerade in dieser außergewöhnlichen Zeit sei es wichtig, Kindern und Jugendlichen aus sozioökonomisch schwächeren Familien beizustehen, sagt sie.
„Das bringt was“, ist sich Arify sicher. Diese Gewissheit bezieht sie nach eigenen Angaben aus Rückmeldungen der „Haydee“-Mentees. Vielfach hätten sie durch die Online-Nachhilfe den Unterrichtsstoff doch verstanden und sich schulisch verbessert. „Ich habe auch viele alleinerziehende Mütter, die sich bei mir bedanken“, sagt sie weiter. „Auch das ist so erfüllend.“
Weitere Informationen
Mehr Informationen über das bundesweite ehrenamtliche Nachhilfeangebot sind online unter der Adresse https://www.haydee-digitalenachhilfe.com zu finden.