Herr Frankenstein, Sie haben als Landesbehindertenbeauftragter ein neues Domizil im ehemaligen Beluga-Gebäude auf der Teerhof-Insel bezogen. Aber ganz behindertengerecht ist der Zugang nicht, oder?
Arne Frankenstein: Nein, das stimmt. Deshalb wird es nun Nachbesserungen geben, die den Zugang barrierefrei gestalten. Hierzu gehört ein taktiles Leitsystem, elektrische Türöffner und eine barrierefreie Toilette auf der Ebene der Mietfläche. Allen behinderten Menschen muss es möglich sein, meine Dienststelle zu besuchen. Die Barrieren, die ihnen auf dem Weg dorthin begegnen, müssen deshalb systematisch abgebaut werden.
Da sind wir schon mitten im Thema. Die Einschränkungen und Barrieren, denen Beeinträchtigte begegnen, und aufgrund derer sie sich im Alltag nicht immer sicher bewegen können, sind vielfältig. Was gehört aus Ihrer Sicht auf jeden Fall dazu?
Mir ist wichtig, zu sagen: Überall gibt es Barrieren, und überall müssen wir sie abbauen. Es geht beim Verlassen des Hauses los. Viele kleinere Straßen sind für mobilitätsbeeinträchtigte Menschen kaum zu nutzen. Die Gehwege sind zu schmal, es wird aufgesetzt geparkt, Mülltonnen versperren den Weg.
Jetzt gibt es an vielen Straßenkreuzungen auf den Bürgersteigen Markierungen, die auch Rollstuhlfahrern und Sehbehinderten das Überqueren erleichtert. Was kann außerdem zur Alltagserleichterung beitragen?
Eine wichtige Rolle spielt die Bereitschaft, die Umstände zu verändern. Es gilt zu bedenken, dass nicht die Behinderung das Problem ist, sondern dass die Umgebung an die Bedürfnisse der Menschen angepasst werden muss. Nicht umgekehrt.
Eine große Rolle spielt der Baubereich.
Bei Neubauten gibt es gute rechtliche Vorgaben. Ab Oktober gilt zudem eine Quote zur Schaffung rollstuhlgerechten Wohnraums bei größeren Bauvorhaben mit Mietwohnungen. Das begrüße ich.
Wie sieht es im Bestand aus?
Im Bestand haben wir einen richtigen Barriere-Stau. Aus meiner Sicht brauchen wir dringend einen Sonderetat zum Abbau dieser Barrieren. Alle investiven Maßnahmen zum Klimaschutz müssen auch zum Abbau von Barrieren genutzt werden.
In einem Werbespot, der im Moment im Fernsehen zu sehen ist, werden die von Ihnen angesprochenen Barrieren im Kopf in den Fokus genommen. Ein junger Mann, der extrem klein ist, versucht, in einem Supermarkt das obere Regal zu erreichen. In einem anderen Spot möchte ein Rollstuhlfahrer eine Diskothek betreten, doch es gibt keine Rampe.
Inklusion heißt vor allem: keine Aussonderung mehr. Wir müssen unser Zusammenleben überall inklusiv gestalten. Wir haben also noch viel zu tun.
Heißt das nicht auch, dass Menschen einander mehr helfen müssten? Auch gesunde Kinder können ein hohes Supermarktregal nicht erreichen.
Hilfe ist wichtig. Aber es geht aus meiner Sicht darum, so wenig Sonderwege wie möglich zu haben. Regalhöhen sind dabei sicherlich leichter zu verändern als Strukturen zu schaffen, die ermöglichen, dass Menschen mit schweren Behinderungen selbstbestimmt wohnen und auf dem ersten Arbeitsmarkt tätig sein können. Dafür setze ich mich ein.
Was ist Ihre Aufgabe während der Pandemie?
Ich wirke darauf hin, dass behinderte Menschen nicht benachteiligt werden und wende mich hierzu insbesondere an Politik und Verwaltung. Nicht immer ist das gelungen, bei einigen haben sich in der Pandemie die Benachteiligungen verschärft. Die Perspektive vulnerabler Gruppen insgesamt hätte bei der Krisenbewältigung mehr Raum bekommen müssen.
Was ist aus Ihrer Sicht noch entscheidend?
Wichtige Informationen wie bislang zu den Impfzentren, aber auch zu anderen relevanten Bereichen, sollten auch in Gebärdensprache vorhanden sein. Das gilt auch für das Internet, neben den Informationen in leichter Sprache. Nicht überall sind die Krisenfolgen offensichtlich. Deshalb brauchen wir eine systematische Aufarbeitung. Und wir müssen erkennen: Eine inklusive Gesellschaft ist eine krisenfestere.