Oliver Pagel sitzt konzentriert am Schreibtisch über einige Papierbögen gelehnt. Den Text darauf – kurze Sätze in kleinen Absätzen – liest Pagel mehrmals, den gelben Textmarker in der Hand jederzeit einsatzbereit. “Wenn ich etwas nicht verstehe oder ich mir bei einem Wort nicht ganz sicher bin, markiere ich die Stelle”, erklärt Pagel, “dann müssen unsere Übersetzer noch mal an den Text ran.” Wörter und Sätze, über die Pagel beim Lesen stolpert, verstehen auch viele andere Menschen nicht. Der 42-Jährige ist Textprüfer im Büro für Leichte Sprache und steht damit stellvertretend für rund eine Million Menschen, die aufgrund einer geistigen Behinderung oder einer Lernbehinderung Leseschwierigkeiten haben.
Für Menschen mit Leseschwierigkeiten gibt es die Leichte Sprache, die auf eine einfache Verständlichkeit abzielt – ein Instrument für Barrierefreiheit also. Wichtige Informationen – etwa Formulare von Behörden, Websites oder Broschüren – werden so auch für Menschen mit Leseschwierigkeiten zugänglich gemacht. Für Kommunen, Behörden und Sozialversicherungsträger ist die Kommunikation in Leichter Sprache mittlerweile gesetzlich gefordert. Und auch immer mehr Unternehmen ziehen nach, sagt Marion Klanke, Leiterin des Büros für Leichte Sprache: “Die Sensibilität für Inklusion und Barrierefreiheit wächst in der Gesellschaft, das spüren wir schon seit einigen Jahren.”
Auch Oliver Pagel merkt, dass ihm Leichte Sprache immer öfter begegnet: “Ich habe schon einige Hefte oder Prospekte und letztens sogar beim NDR Nachrichten in leichter Sprache gelesen.” Gerade bei komplexen Themen wie politischen Wahlen oder zuletzt der Aufklärung rund um das Coronavirus sind Informationen in Leichter Sprache die Voraussetzung für eine Teilhabe am Alltag.
Dafür arbeitet das Team des Büros auf Hochtouren: Informationsflyer zu COVID-19, Gesundheitstipps oder Regeln für das Tragen einer FFP2-Maske – Texte wie diese formulieren die Übersetzer des Büros für Leichte Sprache um, damit diese für die Zielgruppen der Leichten Sprache verständlich sind. Heute sind diese Dokumente als Downloads auf der Website der Hansestadt Bremen zu finden und liegen in Behörden oder anderen öffentlichen Einrichtungen aus.
Nicht zuletzt die Aufklärung über das Coronavirus und die Impfung dagegen hat gezeigt, dass viele Bevölkerungsgruppen auf den gängigen Informationswegen schwer erreichbar sind. “Briefe aus Behörden erreichen viele Menschen einfach nicht”, erklärt Amelie Klamm, Projektleiterin beim Büro für Leichte Sprache. Zu viel Text, zu lange Sätze oder schwierige Wörter sind für viele Menschen unüberwindbare Barrieren beim Leseverstehen.
Ursprünglich war Leichte Sprache insbesondere für Menschen mit geistiger Behinderung gedacht. „Diese sind auch immer noch die Hauptzielgruppe“, berichtet Klamm. „Aber wir haben durch die gesteigerte Nachfrage von Auftraggebern gemerkt, dass diese auch für andere Zielgruppen leicht verständliche Texte benötigen.“ Nun möchte das Büro für Leichte Sprache mit Prüfgruppen Menschen mit Migrationshintergrund, Seniorinnen und Senioren oder Jugendlichen mit niedrigem Leseniveau sowie einer reinen Frauen-Prüfgruppe auch andere Menschen mit zielgruppengerechten Texten ansprechen. Auch eine sogenannte Barrierefreiheit-Testgruppe für die Prüfung von Internetseiten in Leichter Sprache soll hinzukommen.
Klamm: “Wir stehen schon in regem Kontakt mit verschiedenen Organisationen und Vereinen in Bremen, die selber mit Personen aus den Zielgruppen arbeiten und uns daher über eine Kooperation Prüferinnen und Prüfer vermitteln können.” Mit Schülerinnen und Schülern von der heilpädagogischen Waldorfschule Tobias-Schule in Oberneuland gab es bereits ein erstes Treffen, das vielversprechend gelaufen sei, so Klamm.
Allerdings seien Treffen mit mehreren Personen durch die aktuelle Corona-Lage und damit der Aufbau neuer Prüfgruppen erschwert, so Klamm. Sie sei aber zuversichtlich, dass bald weitere Gespräche mit neuen Textprüferinnen und Textprüfern geführt werden können und sich mit Voranschreiten des Projekts auch weitere Organisationen und Vereine melden, die Interesse an einer Kooperation haben. Und auch Oliver Pagel würde sich über Verstärkung freuen: “Ich finde es immer toll, wenn Leute sich für Leichte Sprache interessieren. Noch toller wäre es natürlich, wenn sich neue Gruppen bilden und noch mehr Leute sich auch selbst für mehr Verständlichkeit einsetzen.“